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Anne-Sophie Mutter über Kultur in Zeiten von Corona und Krieg: „Wir kennen jetzt unsere Freunde“

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Von: Markus Thiel

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Anne-Sophie Mutter
„Kunst kann man nicht einfach an- und ausknipsen“: Anne-Sophie Mutter befürchtet, dass die Kulturpolitik wenig aus der Pandemie gelernt hat. © The Japan Arts Association

„Soziale Distanz macht krank“, sagt Anne-Sophie Mutter – also nicht nur der Covid-19-Erreger. Aus ihrer Ablehnung vieler Corona-Regeln, die Konzerte und andere Aufführungen verhindern und damit auch die Existenz von Künstlerinnen und Künstlern gefährden, hat sie nie einen Hehl gemacht. Auch deshalb hat sich die Star-Violinistin in der Münchner Initiative „Aufstehen für die Kunst“ engagiert. Und jetzt, nachdem die Säle wieder voll sein dürfen? Die 58-Jährige bleibt skeptisch und glaubt, dass die Politik sich noch immer nicht des Ranges der Kultur bewusst ist.

Einige Künstlerinnen und Künstler haben während der Pandemie massiv gegen Einschränkungen protestiert. Jetzt läuft das Kulturleben wieder an, und man hört kaum etwas. Wie ist es denn um die Solidarität in Kunstkreisen bestellt?

Man muss unterscheiden zwischen den Künstlern, die an staatlichen Institutionen angestellt und recht gut durch die Pandemie gekommen sind, und den Freischaffenden. Da hat sich ein Graben aufgetan. Außerdem bekamen wir zum Beispiel für unsere Bewegung „Aufstehen für die Kunst“ nicht die ganz großen Namen. Weil man oder frau die Hand nicht beißen wollte, die sie füttert. Ich denke aber, in einer Demokratie sollte man immer von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen – auch wenn man vom Staat in seinem Tun unterstützt wird.

Und dann kam der Krieg gegen die Ukraine. Wie hat sich das auf die Situation der Kunstszene ausgewirkt?

Ich stelle einen Ansturm auf die Konzerte fest, auch seitens der Politiker, die nun diesen öffentlichen Raum suchen und sich plötzlich – im Gegensatz zu den Pandemiejahren – der Wichtigkeit von Musik bewusst werden. Es ist großartig zu sehen, was Musikerinnen und Musiker zurzeit schaffen in ihrer tatkräftigen Hilfe für humanitäre Organisationen. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass die Politik erkennt: Musik ist nicht nur ein Grundrecht, sondern etwas, das ein Bedürfnis nach Nähe befriedigt. Gerade in dieser schrecklichen Zeit wird doch klar: Das ist kein Luxusgut, das man sich um 20 Uhr mal eben beschafft. Musik gehört zu unserem freiheitlichen Denken, wenn man die Werte der Französischen Revolution nimmt. Die Annäherung an den anderen, der Dialog, die Gedankenäußerung ohne Reglementierung – das ist es, was durch Musik bewegt wird und zum Ausdruck kommt. Man nehme nur exemplarisch Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchestra mit seinen israelischen und palästinensischen Mitgliedern und die Aktionen von Zubin Mehta. Diese Bedeutung der Musik, Covid hin oder her, muss anerkannt werden. Was heißt: Man darf uns nicht einfach wegsperren, die Säle zumachen, ohne dass man wissenschaftliche Beweise hat für die angebliche Gefährlichkeit eines Konzerts. Hier sind wir doch beim Kern, beim Problem der Oberflächlichkeit von politischen Entscheidungen. Im Prinzip stehen wir, was das Wegsperren der Kunst betrifft und die Einstellung der Politik ihr gegenüber, genau dort, wo wir am Anfang der Pandemie waren. Dabei müssen wir, gerade was die augenblickliche Krisenlage im Krieg gegen die Ukraine betrifft, die immense Bedeutung der Musik für unser Zusammenleben wieder neu erkennen.

Was war Ihre größte Enttäuschung in den vergangenen zwei Pandemiejahren?

Ich bin ein Mensch, der nicht zurückschaut. Deshalb habe ich alle Enttäuschungen quasi zur Seite geräumt. Und trotzdem: Dass es in der noch andauernden Krise Veranstalter gegeben hat und gibt, die Konzerte aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen und durchgeführt haben oder eben nicht, das fand ich enttäuschend. Künstler haben ja ein gutes Gedächtnis. Wir wissen jetzt, wo unsere Freunde sind. Wo Veranstalter sind, die auch in Zeiten der Not einem Künstler die Möglichkeit geben, für ein Publikum zu spielen. Immer nur nach der Kasse leben, das kann es nicht sein. Es gibt sicherlich für jeden schwere Zeiten, auch für Veranstalter. Doch besonders für die Künstler dauern sie noch an.

Es gab nur wenige Stars, die den Mund aufgemacht haben gegen das Wegsperren der Kunst. Sie waren das, der Jazzer Till Brönner, aber dann war bald Schluss.

Das kann ich nicht genau beurteilen. Außerdem: Nicht jeder erhält eine Einladung zu Maischberger. Viele bekommen keine solch große Plattform, weil sie weniger bekannt sind. Ich halte mich da fairerweise mit Vorwürfen zurück. Es gab doch ein sehr großes Feld von Musikern, Schauspielern, Tänzern, Schriftstellern und anderen, die in eine Notlage geraten sind und aufbegehrt haben. Auch deshalb gibt es unsere Initiative „Aufstehen für die Kunst“, die ein Forum bietet. Man sollte solche Initiativen und Projekte nicht unterschätzen. Sie waren aktiv, wurden in den Medien aber nicht so wahrgenommen.

Was wird sich in der Kulturszene nach diesen beiden Jahren grundlegend und systemisch ändern?

Die gute Nachricht: Es wird nicht mehr gehustet in den Konzerten, es ist endlich Ruhe. Aber Scherz beiseite: Es ist schon erstaunlich, wie sich die Intensität des Zuhörens gesteigert hat. Ich habe den Eindruck, dass der Wunsch, Kunst mit anderen zu teilen, noch viel stärker geworden ist. Besonders in der jungen Generation. Es gibt ein Ausgehungertsein, ein Wegwollen vom Stream. Natürlich haben wir ein Publikumssegment verloren. Menschen, die nicht wieder zurückwollen in den Konzertsaal. Weil es anstrengend oder angeblich gefährlich ist, was ja nicht stimmt. Dabei macht uns doch gerade soziale Distanz krank. Ich habe kürzlich ein Konzert mit John Williams in Wien gespielt. Und wer so etwas nicht erlebt hat, diese Reaktionen, der weiß nicht, was Musik bedeuten kann. Unfassbar war das, ein Fest der Begegnung und Erinnerung. Das ist wie in meinem Lieblingskinderbuch „Frederick“. Dieser Maus geht es ganz schlecht im Winter, und dann beginnt sie von den sonnengetränkten Feldern zu schwärmen, von den Mohnblumen, die sich im Wind wiegen. Weil sie von Erinnerungen lebt. Bitte nicht falsch verstehen: Ich bin kein Mensch, der sich aus der Realität flüchtet. Aber wir sind die Summe unserer Erinnerungen und brauchen diese Situationen immer wieder.

Es heißt immer, man müsse zu neuen Konzertformen finden, neue Publikumsschichten gewinnen. Wurde das durch die Musikformate der Pandemie befördert?

Eigentlich hat sich durch die Pandemie nur eine verstärkte Streaming-Tätigkeit entwickelt. Das ist natürlich toll für jemanden, der gerade im brasilianischen Urwald unterwegs ist und ein Konzert aus der Carnegie Hall genießen will. Aber in toto ist es nicht das, was die Musik adäquat übersetzt. Außerdem ist es finanziell für die Beteiligten in keiner Weise Ausgleich für ein ausgefallenes Konzert. Ich glaube, wir müssen da noch ein bisschen intensiver suchen nach neuen Formen und auch danach, wie Künstler dafür entlohnt werden. Die Stream-Plattform bietet das jedenfalls nicht. Wir brauchen Gemeinschaftserlebnis – und dies in unterschiedlichsten Räumen.

Wird also alles wieder in die alten Bahnen zurückfließen?

Ganz sicher nicht. Wir haben viele Freischaffende verloren, die einen anderen Job angenommen haben, um zu überleben. Kunst kann man nicht einfach an- und ausknipsen. Das ist die große künstlerische Tragödie dieser Pandemie, nicht ganz unverschuldet durch den Staat. Er hat zu spät zu wenig getan. Es wird für die junge Generation noch schwerer, Fuß zu fassen. Und das gerade während dieser Übergangszeit, an deren Ende hoffentlich eine Art Normalität steht. Sicherlich werden da eher populärere Künstler und ebensolche Programme gefragt sein. Das ist bedauerlich, weil es zu einer weiteren Repertoire-Verschmälerung führt. Diese Gefahr müssen wir im Auge behalten. Insofern müssen wir uns für junge Künstler einsetzen und für Werke, an die man wirklich glaubt und die vielleicht weitab vom Megapopulären liegen.

Sie haben sich zu einem relativ frühen Zeitpunkt infiziert. Hatten Sie nach der Krankheit noch Angst vor Covid, vor Begegnungen, vor dem Auftritt?

Meine Infektion war tatsächlich schon im März 2020. Aber Angst: nein. Schließlich waren die Künstler so lange weggesperrt – wenn ich da Angst gehabt hätte, dann hätte die sich während dieser Phase bestimmt in Luft aufgelöst. Man wird doch regelmäßig getestet, trägt eine Maske, ist grundsätzlich vorsichtig – und ansonsten: Life happens. Eine absolute Sicherheit gibt es nicht. Es gibt wahrlich gefährlichere Situationen. Und damit denke ich wieder an die Ukraine. Dagegen verblassen unsere Covid-Probleme.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

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