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Jetzt erst recht: Anna Netrebko singt 2024 bei den Salzburger Osterfestspielen

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Von: Markus Thiel

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Star-Sopranistin Anna Netrebko
Noch immer wird Anna Netrebko vorgeworfen, sie distanziere sich nicht ausreichend von Putins Angriffskrieg. © Franz Neumayr

Dass sie für viele als unerwünschte Person gilt, ist Intendant Nikolaus Bachler egal. Er verpflichtete Anna Netrebko 2024 für die Salzburger Osterfestspiele. An der Seite von Jonas Kaufmann singt sie in „La Gioconda“.

Aufschlussreich ist, worüber Intendant Nikolaus Bachler keine Silbe verloren hat. Über die Diskussion um eine Diva, die – so heißt es – sich nicht oder zu wenig vom russischen Angriffskrieg und Putin distanziert hat. Über den Streit, der gerade am Staatstheater Wiesbaden tobt, wo die Politik den Auftritt der Sopranistin verhindern will. Oder über andere Opernchefs, die kundgetan haben, sie wollen diese Künstlerin zumindest vorerst von ihren Häusern fernhalten. Nein, fast im Nebensatz wird in Salzburg nach 20 Minuten Pressekonferenz erwähnt, dass Anna Netrebko bei den Osterfestspielen 2024 auftreten soll. Sir Antonio Pappano überbringt die Nachricht, er wird nächstes Jahr dort „La Gioconda“ von Amilchare Ponchielli in einer Starbesetzung dirigieren.

Antonio Pappano kommt mit seinen römischen Ensembles

Die ist auch bitter nötig. Das weltweit exklusivste Festival kann eigentlich nur mit Opernhits überleben. Sobald die Osterfestspiele die Blockbuster-Zone verlassen, sinkt die Nachfrage nach den bis zu 490 Euro teuren Karten dramatisch. Es sei denn, man hält mit Promis dagegen. Neben der Netrebko hat Intendant Bachler für die Liebes- und Intrigengeschichte aus dem Venedig des 17. Jahrhunderts noch Jonas Kaufmann engagiert. Er ist bereits in diesem Jahr dabei, wenn er zur Eröffnung des Festivals am 1. April erstmals die Titelpartie in Wagners „Tannhäuser“ übernimmt.

Nach dem erzwungenen Abschied von Christian Thielemann und der Staatskapelle Dresden arbeitet Bachler bekanntlich mit wechselnden Orchestern und Dirigenten, bis 2026 die Berliner Philharmoniker zurückkehren. Heuer sind dies das Gewandhausorchester Leipzig und Andris Nelsons, 2024, zu „La Gioconda“, gastiert das Orchestra dell’ Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Pappano. Der hat das römische Ensemble 2005 übernommen und wird sich am Ende dieser Saison verabschieden. In Salzburg tritt er 2024 daher als „Emeritus“ auf, wie er im Pressegespräch gut gelaunt sagte.

Antonio Pappano und Nikolaus Bachler
Partner für eine Saison: Dirigent Antonio Pappano (li.) und Intendant Nikolaus Bachler. © Erika Mayer

„Von einer solchen Residenz haben wir immer geträumt“, schwärmt der Brite mit italienischen Wurzeln. Dies sei der „Höhepunkt unserer Beziehung“. Wie bei den Osterfestspielen üblich, bestreitet man nicht nur die Opern-Produktion, sondern auch einige Konzerte. Pappano dirigiert unter anderem Verdis Messa da Requiem, ebenfalls mit Jonas Kaufmann. Noch dabei sind hier Sonya Yoncheva, Judit Kutasi und Michele Pertusi. Als weiterer Pultmann ist Jakub Hrůša zu erleben. Er ist Erster Gastdirigent bei Santa Cecilia und überdies Nachfolger Pappanos als Musikdirektor des Royal Opera House in London.

Dass sich Bachler wenig um die Netrebko-Debatte schert, hat sich seit Längerem abgezeichnet. „Ich würde mir wünschen, dass ein Künstler, der in einem fragwürdigen System lebt, eine Haltung dazu hat“, sagte er vor wenigen Tagen im Gespräch mit unserer Zeitung. „Aber wer sind wir denn, dass wir von Künstlern Aussagen verlangen? Gesinnungsprüfungen in der Kunst – wo hört das alles auf? Wo fängt es an?“ Bachler warf seinen Kollegen und Kolleginnen vor, feige geworden zu sein. „Es kann doch keine Polit-Kontrollen an der Theaterpforte geben.“

Bachler will die Osterfestspiele programmatisch öffnen

Auch wenn der frühere Chef der Bayerischen Staatsoper in Salzburg auf die große Kulinarik setzt, so möchte Bachler doch die Osterfestspiele programmatisch öffnen. In diesem Jahr geschieht das unter anderem mit der Ballett-Uraufführung „Träume“ und einem Konzert mit elektronischer Musik. Der Intendant macht kein Geheimnis draus, dass diese Angebote nicht so gut angenommen werden wie erhofft. Für 2024 mochte Bachler daher noch keine detaillierten Angaben dazu machen, wie man diesen Weg weiter zu verfolgen gedenkt. „Wir wollen Erfahrungen sammeln“, formulierte er es. „Das muss sich erst etablieren.“

Auf jeden Fall wird daran gearbeitet, auch andere Publikumsschichten als schwerreiche Klassikfans zu locken. Es soll „stark reduzierte“ Karten für Interessenten unter 27 Jahren geben. Außerdem wird ein „Abo to go“ aufgelegt mit Preisen, die um 30 Prozent reduziert wurden. Um zu sparen, wird „La Gioconda“ außerdem koproduziert – und zwar mit dem Royal Opera House. Mit der Oper in Rom würden noch Verhandlungen geführt, sagte Bachler.

Nicht nur in den Sozialen Netzwerken ist gestern jedenfalls die Diskussion wieder aufgeflammt, ob man die Netrebko noch auf die Bühne lassen darf. Mit ihrem Mann Yusif Eyvazov ist sie gerade in Tokio aufgetreten, am kommenden Sonntag folgt ein Lieder- und Arien-Recital an der Mailänder Scala, bevor es für zwei Auftritte zu den Maifestspielen in Wiesbaden geht. Der Bühnen-Bann gegen die bekannteste Sopranistin unserer Zeit löst sich sich offenkundig. In ihrem Terminkalender sind noch Auftritte in Luzern, Verona, Wien und Baden-Baden gelistet. Proteste muss sie nicht unbedingt fürchten: Als die Künstlerin mit der russisch-österreichischen Staatsbürgerschaft im vergangenen Sommer in Regensburg gastierte, gab es vor dem Fürstlichen Schloss lediglich ein Dutzend Demonstranten – und im Innenhof Ovationen.

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