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Die Facetten des Verführers

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München - Christian Stückl inszenierte am Münchner Volkstheater Shakespeares „Richard III.“

„Zur Hölle hast Du uns die Welt gemacht.“ Diese Hölle will Christian Stückl mit seiner Inszenierung von William Shakespeares „Richard III.“ (Übersetzung: August Wilhelm Schlegel) zeigen. Das Stück hatte am Donnerstagabend am Münchner Volkstheater Premiere.

Düsternis umfängt die Bühne. England ist zerfleischt von den Adelsfamilien, die um die Vorherrschaft kämpften. Da tut sich eine Idylle auf. Anthrazitfarbene Wandplatten schieben sich zur Seite und geben den Blick frei auf eine sonnige Wiese samt Schaukel und Familienharmonie bei „Königs“ (Bühne: Alu Walter). Etwas abseits, am Rand zur grauen Öde, steht ein fescher Kerl im Dreiteiler.

Nico Holonics ist Richard, Herzog von Gloucester, der sich zum König mordet. „Richard III.“ ist eines der härtesten und hoffnungslosesten Dramen des Elisabethaners. Nicht nur der tückische Herzog aus dem Geschlecht der York, sondern auch alle anderen, egal ob Mann, ob Frau, sind nur auf Macht, Besitz, Einfluss, hohen Rang aus. Auf Biegen und Brechen muss eine Position her, die einen befähigt, den Übrigen den eigenen Willen aufzwingen zu können. Es scheint, als gäbe es keine anderen Werte mehr. Diese Shakespeare’sche Politik-Analyse arbeitet Stückl hervorragend heraus. Allerdings manchmal etwas übertrieben: wenn etwa Richard den Bischof und Buckingham zwingt, das gekochte Hirn von Hastings „an Vinaigrette und Lavendelmousse“ zu verspeisen.

Im Übrigen hat der Regisseur das große Untergeher-Stück stramm, aber nicht schlecht gekürzt – auf rund zweieinhalb Stunden. Viele Figuren sind verschwunden oder zusammengezogen worden in einen „Funktionsträger“. So sind alle Killer-Gehilfen Richards in Catesby (Justin Mühlenhardt) vereinigt, für den sich die Regie einen ebenfalls verzichtbaren Clou dazuerfunden hat. Am Ende, in der tödlichen Schlacht, küsst der enttäuschte Scherge seinen Richard auf den Mund, um ihn alsbald abzustechen.

All diese Schlenker schmälern nicht die gedanklich ausgereifte Inszenierung, die Shakespeares „Richard III.“ auch erzählerisch gerecht wird. Obwohl der einen mit seinen vielen gleichnamigen Edwards, Yorks und Lancasters ganz schön verwirrt. Was Christian Stückl wohl notgedrungen extrem reduzieren musste und was ein echter Verlust ist, denn er setzt ja gern starke Frauen in Szene, ist die großartige, grausige Königinnen-Episode. Selbst die eigene Mutter verstößt Richard. Diese Mittäterinnen, Nutznießerinnen, aber auch als Hinterbliebene von ermordeten Männern, Vätern, Brüder und Kindern maßlos Leidenden verfluchen in antiker Wut Richard. Aber dem Prinzipal des Volkstheaters fehlt es (Finanzgründe) an imposanten älteren Schauspielerinnen; immerhin schlägt sich Ilona Grandke als alte seherische Furie Margaret, eine Ex-Königin, achtbar.

Dafür hat Stückl in Nico Holonics einen exzellenten Richard. Ein alertes Bürschchen, kein „Verwachsener“, als der er sonst gern dargestellt wird, sondern ein gelangweilter Oberschicht-Knabe, der zum Zeitvertreib um die Krone spielt. Dabei metzelt er Menschen so leichthin wie heute die Burschen beim Computerspiel. Holonics schildert klug dosiert den Soziopathen von nebenan, dem man eben nicht gleich ansieht, dass er ein Vernichter ist. Stattdessen lässt er die Facetten des Verführers funkeln. Die Inszenierung unterstreicht dabei, wie gern sich viele verführen lassen. Nach und nach entwickelt sich Holonics’ Richard zum bestialischen Verbrecher, der keinerlei Hemmungen mehr kennt; selbst solche nicht, die ihm nützen und ihn schützen könnten.

Neben ihm gestaltet Xenia Tiling als Lady Anne beeindruckend eine Verführbare. Sie heiratet Richard, obwohl er ihren Mann und Schwiegervater ermordet hat. Die Schauspielerin zeigt jenes Seelenzittern, wenn man sich selbst unbegreiflich geworden ist. Thomas Kylau spielt den Bischof nicht als Verführbaren, sondern – durchaus mit komischen Schnörkeln – als schwachen Widerständigen. Dabei gelingt ihm unter Stückls Regie eine gute Studie eines vor Angst Gelähmten.

Absolut willig lässt sich Stefan Murrs Buckingham verführen, zumal er glaubt, er selbst halte die Fäden der Macht in der Hand. Bei Murr ist er ein eigentlich sympathischer Nadelstreifen-Politiker – alle tragen aktuelle Kleidung –, der zwar Bedenken hat, dennoch bei fast allem mitmacht.

So ist Stückl und seinem Volkstheater-Team, ohne dass es krampfhaft Aktualität beschwören müsste, eine präzise, heutige, zugleich geschichtsbewusste Analyse von Mensch, Macht und Moral gelungen.

Simone Dattenberger

Die Handlung

Der Herzog von Gloucester, später Richard III., sieht seine Chance, König zu werden, gekommen, als Edward IV. darniederliegt. Rücksichtslos benutzt Richard Menschen, räumt Verwandte und Freunde, Kinder und Frauen aus dem Weg, um sein Ziel zu erreichen – bis der Widerstand so groß ist, dass sich alle gegen ihn verbünden und er in der Schlacht fällt.

Die Besetzung

Regie: Christian Stückl. Bühne: Alu Walter. Kostüme: Uta Gruber-Ballehr. Darsteller: Nico Holonics (Richard), Robin Sondermann (George, sein Bruder, und Hastings), Alu Walter (König Edward IV.), Ursula Burkhart (Elisabeth), Ilona Grandke (Königin Margaret), Xenia Tiling (Anne), Stefan Murr (Buckingham), Thomas Kylau (Bischof), Justin Mühlenhardt (Catesby), Axel Röhrle (Stanley), Christoph Baumann (Rivers) u.a.

Weitere Aufführungen

diesen Samstag und 4., 5., 11., 12., 23., 25. Dezember.

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