Die kühne Schöne: Hamburger Elbphilharmonie feiert fünften Geburtstag

Selbstbewusst trotz Corona: Die Hamburger Elbphilharmonie feiert ihren fünften Geburtstag und ihre Erfolgsgeschichte. Ohne Party-Sause, aber mit einem Festkonzert, in dem ausschließlich Musik der Moderne erklingt.
Echte Profis machen’s ohne. Halten unten auf Hafenhöhe ihr Ticket gekonnt in den Scanner. Präsentieren dem freundlichen Personal („Moin, moin!“) die Corona-App. Fahren ungerührt mit der 80 Meter langen, kühn gebogenen Rolltreppe nach oben. Lassen auf der Plaza die spektakuläre Aussicht Richtung Hafen rechts liegen. Und streben auf Stockwerk elf gezielt zu „Garderobe Süd“ oder „Nord“, um noch eine Treppe höher ihren Platz zu suchen: Auf Ebene zwölf geht’s hier erst richtig los. Und die anderen? Drohen festen Blickes aufs Handy schon auf der Rolltreppe Halt zu verlieren. Knipsen nach vorn, zurück, sich selbst, die Chips glühen. Alles will festgehalten werden bis zum Posieren auf der zugigen Terrasse. Und erst diese verzwickt verwinkelten Foyers! Und dann der Saal! Musik? Stimmt, da war noch was.
Elbphilharmonie: 100 Prozent Auslastung erlaubt
Letztere Gruppe, die „nur“ ins Haus Verliebten, wird offenbar kleiner. Doch vom Normalfall ist die Elbphilharmonie weit entfernt. Eine kühne Schöne, die sich noch immer gern bestaunen lässt – obgleich sie „nur“ eine kleine, etwas eingebildete Rotznase ist. Fünfter Geburtstag, Zeit für ein Festkonzert also. Aus bekannten Gründen etwas abgespeckt. Die für draußen gedachte Licht- und Laser-Show des Künstlerduos Drift gibt’s erst im April und Frei-Sekt mit Häppchen an diesem Abend gar nicht. Dafür hockt man Sitz an Sitz. 100 Prozent Auslastung erlaubt, als Gast aus Bayern schaut und hört man mit Herzweh ins funkelnde Terrassenrund: So klingt Applaus im vollen Saal.
In einer Reihe mit Neuschwanstein und dem Brandenburger Tor
Corona mag die Nachfrage gebremst haben, der Hype ums Haus geht weiter. So weit, dass man Besucherinnen und Besuchern Kost unterjubeln kann, die sie andernorts verschmähen. Vor fünf Jahren, als Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck dem Wintersturm trotzen mussten, verspätet in der Hafencity aufkreuzten und das Konzert um eine halbe Stunde verschoben wurde, da gab’s einen Programm-Promenadenmix mit dem Schluss aus Beethovens unvermeidlicher Neunter. Und jetzt? Alles aus dem 20. und 21. Jahrhundert. Nix Klassik, nix Romantik. Sogar als Zugabe spielt Pianist Kirill Gerstein ein Stück von Gyorgy Ligeti, der hat lange in Hamburg gewohnt.
Die Elbphilharmonie: eine Hamburger „Lovestory“
„Für ein klassisches Festkonzert ist das außergewöhnlich, für die Elbphilharmonie nicht“, sagt Intendant Christoph Lieben-Seutter in seiner Festrede. Bürgermeister Peter Tschentscher liest Ähnliches vom Manuskript ab: „Hamburg gilt als Tor zur Welt, die Elbphilharmonie ist ein Tor zu Hamburg geworden.“ Sieben Stunden zuvor, bei der Pressekonferenz im Kleinen Saal, wird auf Englisch schultergeklopft, wobei Kultursenator Carsten Brosda am flüssigsten parliert. Die Elbphilharmonie gebe eine Idee davon, was Deutschland in der Zukunft sein könnte. Bisher werde das Land doch nur mit Brandenburger Tor oder Neuschwanstein identifiziert, mit keinem Monument also aus der demokratischen Periode der Nation. Auch das sei dank der Hamburger „Lovestory“ nun anders.
Alan Gilbert, Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters, lobt dazu passend die demokratische Architektur. Es stimmt ja: Alle sitzen um die Musik herum, ein riesiges Klanglagerfeuer. Dass die Plätze hinterm Orchester akustisch anfechtbar sind, kümmert eigentlich nur die Kritiker. Alle anderen genießen den Blick auf den Dirigenten – und meistens in den Saal. Vor allem aber ist viel Platz für akustische Experimente. Zur Fanfare „Tromba Lontana“ von John Adams schicken zwei Trompeter von oben ihre stählernen Rufe ins Rund. Bei „Wing on Wing“ von Esa-Pekka Salonen, dirigierender Komponist und selbst beim Festkonzert anwesend, wandern Anu und Piia Komsi auf die verschiedenen Ebenen, um stratosphärische Sopran-Vokalisen kurz vor dem Ultraschall ins Riesenorchester zu mischen.

Überhaupt die Besetzung: Noch immer verträgt die Elphi Monumentales ausnehmend gut. Die überscharfe Akustik hilft, dass man Gruppen und Soli gut orten kann. Je höher es im Tonregister geht, desto kühler und gläserner wird es bis zur Trommelfellbohrung. Das hat sich seit der Eröffnung gebessert und wird sich, das zeigen andere Säle des in Hamburg tätigen Akustikers Yasuhisa Toyota, weiter beruhigen. Was bleibt: Publikumsgeräusche sind fast so präsent wie die Musik. Zweimal muss Alan Gilbert mit dem Beginn eines Stücks warten. Doch wenigstens hier hilft Corona, Husten traut sich so gut wie keiner mehr.
Vor dem Festprogramm muss sich keiner gruseln. Weder vor Salonens Klangstoffsammlung, noch vor dem stampfenden „Short Ride in a fast Machine“ von Adams, noch vor dem daueraufgeregten Klavierkonzert von Thomas Adès. Es sind Werke, mit denen die Moderne das Publikum anzurempeln scheint: Hey, mich kann man echt mögen. Auch tags zuvor, beim Konzert des Philharmonischen Staatsorchesters, ist das so. Das Massen-Werk „Arche“ von Jörg Widmann, 2017 während der Eröffnungswoche uraufgeführt, musste gestrichen werden. Zu viele Beteiligte. Dafür ist der Komponist mit anderen Werken vertreten, unter anderem mit drei „Schattentänzen“ für Klarinette solo, von ihm selbst gespielt und aufs Instrument geklopft. Nach der Pause dirigiert Kent Nagano Beethovens Achte. Und eine solche fein ausgehörte, borstig-elegante Deutung hätte man dem früheren Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper nie zugetraut.
Elbphilharmonie: die Feier geht weiter
Eine ganze Weile soll in der Elbphilharmonie noch gefeiert werden. Von Corona mag man kaum reden, von den Kosten gar nicht mehr. Und es stimmt ja auch: Die 866 Millionen Euro sind – trotz Skandale – gar nicht schlecht angelegt. Über 3,3 Millionen Besucher im Saal seit 2017, sogar 15 Millionen auf der Plaza, rund 2500 Konzerte trotz Lockdowns, all das spricht für sich. Was man von der Elphi lernen kann: wie Kultur in einer Stadt zur Hauptsache werden kann. Und wie man Projekte, die aus dem Ruder laufen, künftig besser steuern kann.
Ein Vorbild also für gute und schlechte Tage. Nachtreten gilt nicht. Wer mit den Verantwortlichen spricht, registriert ein Lächeln hinter vorgehaltener Hand Richtung Bayern. Ihr, so wird gelästert, habt doch allein 15 Jahre gebraucht, um ein Grundstück fürs Konzerthaus zu finden. Eine in jeglicher Hinsicht beispiellose Erfolgsgeschichte also. Covid stutzt gerade alles Richtung Normalmaß. Schwarzmarktpreise in Höhe von mehreren tausend Euro muss keiner mehr zahlen. Die Elphi baut mittlerweile auf einen gesunden Abo-Stamm aus Stadt und Umkreis. Und viel spricht dafür, dass gerade hier neue Konzertformen und -strukturen ausprobiert werden können. Prognosen? Mutmaßlich nur die besten. Das Haus beantwortet das mit einer hübschen Plakatkampagne, auf der Kinderfotos von Promis zu sehen sind. „Hamburger Legenden wissen: Der fünfte Geburtstag ist erst der Anfang.“