Heiner Lauterbach: „Mein bester Film? Rossini!“

Heiner Lauterbach gehört zu den meistbeschäftigten, erfolgreichsten und beliebtesten Schauspielern in Deutschland. Im April wird er 70. Wie er, der seit 2019 Honorarprofessor für Schauspiel an der Münchner Hochschule Macromedia ist, auf seine Karriere blickt, verrät er im großen Interview mit unserer Zeitung.
Die meisten von ihnen wollen irgendwann auf die große Bühne oder vor die Kamera – und doch macht sich erst einmal Schüchternheit breit. Kein Wunder, schließlich steht an diesem Tag ein echter Star vor den rund 20 Filmstudierenden (erstes Semester!) der Münchner Hochschule Macromedia: Heiner Lauterbach. Er ist seit 2019 an der privaten Uni Honorarprofessor für Schauspiel, Film und Fernsehen. „Mit seinen vielseitigen Tätigkeiten als Theater-, Film- und Fernsehschauspieler, als Synchronsprecher und Werbeträger, als Regisseur, Autor, Produzent und Festivalgründer verkörpert Heiner Lauterbach genau das Profil des autonomen, polyvalenten Künstlers, das Leitbild des Macromedia-Schauspielstudiums ist“, hieß es damals bei der Ernennung. Hinzu kommt – der 69-Jährige hat ganz offensichtlich großen Spaß am Lehrersein und füllt auch diese Rolle begnadet gut aus. Bester Beweis: Die Vorlesung, die nach gut zwei Stunden eigentlich rum ist, findet kein Ende – die Studenten fragen und fragen und fragen ihrem Professor jetzt Löcher in den Bauch. Die anfängliche Zurückhaltung – wie weggeweht. Sehr zur Freude von Florian Haumer, dem Dekan der Fakultät Kultur, Medien, Psychologie („Heiner Lauterbach ist natürlich ein Riesengewinn für die Hochschule“), sowie von Schauspielerin Lea Marlen Woitack, die die Klasse normalerweise unterrichtet.
Im Anschluss nimmt sich Heiner Lauterbach Zeit für unsere Zeitung. Im Interview spricht er über seine Lust am Lehren, den Schauspiel-Nachwuchs in Deutschland und blickt, wenige Wochen vor seinem 70. Geburtstag am 10. April, auf seine eigene Karriere zurück.
Herr Lauterbach, kann das eigentlich jeder lernen – Schauspiel?
Heiner Lauterbach: Das kann ich Ihnen leicht beantworten: Nein. Es gibt einfach Menschen, die sind absolut untalentiert für die Schauspielerei. Was allerdings nicht heißen muss, dass sie nicht Erfolg haben können. (Lacht.)
Wie schnell merken Sie, ob jemand Talent hat?
Lauterbach: Das wiederum ist schwer zu sagen. Denn es gibt große Unterschiede, was die Lernprozesse angeht. Wenn ich heute junge Schauspieler sehe, die vielleicht 18, 19 Jahre alt sind, denke ich mir oft: In dem Alter war ich lange nicht so weit. Es gibt auch kleine Kinder, die dich umhauen, im Lauf der Jahre ihr Talent aber verlieren. Dann ist es auf einmal weg. Insofern sollte man sich vor vorschnellen Urteilen hüten.
Was trennt die Spreu vom Weizen?
Lauterbach: Letztlich ist es die Fähigkeit, dass jemand eine Rolle so spricht, als würde er selber in dem Moment so denken wie die Figur. Darum geht es. Dass man demjenigen abnimmt, was er spielt, dass er glaubwürdig ist. Das ist Handwerk und kann man bis zu einem gewissen Grad lernen. Und dann ist es allerdings schon auch eine Frage der Ausstrahlung, ob einer dieses besondere Etwas hat oder nicht. So wie Christoph Waltz zum Beispiel.
Der inzwischen in Hollywood Karriere macht.
Lauterbach: Ja, aber lange bevor er den Oscar bekam, habe ich ihn immer schon als Beispiel für das gewisse Etwas hergenommen. Ich bin sicher, so, wie er ist, wäre er in jungen Jahren an vielen Schauspielschulen durchgefallen. Weil er irgendwie anders spricht. So eigenwillig akzentuiert. Aber das ist letztlich das Besondere, das Eigene. Ich fand ihn immer großartig. Und das gebe ich den Studenten tatsächlich auch mit: Wenn ihr etwas Eigenes habt – lasst es euch nicht nehmen! Das ist euer Pfund.
Sie haben Spaß daran, Ihr Wissen weiterzugeben. Wann fing das an?
Lauterbach: Es fing damit an, dass ich seit einigen Jahren sehr viele Fragen von sehr vielen jungen Kollegen beantworte. Da ging es auch oft um meine Biografie, wie man bestimmte Lebensphasen bewältigt hat und so weiter, na ja. Aber es ging auch um ganz konkrete Fragen. Soap: Ja oder Nein? Brauche ich eine Agentur? Wie lerne ich am besten Text? Solche Sachen. Meine Frau meinte dann: Mach doch mal ein Video mit all den Antworten, das du dann verschickst. (Lacht.) So kam die Idee zu „Meet your Master“ zustande, unserer Plattform, auf der Koryphäen ihr jeweiliges Fach erklären.
Hätten Sie sich gern selbst als Lehrer gehabt früher?
Lauterbach: Wenn ich in jungen Jahren jemanden gehabt hätte wie mich, dann hätte ich eine ganz andere Karriere gemacht.
Inwiefern?
Lauterbach: Was ich in meiner Karriereplanung für Fehler gemacht habe! Da kann man Bücher füllen! Allein, in welchem Zustand ich manchmal zum Set gekommen bin! Ich habe auch Filme angenommen, zu denen ich das Drehbuch gar nicht gelesen hatte. Ich hatte nur gesehen: Thailand. Da spiel ich mit. Da wollte ich immer schon mal hin. Da waren zum Teil furchtbare Sachen dabei. Bernd Eichinger hat mal zu mir gesagt: Heiner, du behandelst deine Karriere, als wenn du sie hassen würdest. Ich hätte jemanden gebraucht, der mich an die Hand nimmt. Die jungen Schauspieler heute wollen dagegen alles akribisch planen, die beste Agentur finden. Ich war lange in gar keiner Agentur, weil ich die zehn Prozent Provision nicht abgeben wollte. (Lacht.)
Was haben Sie verpasst durch diese Art?
Lauterbach: Das glaubt mir wahrscheinlich kein Mensch, aber Steven Spielberg machte einst ein Casting für „Schindlers Liste“ – die Hauptrolle, die dann Liam Neeson spielte. Das Casting war in Berlin. Meine Agentin rief an und sagte: „Fahr da hin.“ Ich aber sagte: „Ich komm doch grad aus Berlin, da fahr ich jetzt nicht noch mal hin. Der kann doch auch hierher kommen.“ Kein Witz. So war ich drauf früher.
Die verpasste Hollywood-Chance.
Lauterbach: Wahrscheinlich hätte Spielberg mich nie besetzt, er hätte immer einen Englisch-sprachigen genommen. Aber trotzdem – so eine, Entschuldigung, Scheiße habe ich früher gemacht.
Aber Sie blicken trotzdem nicht unzufrieden auf Ihre Karriere?
Lauterbach: Nein, nein, überhaupt nicht.
Können Sie aus all Ihren Filmen einen herausgreifen als den wichtigsten?
Lauterbach: Der beste Film war, würde ich im Rückblick sagen, „Rossini“. Das ist wirklich ein kleines Meisterwerk. Und zeitlos. Das merken Sie schon daran, dass man ihn heute noch sehr gut schauen kann. Dieses Drehbuch von Helmut Dietl ist einfach ein Schatz, da sitzt jedes Wort. Ein Geschenk. Es gibt aber auch Filme, die zwei Jahre nach Erscheinen schon veraltet sind. „Männer“ zum Beispiel ist ein Film, der damals klasse war, heute aber etwas schwierig anzuschauen ist – weil er sehr in seiner Zeit verankert ist. So himmlisch das Buch von Doris (Dörrie, Anm. d. Red.) in seiner Zeit war, so verstaubt kommt es mir heute vor.
Und wie ist es bestellt um die Schauspiel-Zunft in Deutschland?
Lauterbach: Richtig gut. Deutschland hatte immer schon tolle Schauspieler. Und jetzt im Moment gibt es ganz besonders viele großartige junge Leute. David Schütter zum Beispiel – eine Granate. An Schauspielern hat es aber noch nie gemangelt in Deutschland. Das war nie unser Problem.
Klingt, als hätten wir ein anderes?
Lauterbach: Ja, die Drehbücher.
Woran liegt’s?
Lauterbach: Geld. Drehbücher sind immer eine Frage des Geldes. Es fängt damit an, dass du die Leute gut ausbilden musst. Dann nimmst du zehn und sperrst sie zwei Jahre in einen Raum. Da kommen dann Serien raus wie „Breaking Bad“. Die Vorarbeit zu so einer Serie kriegst du in Deutschland aber gar nicht finanziert. Deswegen gibt es so wenig gute Vorlagen für Filme – mit ein paar Ausnahmen.
Was hat Ihnen zuletzt gefallen?
Lauterbach: „Gestern waren wir noch Kinder“ im ZDF. Das ist wirklich toll. So eine Serie muss man erst mal stemmen. Ich wollte der Autorin noch schreiben – gut, dass wir darüber sprechen, dann denk ich dran.
Was drehen Sie als Nächstes?
Lauterbach: Ich drehe wieder einen Film mit Daniel Harrich. Wir haben unter anderem schon „Meister des Todes“ über schmutzige Waffengeschäfte zusammen gemacht. Jetzt wird es wieder was Investigatives – und ich denke, es wird wieder gut.
Das Gespräch führte Stefanie Thyssen.
