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Günther Groissböck über Kultur nach Corona, dunkle Lieder und feige Kollegen: „Alles muss raus“

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Günther Groissböck
„Wir dürfen nach Krisenzeiten nicht nur Triviales bieten“, fordert Bassist Günther Groissböck. © Dominik Stixenberger

Pflegeleicht, das passt weniger zu Günther Groissböck. Man höre dazu nur das Programm seiner CD „Nicht wiedersehen!“ Auch während der Pandemie hat der Bassist kein Blatt vor den Mund genommen. Ein Gespräch über sein jüngstes Album und die Corona-Nachwirkungen.

Ein sehr dunkles bis nihilistisches Programm haben Sie da für Ihre CD zusammengestellt. Typisch Österreicher?

Eher typisch für meine Lied-Programme. Beginnend mit der „Winterreise“ über den „Schwanengesang“ und die selbst zusammengestellte CD „Herztod“ ergeben sich die Programme oft so. Es liegt immer auch an der Frage, welches Repertoire sich besonders für tiefe Stimme eignet. In einem Londoner Konzert habe ich zum Beispiel den zweiten Teil von „Nicht wiedersehen!“ schon einmal gesungen und gemerkt, wie das die Leute packt. Es ist da sozusagen als Programm-Experiment ein stringenter, logischer und düsterer Soldatenlieder-Zyklus entstanden.

Ist es nicht schwierig, die Zuhörerinnen und Zuhörer nach den vergangenen zweieinhalb Jahren mit dieser heftigen Literatur zu konfrontieren?

Ich bin mir schon bewusst, dass ich die Leute irgendwo abholen muss und es durchaus problematisch sein kann, es dort zu tun, wo sie vielleicht nicht unbedingt abgeholt werden wollen. Ich finde die Aussagen dieser Stücke allerdings sehr wichtig. Vielleicht bin ich ja ein Auslaufmodell – aber diesbezüglich eines aus Überzeugung. Wir müssen in der Kunst aufpassen, dass wir nach großen Krisenzeiten nicht nur Triviales, leicht Verdauliches à la „Förster vom Silberwald“ oder die 25. CD mit kitschigen Weihnachtsliedern bieten. Also kein neues Pseudo-Biedermeier, wie das zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg passiert ist. Wir müssen bei der Inhaltlichkeit bleiben.

Unter anderem singen Sie die „Zueignung“ von Strauss, ein beliebtes, lichtes Zugabenstück. Darauf fällt nun irgendwie ein Schatten.

Generell ist es faszinierend bei Liedern, dass sie je nach Stimmlage neu beleuchtet werden und sich oft ganz neue Perspektiven auftun. Bei „Zueignung“ habe ich immer Jessye Norman mit ihrer klassischen Diven-Zugabe vor Augen beziehungsweise Ohren. Aber es ist eben auch ein anderer Zugang möglich. Und der Zuhörer hat die Möglichkeit, das zu wählen, was er als richtig und passend empfindet.

Demnach haben Sie auch eine schwarze Seele?

Wenn man so will: ja. Ich habe gerade den „Rosenkavalier“-Ochs in Wien gesungen, danach in München den Kezal in der „Verkauften Braut“, beides komische Rollen. Und wenn ich so etwas im Kalender habe, brauche ich eine Art Gegengewicht – damit meine andere Seite abgebildet werden kann. „Nicht wiedersehen!“ war eine Art selbstreinigender Prozess. Manches hat also einen sehr persönlichen Bezug. Insofern ist es eine schöne Sache, wenn man das Lied für sich konstruktiv, künstlerisch und kathartisch nutzen kann.

Selbstreinigung: Was war denn da, was wegmusste?

Alles Mögliche an Erfahrungen, Erlebnissen, Enttäuschungen. Alles, was einen im Alltag einholt und dem man sich stellen muss. Diese Musik bietet auch eine Art therapeutische Möglichkeit.

Edita Gruberova sagte immer, ohne Singen hätte sie dauernd zum Psychotherapeuten gemusst.

Bei mir ist das auch so. Ich könnte ein herausfordernder Fall für die Gesellschaft werden, würde ich nicht diesen Beruf ausüben. Spaß beiseite: Ich würde schon etwas anderes finden… Aber man hat eben Dinge in sich drinnen, die rausmüssen. Bei Mahler und Strauss tauchen wir außerdem in eine Zeit ein, die durchaus Parallelen zur Gegenwart hat. Dazu kommt die überzeitliche Botschaft von großer Kunst.

Kann auch ein Nicht-Österreicher oder Nicht-Deutscher die Mahler- und Strauss-Aussagen erfühlen?

Ja. Ich glaube, es ist eine grundsätzliche seelische Sache. Natürlich ist es so, wenn man in der Gegend von Mahler oder Bruckner aufgewachsen ist, dass man irgendwie näher dran ist. Es geht nicht nur um die Unmittelbarkeit der Erfahrungen, sondern auch um Bilder, Eindrücke, Landschaften, die der Komponist gesehen, gefühlt und gerochen hat.

Wie unmittelbar müssen diese Emotionen dargestellt werden? Wie wichtig ist Distanz bei der Interpretation gerade eines dunklen Liedes?

Es ist klar, dass man berührt wird. Deshalb ist auch so viel Distanz nötig, dass man als Sänger noch funktionieren kann. Das ist ganz schwierig, gerade bei Stücken wie „Befreit“ von Strauss, diesem Abschiedslied, weil man unheimlich schnell hineingezogen wird. Normalerweise ist es bei einer CD-Aufnahme so: Man macht zwei, drei Takes und hört sich die zunächst mal in Hinblick auf Sauberkeit, sprich Intonation, Rhythmus und so weiter an. Wir hatten den Fall bei „Nicht wiedersehen!“, dass es bei einem Lied eine sehr gute Version gab. Aber dann fragte ich den Aufnahmeleiter: „Hamma ned was, was a bisserl mehr schmutzt, was a bisserl wehtut? Was gequälter  ist?“ Mir ist immer die Version, die am unmittelbarsten und authentischsten ist, dabei aber natürlich noch technisch vertretbar ist, die liebste.

Sie sind derzeit auf den Bühnen wieder sehr gut unterwegs. Hat sich nach der Corona-Zeit wieder alles normalisiert?

Es ist irgendwie verrückt. Einerseits hat sich einiges verändert, andererseits hat sich die Terminlage teilweise sogar noch weiter verdichtet. Als ich zum Beispiel den Bayreuther „Wotan“ abgesagt hatte, gab es zunächst Lücken im Kalender. Doch die haben sich fast lawinenartig gefüllt.

Sie haben während der Pandemie oft Ihrer Wut Ausdruck verliehen über die Corona-Maßnahmen. Ist der Zorn verraucht?

Darüber könnte man jetzt ein Buch schreiben. Sagen wir’s so: Es gibt die Ebene, auf der das Leben jetzt weitergehen muss, auch im Zusammentreffen mit Leuten, die charakterlich eher fragwürdig waren und sind. Es haben sich hässliche Abgründe aufgetan in dieser Zeit, auch in der Kollegenschaft. Opportunismus, Feigheit und Denunziantentum, wie man es nicht für möglich gehalten hätte. Andererseits habe ich in den vergangenen zweieinhalb Jahren gelernt, dass ich mich auf das konzentrieren muss, was ich wohl kann und wofür ich wahrscheinlich auf die Welt gekommen bin. Da muss man dann eben gewissen Kämpfen mal aus dem Weg gehen und vielleicht neue Perspektiven einnehmen. Auch, was die eigenen Standpunkte betrifft: Wo war man zu forsch? Zu deutlich? Oder zu früh mit der Meinung? In manchen Bereichen wird’s auch fast philosophisch: Was zum Beispiel akzeptieren die Menschen als Realität? Was muss ich akzeptieren, weil es die Leute für die Realität halten? Das waren schon alles ziemlich harte Prüfungen. Auch in Hinblick auf die eigene Wahrnehmung.

Wobei die Beschäftigung mit Liedern und Opernpartien, mit modellhaften Konflikten gewissermaßen, helfen könnte.

Klar. Bei den Mahler-Liedern fühlt man zum Beispiel immer wieder mal die Begeisterung der Menschen vor dem Ersten Weltkrieg, bei der man sich aus der zeitlichen Distanz fragt: Wie konnte es eigentlich dazu kommen? Oder wie konnte es in den vergangenen zweieinhalb Jahren ebenfalls zu dieser Art von Fanatismus und Hörigkeit kommen? Das sind letztlich kollektive Muster, die scheinbar leider immer wieder auftauchen.

Gerade in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gab es oft nur Schwarz oder Weiß. Zwischenstufen an Meinungen waren verpönt – was sich auf die Offenheit in der Diskussionskultur auswirkte.

Schwierige, hochkomplexe Sache. Ich seh’s ähnlich. Als Künstler verstehe ich meine Aufgabe unter anderem darin, die Leute zum selbstständigen Denken, vor allem Fühlen anzuregen. Wir sind quasi fürs erweiterte Fühlen zuständig. Und natürlich für die Durchbrechung von Denk-Korridoren jeglicher Art.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

Konzert am 22. Januar im Prinzregententheater;
CD: „Nicht wiedersehen!“ mit Pianist Malcolm Martineau, erschienen bei Gramola.

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