Gayle Tufts über Deutschland und die USA, Populismus und Mitmenschlichkeit

Im Gespräch switcht sie immer wieder von Deutsch nach Englisch und zurück. Keine Frage, Gayle Tufts wandert zwischen den Welten, zwischen den USA, woher sie stammt, und der deutschen Hauptstadt, wo sie seit fast drei Jahrzehnten lebt. Am Samstag um 20 Uhr gastiert die Entertainerin, Autorin des Buchs „American Woman“, im Münchner Lustspielhaus. „American Woman“ lautet auch der Titel ihres Bühnenprogramms.
Der Abend heißt „American Woman“ – inzwischen sind Sie aber Deutsche geworden. Müsste er nicht konsequenterweise „German Woman“ heißen?
Ich beschäftige mich genau mit dieser Frage. Ich beschreibe den Entscheidungsprozess, nach 27 Jahren in Deutschland Deutsche zu werden, beginnend mit der Wahlnacht vom 9. November 2016 und endend mit meinem Gang ins Einbürgerungsbüro. Es ist ein Liebesbrief an beide Seiten.
Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten war der Grund für den Wechsel der Staatsbürgerschaft?
Well, es war the last Straw, wie wir sagen würden, das i-Tüpfelchen, aber der eigentliche Grund ist, dass ich hier lebe und hier meine Steuern zahle. Ich wollte Anteil haben an dem Privileg, hier auch über die Politik mitzubestimmen. Ich habe am Sonntag zum ersten Mal als Europäerin gewählt, das war etwas ganz Besonderes für mich.
Über Sie wird gesagt, Sie bauten Brücken zwischen den USA und Deutschland – wo liegen denn die größten Missverständnisse?
Es kommt immer darauf an, auf welcher Seite man gerade steht. Ich war neulich mit meinem Pianisten Marian Lux und dessen Eltern zum Essen. Und sein Vater, der aus Polen stammt und in der DDR groß geworden ist, meinte: „Die Amerikaner sind so oberflächlich. Freundlich, aber oberflächlich!“ And ich sagte: Nein, das scheint nur so. Wir denken eben positiv, wir sind freundlich, ja, man macht sich und anderen das Leben leichter, wenn man nett ist zueinander.
Und was sagen die Amerikaner über die Deutschen?
Dass die Deutschen humorlos sind. Aber das ist natürlich nicht der Fall, und was ich sehr interessant finde, ist die Regionalität des Humors. Es wird viel gelacht, aber im Norden anders als im Süden.
Gibt es auch Gemeinsamkeiten zwischen Deutschen und Amerikanern?
Ich glaube, was beide gemeinsam haben, ist eine tiefe Liebe zur Musik, zum Theater, zum Entertainment. Zur Kultur, wie man hier sagen würde. Vielleicht empfinde ich das so, weil ich in dieser Branche tätig bin, aber, doch, das ist so. Deutschland hat natürlich eine viel längere Geschichte, die USA sind ein junges Land – wir sind ja noch nicht mal 250 Jahre alt. Wir haben ein ganz anderes Gefühl für Zeit, ich sage immer: Bei uns steht schon Britney Spears unter Denkmalschutz.
Sie kritisieren, wie viele andere auch, Donald Trump und sein „America first“. Aber Nationalisten gibt es auch in Europa…
Ich habe neulich NPD-Plakate gesehen, auf denen stand: „Widerstand wählen!“. Und ich habe gedacht: Jetzt im Widerstand zu sein heißt also, Nazi zu sein! Das ist crazy! Aber egal ob in Deutschland, Ungarn oder Frankreich – es ist überall dasselbe! Die Welt ist kompliziert, und die Leute suchen einfache Antworten. Natürlich sind das nicht wirklich Antworten, aber es klingt halt gut. Ich glaube, es ist wichtig, im Gespräch zu bleiben. Menschlich zu bleiben. Ich versuche das auf der Bühne, ich lese und ich singe, erzähle Geschichten, wir lachen, dann weinen wir ein bisschen und dann lachen wir wieder. Mitmenschlichkeit ist das, was wir jetzt brauchen.
Verstehe ich Sie richtig, dass der Aufstieg der AfD auch damit zu tun hat, dass es an Mitmenschlichkeit fehlt?
Ich glaube, die Leute haben das Gefühl, sie werden nicht gehört. Das beobachte ich auch in Amerika bei denen, die Trump gewählt haben. Leute, die ihren Job verloren haben, Steuerzahler, die sich fragen, wohin ihr Geld fließt. Menschen, die den Politikern misstrauen. Das Gefühl: Ich bekomme etwas weggenommen. Ich hatte gerade ein Treffen mit dem Rundfunkchor Berlin, mit dem wir ein Programm zu 30 Jahren Mauerfall machen. Das war früher ein Ostchor, und wenn man mit den Leuten spricht, dann sagen die: „Wir wollten unser Land verändern, wir wollten nicht, dass es aufhört zu existieren.“ Es gibt viele Gründe für Unzufriedenheit. Wichtig ist, miteinander im Gespräch zu bleiben.
Das war ja zuletzt die Devise in der Politik: Wir müssen den Leuten im Osten zuhören. Aber es ist nicht besser geworden…
Noch nicht! Natürlich müssen die großen Fragen beantwortet werden: Wo liegen die Grenzen des Kapitalismus? Wie geht es weiter mit unserem Planeten? Aber wir müssen uns auch im Kleinen engagieren, in unserer Nachbarschaft, und, ja, das klingt vielleicht amerikanisch einfach, vielleicht öfter mal lächeln. Älteren die Tür aufhalten, einer Schwangeren den Platz im Bus anbieten. Das tut uns doch allen gut.
Ein Wort zur Europawahl mit dem guten Ergebnis für die Grünen in Deutschland, aber auch mit guten Ergebnissen für die Rechtspopulisten – und für den Brexit…
Gott sei Dank haben die Rechten nicht so gut abgeschnitten wie vorhergesagt. Und dass viele Menschen die Grünen gewählt haben, finde ich gut. Das wird interessant in Brüssel. Und der Brexit – ach, lassen wir das! Als die Mauer fiel, habe ich gedacht: Yeah, Demokratie für alle in Europa! Ich hatte noch das Bild von David Hasselhoff an der Mauer vor Augen und seinen Song im Ohr: „I ’ve been looking for Freedom!“ Heute sage ich: We should have known damals, that what begins with a Soundtrack of David Hasselhoff, wird nicht gut ausgehen.
Das Gespräch führte Rudolf Ogiermann.
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