7 typische Münchner Konzertbesucher-Typen: Ausdruckstänzer, Ratscher, Bierholer

Unser Kritiker Jörg Heinrich hat in diesem Jahr 58 Konzerte und ähnliche Veranstaltungen besucht, von Bruno Mars bis zu den Rolling Stones. Jetzt schreibt er übers Münchner Konzertpublikum - und sieben typische Besucher.
Seine letzte Kritik des Jahres 2017 widmet er einem absoluten Superstar – dem Münchner Konzertpublikum, das in Sachen Unterhaltungswert längst mit einem Mick Jagger oder Keith Richards mithalten kann. Wir stellen Ihnen sieben Typen von Konzertgängern vor, die unser Kritiker dieses Jahr bestaunen durfte.
1. Der Streamer
Dass viele Leute ein Konzert heute mehr durch die Handykamera sehen als mit eigenen Augen, regt schon lang niemanden mehr auf. Dann nehmen sie grauslich schlechte Bilder und Videos auf, die es im Internet millionenfach in besserer Qualität gibt. Und die technisch ganz Hellen leuchten mit ihrer Handylampe (die an dieser Stelle nichts bringt) das ganze Publikum aus. Neuester Trend ist das Streamen des Konzerts live nach Hause. „Hi, Natascha-Schatz, ich sende jetzt“, steht dann auf dem Bildschirm, und dann kriegt Natascha-Schatz daheim mehr vom Konzert mit als der Absender in der Olympiahalle. Supertramp würden heute singen: „Streamer, you’re nothing but a Streamer…“

2. Der Ratscher
Früher sind die Menschen auf Konzerte gegangen, um sich Musik anzuhören. Das ist heute nicht mehr zwangsläufig so. Denn trotz WhatsApp ist der Kommunikationsbedarf enorm hoch. Das Neueste aus dem Büro, amouröse Gerüchte, Pläne zum Autokauf – das muss alles besprochen werden, am besten auf einem Konzert. Und am liebsten, wenn der Sänger ein bisserl leiser singt. Denn dann stört er weniger beim Ratschen. Und dann kriegen rundherum auch alle mit, dass die Nele und der Tim miteinander angebandelt haben, sie soll ja sogar schon schwanger sein. Langsame Lieder sind eh fad. Mehr geredet als auf einem Konzert in München wird nur bei Anne Will. Und das Erstaunlichste daran ist: Die Leute, die von der Musik am wenigsten mitkriegen, jubeln und klatschen am euphorischsten.
3. Der Standfeste
Es gibt natürlich Lieder, bei denen man aufstehen muss. Bei Satisfaction und I Was Made For Lovin’ You hält es niemand mehr auf dem Sitz, logisch. Bloß: Den modernen Konzertbesucher, der sich als zentraler Teil der Show begreift, reißt es vom ersten Lied an aus dem Sessel. Ach was, vom Öffnen des Vorhangs an! Yeah, Super-Vorhang, lass uns aufstehen und den Vorhang feiern! Alle anderen dahinter, die sich schöne Sitzplätze gekauft haben, müssen dann auch aufstehen, weil sie sonst ja nichts mehr sehen. Nur bei ganz leisen Liedern setzen sich die Standfesten manchmal kurz hin und nutzen die Zeit zum Ratschen.
4. Der Experte
Spezialisiert sich auf kleinere Events, zum Beispiel aufs Konzert von Dreiviertelblut im Lustspielhaus. Dort kann er sich quasi als Bandmitglied fühlen. Der Experte erklärt seinem Umfeld nach jedem Lied den tieferen Sinn des Textes und ruft der Band die Tonarten zu, die er vernommen hat. Gern klatscht er auch eigenhändig den Kastagnetten-Rhythmus, der das Lied erst richtig rund macht. Der Experte ist der wahre Star des Abends, und sein Blick in die Runde sagt: „Habt’s gesehen, wie schön ich die Kastagnetten gemacht habe, die die Band vergessen hat? Mei, was wären die ohne mich?“
5. Der Ausdruckstänzer
Niemand mag auf einem Konzert stillstehen. Aber der Ausdruckstänzer oder die Ausdruckstänzerin braucht mindestens zehn Quadratmeter, um die Vielfalt der Gefühle zu zeigen, die die Musik in ihm oder ihr auslöst. Beim Konzert von Roland Kaiser in der Philharmonie ausdruckstanzte dieses Jahr eine ältere Dame allein am Bühnenrand unter den Augen des erstaunten Sängers. Ihr raumgreifender Tanz erinnerte an die Sonnwend-Rituale slowenischer Landarbeiter. Nachdem sie die Ordner verscheucht hatten, schmollte die Midnight Lady (oder war’s Joana?) einige Minuten auf ihrem Platz, um gegen Konzertende ihre slowenische Landarbeit fortzusetzen. Ihre Intention war klar: Roland, manchmal möchte ich schon mit dir…
6. Der Selfiemacher
Der moderne Konzertbesucher kommt auf seinen Platz, wirft die Jacke von sich und schießt stante pede das erste Selfie. Titel des Werks: „Ich vor geschlossenem Bühnenvorhang.“ Superfoto, gleich mal instagrammen! „Oiso, mia san jetz do bei de Spiders!“ Während des Konzerts wird dann weitergeselfiet – was natürlich nur Sinn macht, wenn man mit dem Rücken zur Bühne steht, damit die Künstler (in der Größe eines Moskitos) auch auf dem Selfie zu erahnen sind. Deshalb verbringen immer mehr Leute halbe Konzerte mit dem Rücken zur Bühne. Sie besuchen quasi zu dritt ein Konzert nach dem Motto: „Me, Myselfie and I“.
7. Der Bierholer
Viele Menschen erreichen so ein Konzert ausgedörrt wie ein Sahara-Bewohner die rettende Oase. Vor lauter Ver- und Entsorgen bleibt dann kaum mehr Zeit zum Musikhören. Bier, Klo, Bier, Klo, Selfie mit dem Bier, übers Bierselfie ratschen, vielleicht auch Selfie auf dem Klo (weiß man nicht) – so bleibt auch das Umfeld in Schwung, wenn es den Bierholer alle paar Minuten vorbeilassen muss.

Gut, dass ja eh schon alle stehen (siehe „Der Standfeste“). Bierholer sind in Personalunion oft auch Platzsucher – also die Leute, die eine Karte für Block F1, Reihe 6, Platz 8 haben, die aber zielsicher F2 ansteuern, Reihe 8, Platz 6, und dann pikiert den ihnen zustehenden Platz einfordern. Gleich mal nach Hause WhatsAppen, wie mies die Münchner Konzertsäle beschildert sind! Am besten mit Selfie!
Jörg Heinrich
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