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Nach Stuttgart: Gewalt auch in Bayern? Polizisten-Vertreter sieht gefährliche Tendenz - „Da ist Spaß dabei“

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Wie konnte es zu der Krawall-Nacht in Stuttgart kommen? Polizeigewerkschafts-Chef Peter Schall berichtet aus dem Polizisten-Alltag. Er beobachtet die Entwicklung mit Sorge.

Peter Schall ist Vorsitzender der Polizeigewerkschaft GdP in Bayern. Im Interview spricht er über die Vorfälle in Stuttgart und Gefahren für die Polizei.

Kann das, was in Stuttgart passiert ist, auch in Bayern passieren? In München oder in Rosenheim?

Peter Schall: Theoretisch ja. Es ist immer eine Frage des Kräfteverhältnisses zwischen Polizei und Randalierern. In Stuttgart ist es völlig eskaliert. Im Normalbetrieb ist so eine Lage für die Polizisten vor Ort gar nicht zu bewältigen. Deswegen wurden Kräfte aus dem ganzen Land zusammengezogen, um wieder Ordnung in die Stadt zu bringen. Ob der Auslöser tatsächlich die Drogenkontrolle war, die die Täter als Entschuldigung vorbringen, um die halbe Stadt zu verwüsten, ist für mich unerheblich. Das ist eine billige Ausrede. Aber das Muster dahinter macht mir schon Sorgen.

Szene vor einem geplünderten Geschäft nach der Randale in Stuttgart
Szene vor einem geplünderten Geschäft nach der Randale in Stuttgart © dpa / Julian Rettig

Was meinen Sie damit?

Schall: Auch in unserem Polizei-Alltag in Bayern gibt es verstärkt das Phänomen, dass sich bei bestimmten Situationen plötzlich Unbeteiligte einmischen, die meinen, sie müssten Partei gegen die Polizei ergreifen. Das kann der Fall sein, wenn ein Beamter ein Auto aufschreibt, das falsch parkt – und plötzlich der Polizist angegangen wird. Aber nicht vom Parksünder, sondern von wildfremden Personen, die nichts mit dem Auto zu tun haben.

Nach Stuttgart: Gewalt auch in Bayern? Polizeigewerkschafter sieht gravierende Veränderungen

Was erleben bayerische Polizisten gerade noch?

Peter Schall: In Bayern haben wir zuletzt immer wieder sinnlose Zerstörungsaktionen. Bei geparkten Autos werden reihenweise die Außenspiegel abgetreten, Verkehrszeichen werden demoliert oder Graffiti geschmiert. Das ist leider Alltag. Es kommt auch immer wieder vor, dass Kollegen, die Personenkontrollen machen, feststellen, dass ein Haftbefehl vorliegt. Also nehmen sie die Person fest. Doch plötzlich solidarisieren sich Außenstehende und versuchen, das in Anführungszeichen „arme Opfer“ zu befreien. Früher sind die Bürger vorbeigegangen und haben sich gesagt: „Geht mich nichts an.“ Oder: „Ich bin froh, dass die Polizei da ist.“ Heute ist alles anders. Heute muss man sich unbedingt einmischen in Dinge, die einen nichts angehen.

Peter Schall, Landesvorsitzender der GdP Bayern
Peter Schall, Landesvorsitzender der GdP Bayern © Metzler

Stuttgart und die Hintergründe: „Der Großkopferte spart 3.000 Euro - die Jungen müssen die Schulden abbezahlen“

Sind Polizisten die neuen Prügelknaben der Nation?

Peter Schall: Es ist eine Gemengelage aus vielen Dingen, wenn es zu Ereignissen wie in Stuttgart kommt. Es gibt immer mehr Menschen, die fühlen sich abgehängt. Die glauben, sie bleiben auf der Strecke. Und dann gab es auch noch die Corona-Maßnahmen*, viele junge Männer fühlten sich daheim eingesperrt. Die Politik beschließt gleichzeitig Milliarden-Pakete und der junge Mensch hat eigentlich nichts davon, außer dass die Flasche Bier vielleicht drei Cent billiger wird. So geht das in deren Logik. 

Aber wer heute ein Auto für 100.000 Euro kaufen kann, sozusagen der Großkopferte, der spart sich 3000 Euro. Die Jungen müssen aber irgendwann die Schulden in Milliarden-Höhe abzahlen. Das ist das, was hängen bleibt. Und das ist das, was einige wütend macht. Bis hin zu Gewalt-Eskalationen wie in Stuttgart.

Stuttgart: Gewalt-Exzesse - „Die Polizei ist nun mal Vertreter des Staates“

Warum suchen sich diese Menschen Polizisten als Hassobjekt aus?

Peter Schall: Die Polizei ist nun mal Vertreter des Staates. Aber bei den Tätern ist natürlich auch eine Menge Spaß dabei. Spaß an der Gewalt. Es gibt einen Video-Zusammenschnitt, den die Stuttgarter Kollegen aufbereitet haben. Was man dort sieht, lässt einen sprachlos zurück. Man hört Gelächter, wenn Scheiben eingeschmissen und Polizeiautos demoliert werden. Randale ist anscheinend das neueste Event.

Befürchten Sie, dass noch ein ganz heißer Sommer auf die Polizei zukommt?

Peter Schall: Das kommt auf die nächsten Wochen an, ob das in Stuttgart eine Einzelaktion war oder ob es sich um ein neues Phänomen handelt. Bis jetzt – toi, toi, toi – haben wir so was in anderen Städten zum Glück nicht. Ich hoffe, das bleibt so. Denn, was die Randalierer oft vergessen, ist, dass der Steuerzahler alles zahlt. Dazu gehören zerstörte Polizeifahrzeuge, aber auch Steuerausfälle, weil die Firmen die zerstörten Scheiben bei der Gewinn-und-Verlust-Rechnung geltend machen.

Schaufenster dahin: Ein Handy-Laden-Mitarbeiter räumt nach den Ausschreitungen in Stuttgart Scherben auf.
Schaufenster dahin: Ein Handy-Laden-Mitarbeiter räumt nach den Ausschreitungen in Stuttgart Scherben auf. © dpa / Silas Stein

Stuttgart: Unterstützung aus Bayern? Auch Freistaat will sich „bestimmt wappnen“

Wie geht es jetzt in Stuttgart weiter?

Peter Schall: Die Stuttgarter werden an den nächsten Wochenenden auf Unterstützung der Bundespolizei hoffen. Ob auch Beamte aus Bayern geschickt werden, bleibt abzuwarten, weil man sich im Freistaat bestimmt auch wappnen will, um die sogenannten Feiermeilen verstärkt zu überwachen. Wichtig wird auch sein, dass man so schnell wie möglich ermittelt, welche Klientel in Stuttgart ganz genau zu den Tätern gehört.

Was weiß man bisher?

Peter Schall: Bei den 24 vorläufig Festgenommenen ist es halbe-halbe, was die Nationalität angeht. 50 Prozent Deutsche, 50 Prozent andere Staatsangehörigkeiten. Auch auf den Videomitschnitten, die ich gesehen habe, sind viele ausländische Stimmen zu hören. Es waren in erster Linie junge Männer, die ihr Mütchen gekühlt haben. Es war nichts anderes als blanke Zerstörungswut. 

Es gibt Videos, die zeigen, wie ein Polizist einen Randalierer am Boden fixiert. Dann läuft ein Mann von hinten mit voller Wucht auf den Kollegen zu und tritt ihn. Der Polizist ist Gott sei Dank nicht so schwer verletzt, aber da hätte das Schlimmste passieren können. Das Video hat einer der Randalierer gedreht, wohl in der Hoffnung, dass er in den sozialen Medien möglichst viel Aufmerksamkeit bekommt. Die Polizei nutzt es jetzt, um die Täter zu finden.

Interview: Stefan Sessler

*Merkur.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks.

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