Albrecht Schuch im Interview über seinen neuen Film „Lieber Thomas“, Väter und Verwandlungskunst

Albrecht Schuch ist einer der spannendsten Schauspieler seiner Generation. Im Interview spricht er über seinen neuen Film „Lieber Thomas“, eine Biographie des Schriftstellers und Regisseurs Thomas Brasch.
Thomas Brasch (1945-2001) war ein radikaler Künstler. Einer, der sich mit dem Gewöhnlichen, Gegebenen nicht zufrieden gab und für das Neue stritt – ob als Schriftsteller, Lyriker oder Regisseur. „Lieber Thomas“ von Filmemacher Andreas Kleinert erzählt von dieser künstlerischen Wucht. Kinostart ist am Donnerstag, in der Hauptrolle beeindruckt Albrecht Schuch. 1985 inJena geboren, zählt Schuch heute zu den spannendsten Schauspielern seiner Generation. Im Fernsehen war er etwa in „Bad Banks“ und „Gladbeck“ zu sehen. Auf der Leinwand begeisterte er zuletzt in Dominik Grafs „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“, „Berlin Alexanderplatz“ von Burhan Qurbani sowie im deutschen Oscar-Kandidaten „Systemsprenger“ (Regie: Nora Fingscheidt). Wir sprachen mit Schuch über seine aktuelle Arbeit.
Münchner Merkur: Im Gegensatz zu Ihren meisten bisherigen Rollen spielen Sie in „Lieber Thomas“ eine reale Person. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Albrecht Schuch: Die Akademie der Künste in Berlin hat ein Archiv. Da war ich eine Woche lang täglich von früh bis spät und habe wie ein Student Bild- und Tonaufzeichnungen gesichtet: Schallplatten, unveröffentlichte Materialien, Skizzen, Notzien, seine ganzen Filme. Ich glaube, alles kann man nicht lesen, aber sehr viel habe ich gelesen. Es gibt auch sehr viel, was bei Weggefährtinnen und Weggefährten im Privatbesitz ist. Es ist schade, dass diese Sachen nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind, aber in seinem Fall waren sie auch meist nur für diese eine Person gedacht. Und dann soll das auch im Privaten bleiben.

Was hat Sie gereizt an dieser Rolle?
Die Widersprüchlichkeit und das öffentliche Verhandeln mit seiner Persönlichkeit. Brasch hat sich permanent gezeigt in seiner Unfertigkeit und hatte den Wunsch nach einem sozialen, respektvollen, aber auch direkten und aufrichtigen Miteinander. Seine Betrachtung der Welt und seine Leidenschaft sind extrem sinnlich aufgeladen. Zumindest habe ich Thomas Brasch so verstanden. Sein nicht enden wollendes Suchen nach einer Art und Weise, Dinge zu benennen, zu beschreiben, zu hinterfragen. Und sein ungebändigter Lebens- und Künstlerdurst, sich auf die unterschiedlichsten Arten zu äußern, ob nun als Übersetzer, Filmemacher, Schriftsteller oder Poet. Das strotzt einfach von Leben. Und für mich als Schauspieler sind diese Widersprüche natürlich ein Geschenk. Das war ein Mensch mit Dellen und Kanten. Der war auch unangenehm!
Brasch war ein Freigeist, der sich etwa bei der Verleihung des Bayerischen Filmpreises bei der Filmhochschule der DDR bedankt hat...
Ja, super. Er hat das auf den Tisch gebracht, was der Realität entsprach. Und dass da so selbstgefällige, machtversessene und eindimensional denkende Menschen saßen und seine Rede einen Eklat auslösen konnte, war ja der eigentliche Eklat. Eine Szene, die ich gerne gespielt hätte, die aber im Film fehlt.
Hätten Sie diese Rolle auch angenommen, wenn Thomas Brasch Ihnen unsympathisch wäre?
Er war nicht nur ein feiner Geselle, mit dem man gerne Zeit verbringt, denke ich, ohne ihn zu kennen. Aber von allem, was ich über ihn gelesen habe, glaube ich: Er hat niemals den Anspruch erhoben, dass seine Wahrheit gilt. Er war vielmehr interessiert an einem differenzierten Austausch ohne Rollenkünste.
Thomas Brasch hat einige Parallelen zu Stephan Labude, den Sie in Ihrem vorherigen Film „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ nach Erich Kästners Roman gespielt haben. Beide hatten etwa ein schwieriges Verhältnis zum Vater.
Ja, der Vater spielt bei beiden eine große Rolle, wie bei uns allen, glaube ich. Bei vielen Menschen, die ich kenne, ist die Vater-Sohn-Beziehung eine ganz spezielle. Für Brasch war es noch mal anders schwer gewesen, sich vom Vater zu lösen, weil er in einer hohen öffentlichen Funktion der DDR tätig war. (Horst Brasch machte in der DDR-Politik Karriere und brachte es bis zum stellvertretenden Kulturminister; Anm. d. Red.) Sich von dem „Sohn des ...“ zu befreien, hat er bis zum Schluss seines Lebens versucht. Der Vertrauensmissbrauch, der Brasch durch seinen Vater widerfahren ist, hat ein Loch in sein Herz gebohrt. Wenn dich dein Vater an die Polizei verrät, kann man sich davon nie wirklich erholen.
Wie wählen Sie Ihre Filme aus? Oder nehmen Sie jede Rolle an, die auf den Tisch kommt?
Nein, das wäre ungesund, da würde mit auch der Spaß, der Grund abhandenkommen. Ich brauche Phasen, in denen ich nicht in Bezug mit einer anderen Persönlichkeit lebe, in denen ich wieder über mich auf die Welt gucke. Wenn ich an einer bestimmten Rolle arbeite, habe ich eine selektive Wahrnehmung, dann gucke ich anders auf die Welt. Das kostet Kraft, bei allem Spaß. Es ist ein Aufwand, sich immer wieder neu auf eine Person einzulassen. Ich möchte nicht einen Anzug, den man in seiner Kiste hat, immer wieder anziehen und strapazieren. Mein Anspruch ist, jeden Charakter individuell zu betrachten – wie im Leben, wo es auch immer unterschiedliche Personen gibt.
Man muss Obrigkeiten, Führungspersönlichkeiten infrage stellen, immer wieder kontrollieren.
Sie spielen immer sehr intensive Rollen. Wie lange brauchen Sie, um rauszukommen und wieder Albrecht zu sein?
Ganz unterschiedlich. Das ist mir früher nicht so gut gelungen, aber mittlerweile habe ich ganz gute Rituale gefunden, um am Ende eines Drehtags oder einer Drehzeit wieder zu mir zu finden, loszulassen und Tschüss zu sagen.
Was sind das für Rituale?
Das ist mein Geheimnis. (Lacht.) Es gibt aber immer ein erschöpfendes Momentum nach einer Rolle. Man reist irgendwohin, darf Kostüme anziehen und sich äußern, wie man es persönlich vielleicht nicht machen würde. Man darf rumspinnen, Fantasien ausleben und kunstvoll arbeiten. Und irgendwann ist das vorbei. Es folgt dann immer ein Prozess von Ankommen, von Erholen. Manchmal ist er traurig, manchmal ein bisschen leer und langweilig. Ganz unterschiedlich.
Wenn Sie wieder zu sich selbst finden, bleibt da trotzdem ein bisschen etwas von der Figur übrig?
Definitiv. Wie Brasch die Dinge differenziert zu betrachten ist immer sinnvoll. Man darf sich nicht von einer twitter- oder instagrammigen Art und Weise bestimmen lassen. Man muss Obrigkeiten, Führungspersönlichkeiten infrage stellen, immer wieder kontrollieren. Wir sehen auf der ganzen Welt und auch hierzulande, dass permanent ein Machtmissbrauch stattfindet. Es geht darum, die Widersprüchlichkeiten im Menschen aufzuzeigen, wahrzunehmen und zu besprechen, eine offene Debatte zu führen – und nicht darum, auf ein kapitalistisches, äußerlich schönes, perfekten Dasein hinzuarbeiten.
Das Gespräch führte Mayls Majurani.