Flutkatastrophe für ARD-Wetterexperte der letzte Warnschuss: „Wir müssen endlich neue Wege gehen“

Für ARD-Wetterexperte Sven Plöger ist die Katastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz der letzte Warnschuss. Der Experte spricht Klartext in Sachen Klimaschutz.
München - Das ist doch noch Wetter - und schlechtes Wetter mit Flut hat es doch schon immer gegeben. Das war lange die Argumentation gegen den Klimawandel. Allerdings häufen sich die Fluten genauso wie die Dürre-Plagen weltweit.
„Klima ist gemitteltes Wetter“ - so drückt es Sven Plöger aus, der bei der ARD für Wetter und Klima zuständig ist. Sein Fazit im tz-Interview: Wer heute immer noch Maßnahmen zum Klimaschutz torpediert, der versündigt sich an allen kommenden Generationen. Die Katastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz ist der letzte Warnschuss - und er sollte der Startschuss für ein neues Denken in Sachen Klimaschutz sein, sagt Plöger.
Über 100 Tote in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, Milliardenschäden. Sven Plöger (54), seit vielen Jahren Wetterfrosch der ARD, spricht klare Worte.
Herr Plöger, Flutdrama bei uns, Hitzetote in Kanada und in den USA - eine Momentaufnahme oder mehr?
Sven Plöger: Die Messwerte zeigen, dass beides, Trockenheit und Nässe, bei uns extremer geworden ist.
Die Politik sagt ja immer, Klimaschutz muss wirtschaftsverträglich sein.
Plöger: Natürlich muss sie das. Aber wenn die Art des Wirtschaftens die Umwelt zerstört, haben wir nichts gewonnen. Im Gegenteil, so wird der Wohlstand auf absehbare Zeit kassiert. Da nutzt es auch nichts, sich die Welt in der Hoffnung schönzureden, dass der Kelch durch Nichtstun an uns vorübergehen wird. Beim Klimawandel spielt sich schlicht und einfach emotionslose Physik ab, und dem Planeten ist es gleichgültig, ob wir da sind oder nicht.
Was müsste in Deutschland passieren, um die Klimabilanz zu verbessern
Plöger: Wir müssen ganz grundsätzlich andere Rahmenbedingungen schaffen und dafür sorgen, dass derjenige, der die Umwelt sauber hält, davon finanziell profitiert und nicht derjenige, der sie verschmutzt. Der Klimawandel ist greifbar geworden. Die Politik muss Antworten finden. Wir müssen die Energiewende schaffen, Solar- und Windenergie fördern. Ich verstehe jeden, der sagt, durch Windräder wird die Landschaft nicht schöner. Aber die Überlandleitungen sind auch nicht schön, nur haben wir uns an sie gewöhnt. Zum Thema Mobilität: Flüge von München nach Hamburg für 29 Euro sind nicht zu verantworten, wenn wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen. In unseren Städten ist zu viel Fläche versiegelt und zugeparkt. Ich glaube nicht, dass es genügt, in unseren Autos nur den Antrieb auszutauschen gegen eine Batterie oder Brennstoffzelle. Wir müssen uns trauen, Konzepte zu entwickeln, bei denen wir hinterfragen, wie viel Individualverkehr möglich und nötig ist. Das alles wird viel Geld kosten, aber es wird sich auszahlen.
Können wir das Klima retten? Wir sind Teil eines Kuchens, so Wetterexperte Plöger

CO2-Emissionen - Deutschland liegt auf Platz 6
Selbst die Politiker, die dem Klimaschutz aufgeschlossen gegenüberstehen, sagen gern: Das kleine Deutschland allein kann eh nichts ausrichten.
Plöger: Das hört man oft. Die gesamte Emission verteilt sich ja auf 195 Länder, wobei das Vergleichen von Ländern auch nicht zwingend sinnvoll ist. Es ist logisch, dass China mehr emittiert als Luxemburg. Wichtiger ist zu erkennen, dass wir in Deutschland auf Platz sechs bei den aktuellen CO2-Emissionen liegen. Wenn wir jetzt sagen, wir fallen nicht ins Gewicht, dann können das die 189 Staaten, die hinter uns liegen, ganz sicher auch sagen! Wir Deutschen emittieren pro Kopf und Jahr 8,8 Tonnen CO2. Derzeit stehen wir weltweit bei 4,8 Tonnen. Aber nur, wenn alle Menschen im Schnitt nicht mehr als zwei Tonnen emittieren, ist das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten. Wir sind Teil des Kuchens wie alle anderen auch. Das zu begreifen sollte doch nicht so schwer sein.
Ihr jüngstes Buch trägt den Titel „Zieht Euch warm an, es wird heiß“. Das verrät Humor und Optimismus. Wie bewahren Sie sich den?
Plöger: Wo würde das hinführen, wenn man ihn aufgibt? Stellen Sie sich vor, die Menschen hätten das am Ende des Zweiten Weltkriegs in den zerbombten Städten getan! Erstens sagt die Klimaforschung klar, dass das Ziel erreichbar ist. Dafür müssen wir aber nicht nur A sagen, sondern auch A tun. Was wir im Moment machen, ist, A zu sagen und B zu tun. Und dann wundern wir uns, dass A nicht klappt. Zweitens nimmt die Einsicht zu. Die EU bewegt sich, die USA bewegen sich, China fühlt sich zumindest unter Druck. Hoffnung zu behalten ist also nicht naiv, sondern wichtig. Denn der Jugend zu sagen: Seht zu, wie ihr klarkommt!, wäre zutiefst unfair und ein Armutszeugnis für uns.
Warum der Jetstream das Extremwetter verstärkt

Das Wetter in NRW hat auch mit dem Jetstream zu tun. Warum, erklärt Sven Plöger: „Der Nordpol erwärmt sich übermäßig, die Temperaturunterschiede zwischen Äquator und Pol nehmen ab. Große Unterschiede werden durch Wind in großen Höhen ausgeglichen - das ist der Jetstream. Er sorgt dafür, dass Hochs und Tiefs schnell ziehen. Sinkt der Temperaturunterschied, wird der Jetstream schwächer. Dadurch bleiben auch Tiefs länger über einer Gegend - es regnet mehr und länger. Interview: R. Ogiermann *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA
Unwetter am Wochenende: Tief Bernd zieht jetzt nach Bayern
Am Alpenrand wird ein Starkregen-Ereignis erwartet. Ab Samstag warnt der Deutsche Wetterdienst (DWD) vor sehr, sehr viel Niederschlag. Es kann zu historisch hohen Pegelständen kommen, berichtet Merkur.de. In Passau erwartet Hochwasser der Meldestufe 3.