1. Startseite
  2. Kultur

Caroline Link warnt bei Expertenabend in München: Kinder in der Krise!

Erstellt:

Kommentare

Ein Herz für Kinder und Jugendliche: Oscar- und Grimmepreisträgerin Caroline Link.
Ein Herz für Kinder und Jugendliche: Oscar- und Grimmepreisträgerin Caroline Link. © Adrienne Meister

Regisseurin Caroline Link spricht heute mit Experten über die seelische Not von Kindern und Jugendlichen. Unser Interview mit ihr und Dr. Katharina Bühren über die Krise der Kinder.

Was ist los mit unseren Kindern und Jugendlichen? Immer mehr Eltern klagen über seelische Sorgen ihres Nachwuchses, spätestens seit der Corona-Pandemie. Regisseurin Caroline Link erzählt in ihrer Grimmepreis-prämierten Serie „Safe“, die im Herbst 2022 im ZDF lief und nach wie vor in der ZDF Mediathek abrufbar ist, von der Arbeit zweier Kinder- und Jugendtherapeuten. So einfühlsam, dass man als Zuschauer einen authentischen Einblick in die Sorgen der jungen Leute bekommt. Vor allem macht die Serie deutlich, wie wichtig es ist, die Probleme von Kindern und Jugendlichen ernst zu nehmen, ihnen zuzuhören, sie zu sehen. Am 24. Mai 2023 wird die erste Folge von „Safe“ im Kinosaal der Sozialeinrichtung SHAERE Neuperlach bei einem Expertengespräch gezeigt. Auch Caroline Link und Katharina Bühren, Ärztliche Direktorin des kbo-Heckscher-Klinikums, werden dabei sein. Los geht es um 18 Uhr im SHAERE Neuperlach, Fritz-Schäffer-Straße 9. Anmeldung via E-Mail an anmeldung@kindergesundheit.de. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklären sie, was Politik und Gesellschaft tun können, um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Und wie auch jeder persönlich in seinem Umfeld wirken kann.

Haben die Kinder und Jugendlichen seit der Zeit der Lockdowns wirklich vermehrt psychische Auffälligkeiten entwickelt?

Dr. Katharina Bühren: „Die Corona-Pandemie“ als Grund für alles, dagegen wehre ich mich. Allerdings zeigt die große Copsy-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, die die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen untersucht, dass diese sich während der Pandemie tatsächlich verschlechtert hat. Übrigens auch die der Eltern. Und umso jünger die Kinder, desto mehr sind sie vom psychischen Zustand der Eltern abhängig. Auch der Kinder- und Jugendreport der DAK zeigt in den vergangenen zwei Jahren: mehr stationäre Aufnahmen, depressive und Essstörungen bei Jugendlichen, bei Kindern eher emotionale und Entwicklungsstörungen. Bisher gibt es allerdings noch keine repräsentative Studie, die das belegt.
Caroline Link: Corona war ein großer Verstärkungsmechanismus, aber wir können nicht alles auf die Pandemie schieben. Damit machen wir es uns zu leicht. Die ganze Gesellschaft steht unter Druck. Das wird heute Abend auch Dieter Reithmeier vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband bestätigen: Der Lehrplan ist seiner Ansicht nach veraltet, es ist zu viel Druck auf Kindern und Eltern. Den Kindern geht es zum Teil wirklich nicht gut, vor allem den sozial benachteiligten. Da kann man nicht immer nur sagen: Ja, diese blöde Pandemie.

Deshalb veranstalten Sie heute den Diskussionsabend. Um zu zeigen, dass etwas geschehen muss?

Caroline Link: Ja, uns geht es darum, für die niedrigschwelligen Hilfsangebote zu werben, die es bereits gibt, und darum, sie weiter auszubauen. Kinder und Jugendliche sollen schon ab der Grundschule wissen, an wen sie sich wenden können, wenn ihnen das Leben über den Kopf wächst. Damit sie möglichst nie bei Katharina in der Psychiatrie anklopfen und um Hilfe bitten müssen.

Wie können wir sie stärken? Als Eltern, Schule, Gesellschaft?

Caroline Link: Manchmal ist es gar nicht viel. Wenn ich mich mit Freundinnen darüber unterhalte, wie wir mit unserem Leben klarkommen, kommen wir doch immer wieder schnell zurück in unsere Kindheit. Da fallen dann Sätze wie „Mein Vater hat mir nie was zugetraut“. Oder „Ich war in der Familie immer das schwarze Schaf“. Mit der Serie „Safe“ und dem heutigen Abend wollen wir eine Sensibilität dafür schaffen, dass Kinder sehr genau hinhören, dass es wichtig ist, wie wir mit ihnen sprechen. Und dass wir alles dafür tun sollten, auf eine gesunde, authentische Weise das Selbstwertgefühl von Kindern zu stärken. Das heißt nicht, alles toll zu finden, was sie tun. Also nicht bei jedem Gekritzel zu sagen: „Wow, großartig, du bist ja ein Genie!“ Sondern auch kleinen Kindern was zuzutrauen. Ihnen Erfolgserlebnisse zu gönnen. Etwa: „Du gehst heute mal zum Bäcker. Ich trau dir das zu. Ich glaube, du bist schlau, du kannst das.“
Dr. Katharina Bühren: Durch solche Ermutigungen gehen Kinder gestärkt durchs Leben. Umso stabiler das soziale Umfeld ist und umso mehr die Kinder eine erwachsene Bezugsperson haben, der sie wirklich vertrauen, desto größer wird ihr Selbstwertgefühl. Diese Bezugspersonen müssen nicht die Eltern sein. Das kann eine Tante sein, eine Kindergärtnerin, ein Nachbar, das kann sich auf viele verteilen. Diese Personen können dem Kind eine gesunde Streitkultur vorleben und einen gesunden Lebensstil. Ihnen zeigen: Ich esse regelmäßig, ich schlafe regelmäßig. Auch Sportvereine, Hobbys grundsätzlich sind wichtig. Wo Kinder und Jugendliche mit Gleichaltrigen zusammen sind, wo man ein gleiches Ziel verfolgt. Und wo sie ein bisschen Entspannung haben neben dem stressigen Alltag. Auch: raus in die Natur, an die frische Luft. Das sind alles Dinge, die man früher im klassischen Dorfleben hatte. Es heißt ja nicht umsonst: „Man braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.“ Doch inzwischen hat sich immer mehr auf die Kernfamilie fokussiert, während der Pandemie noch verstärkt. Das überfordert.

Zuhören, Sorgen ernst nehmen: So macht es Therapeut Tom (Carlo Ljubek, l.) bei seinem Patienten Sam (Valentin Oppermann) in der Serie „Safe“.
Zuhören, Sorgen ernst nehmen: So macht es Therapeut Tom (Carlo Ljubek, l.) bei seinem Patienten Sam (Valentin Oppermann) in der Serie „Safe“. © Julia von Vietinghoff

Die Serie macht deutlich, wie vorschnell wir urteilen, bei Aussagen eines Kindes etwa einen erlebten Missbrauch unterstellen. Was ist, wenn man einen solchen Verdacht hat? Was sollte man tun?

Caroline Link: Darüber haben wir viel gesprochen, auch in der Vorbereitung unserer heutigen Veranstaltung: Für was genau werben wir denn eigentlich? Lehrer beispielsweise haben ja ohnehin schon viel mit so einem Flohhaufen in der Klasse zu tun – da ist es schwierig, auch noch Zeit dafür zu finden, ein Kind rauszunehmen und zu sagen: Komm, wir reden jetzt mal, wie geht’s dir denn? Deshalb möchten wir heute auch ein Zeichen an die Politik senden, wie wichtig es ist, die vielen Initiativen zu stärken, die es bereits gibt, um Lehrerinnen und Lehrern beiseitezustehen. Vertrauenslehrer etwa, die psychologisch geschult sind. Die Kindern Zeit schenken, in der sie sich ernsthaft und kompetent mit ihnen beschäftigen. Damit die Kinder lernen: Ich muss nicht alles aushalten, ich kann auch was sagen, ich darf das erzählen, dass der Onkel mich anfasst oder sonst irgendwas. Diese Hemmschwelle müssen wir niedrig legen. Es muss klar sein: Nix ist tabu, nix ist blöd, du bist nicht schuld, erzähl’s mir. Wir müssen Sensibilität schaffen dafür, dass die mentale Gesundheit der Kinder genauso wichtig ist wie die körperliche. Natürlich hat das mit Zeit zu tun und Zeit hat immer mit Geld zu tun.

Wobei man langfristig ja Geld spart, wenn man präventiv handelt. Wer in die psychische Gesundheit der Kinder investiert, muss später keine kranken Erwachsenen finanzieren.

Caroline Link: Exakt. Die Krankenkassen wehren sich berechtigterweise dagegen, dass jetzt jeder Teenager, der Liebeskummer hat, sagt, ich brauche eine Therapie, sonst bringe ich mich um. Das kann man nicht finanzieren. Beginnen wir doch damit, in den Schulen einen Menschen zu finanzieren, der zumindest einmal in der Woche da ist und Kindern ganz konkrete Hilfestellungen bietet. Wo sie einfach hingehen können, ohne ihre Eltern fragen zu müssen, und eine Person antreffen, die anerkennt, dass sie ein Problem haben.

Probleme, die Erwachsene gern runterspielen...

Caroline Link: Genau. Auch wenn man noch klein oder jung ist, kann Kummer und Schmerz schwer wiegen. Ein Kind denkt, die Welt geht unter, dabei würde ein Erwachsener vielleicht sagen „Na ja, mein Gott, da ist eine bös zu dir, das ist nicht das Ende der Welt“. Nein, für so ein Kind fühlt es sich an wie das Ende der Welt. Oftmals rutschen die Kinder ja auch in ein schwereres Problem, weil sie sich über viele Jahre nicht gesehen gefühlt haben. Und sich erleben als jemanden, der offensichtlich für die Welt uninteressant ist. Wenn dann mal jemand da ist, der sagt: „Was bedrückt dich?“, und der die Antworten ernst nimmt, wäre das ein großer Schritt. Ich fände es so toll, wenn es in jeder Schule eine Tür gäbe, an die man klopfen kann als Kind und sagt: „Ich will Ihnen was erzählen!“ Und dass dann jemand sagt: „Gerne, komm rein.“
Dr. Katharina Bühren: Es gibt Studien darüber, dass schon Zeit und Interesse an einer Person unheimlich viel bewirken können. Auch in der Psychotherapie macht bis zu 50 Prozent des Behandlungserfolgs die Beziehung zwischen Patient und Therapeut aus. Damit kann man unglaublich viel bewegen, ohne irgendein Fachwissen zu haben.

Katharina Bühren, Ärztliche Direktorin des kbo-Heckscher-Klinikums.
Katharina Bühren, Ärztliche Direktorin des kbo-Heckscher-Klinikums. © ZDF

Der Aufruf an die Politik also: Hier investieren!

Dr. Katharina Bühren: Unbedingt. Allerdings muss man leider auch hier sagen, dass Fachkräfte Mangelware sind. Insofern brauchen wir einerseits finanzielle Unterstützung, gleichzeitig aber auch eine verbesserte Koordination von höherer Stelle. Eine gute Bündelung der Ressourcen, um diese möglichst effektiv einsetzen zu können zu einem frühzeitigen Zeitpunkt. Da ist es auch an den Krankenkassen, mehr in Prävention zu investieren.
Caroline Link: Ich habe gerade eine Petition unterschrieben, die sich dagegen wendet, dass die Psychologiestudierenden ihre Psychotherapeuten-Ausbildung in erheblichem Maß selbst finanzieren müssen. Das ist eine derart teure und langwierige Ausbildung, dass sie sich viele gar nicht leisten können. Da musst du ja mindestens 20 000 bis 30 000 Euro reinbuttern. Und dann gibt es zu wenig Zulassungen für Therapeutinnen und Therapeuten. Hier muss dringend etwas verändert werden.

In „Safe“ schaut man zwei Psychotherapeuten bei der Arbeit zu. Aus Ihrer professionellen Warte aus betrachtet, Frau Bühren: Hat Caroline Link den Ton authentisch getroffen?

Caroline Link: Katharina, pass auf, was du jetzt sagst! (Lacht.)
Dr. Katharina Bühren: Da kann ich guten Gewissens mit Ja antworten. Diese beiden Therapeuten haben zwar besonders viel Zeit für ihre Patienten, was leider nicht immer der Realität entspricht. Aber grundsätzlich sieht man hier genau das, was in einer Psychotherapie passiert. Es wäre wünschenswert, wenn alle, die einen Therapieplatz benötigen, ihn auch bekämen, die Realität ist, dass viele darauf lange warten müssen und es ihnen dann deutlich schlechter geht, sodass so ein Angebot vielleicht auch nicht mehr hilft.

Planen Sie eigentlich eine Fortsetzung, Frau Link?

Caroline Link: Nein. Die Arbeit an der Serie war für mich eine tolle, wahnsinnig lehrreiche Zeit, aber auch unheimlich anstrengend. Das muss jemand anderes machen – aber ich glaube, das ist nicht geplant.

Auch interessant

Kommentare