La Bohème: Die weiße Frau

Augsburg - Sanft gegen den Strich gebürstet und ohne falsche Tränensüße: Puccinis „La Bohème“ feiert am Theater Augsburg Premieren. Lesen Sie hier die Kritik:
Hier noch ein Pinselstrichlein, dort noch ein leichtes Zurechtbiegen des Arms. Schmal und fahl ist sie, anmutig, hilfsbedürftiger Blick – wie Mann sich eben Frau so wünscht. Marcello hat die Statue bemalt. Und nun wird Mimi lebendig. Im Traum von Marcellos Freund Rodolfo? Oder als Menschwerdung à la kleine Meerjungfrau, von der auch das Programmheft erzählt? Fest steht jedenfalls: Diese „Bohème“ ist anders, wie sie am Theater Augsburg aufgerollt wird. Wohltuend anders, auch wenn da vieles nicht gerundet oder zu Ende gedacht wurde und der Regisseur sich mit hingeworfenen Andeutungen begnügt, wo stringente Erklärungen gefragt wären.
Ziemlich gegruselt haben sich manche im Publikum vor diesem Mann. Thorleifur Örn Arnarsson, war das nicht der, der dort einst die „Fledermaus“ abgeschossen hat? Doch so radikal wie seinerzeit Strauß fällt dieser Puccini nicht aus. Aber der Isländer bleibt bei seinem Hang zur (nun sanften) Dekonstruktion. Nicht mit Draht wird aber nun gegen den Strich gekratzt, eher mit Borstentyp weich.
Schon im ersten Bild, wenn Rodolfo Mimis kaltes Händchen beklagt, irrlichtern Serviermädchen und allerlei anders Kostümierte aus der späteren Kaffee-Szene herein (Bühne: Jósef Halldórsson). Hausherr Benoit, von Parkinson gezeichnet, kippt sich die gereichten Getränke zitternd über die Schulter: Zwischen Skurrilem und Surrealem bewegt sich diese Aufführung. Und spätestens dann, wenn die Drehbühne glitzernde Weihnachtsstimmung (die hier eher nach Revue aussieht) samt schiefem Karussell hereinbefördert und Mimi als weiße Frau durch den Zauber geistert, wenn auch irgendwann weiß maskierte Damen ausdruckslos auf die Szenerie starren, dann spürt man da auch anderes. Dunkles, Unerklärliches, die Allgegenwart des Todes. Jene Bedrohung also, mit der Rodolfo nicht zurechtkommt und weshalb ihm der (Alb-)Traum dieser Beziehung nur bald zerplatzt.
Ji-Woon Kim gestaltet das mit gedecktem Heldenton, konditionsstark, auch ein wenig glanzlos. Kein ungebrochener Twen ist dieser Rodolfo, eher einer, der sich im Zweifelsfalle in sich verkriecht. Die Rolle der Somnambulen, die irritiert auf die Welt schaut, kennt man von Sophia Christine Brommer schon: Im Belcanto-Fach hat sie schon als Lucia di Lammermoor geglänzt. Die Mimi liegt ihr, die doch eher nach lyrischer bis leicht dramatischer Koloratur drängt, nicht ganz so gut in der Stimme. Wo der Preisträgerin des jüngsten ARD-Wettbewerbs die Wärme und Weite des Soprans abgehen mag, macht dies Sophia Christine Brommer mit der Intensität der Darstellung und kluger Phrasierung wett. Und doch beschleicht einen irgendwann der Gedanke: Ob Cathrin Lange, der zu Recht gefeierten Musetta, nicht auch die Mimi gut gestanden hätte?
Dong-Hwan Lee führt als Marcello seinen Prachtbariton ins Feld, ohne mit ihm zu gockeln. In den übrigen Rollen gelingen, allen voran Giulio Alvise Caselli (Schaunard), prägnante Charakterstudien, die sich bis zu den hochengagierten, von Filippia Elísdóttir fantasievoll kostümierten Chorsängern fortsetzen. Gerrit Prießnitz von der Wiener Volksoper dirigiert (kleine Unschärfen inbegriffen) einen schlanken, sehnigen, in Klang und Tempo sehr flexiblen Puccini. Und das passt bestens zur Regie. Am Ende stirbt Mimi nicht als Schwindsüchtige, sondern besteigt ein Karussellpferd und wird weggedreht. Alles nur ein Traum, ein Trauma? Wo andere sich auf Puccinis Emotion zu sehr verlassen, der Süffigkeit vertrauen und sich auf der Musik ausruhen, da bricht Thorleifur Örn Arnarsson einiges auf und streckt einem lieber Fragezeichen entgegen. Tut Puccini richtig gut.
Markus Thiel
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31.1., 15., 17., 20., 24.2.;
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