1. Startseite
  2. Kultur

Bariton Matthias Goerne zum Theater-Lockdown: „Staatliches Berufsverbot“

Erstellt:

Von: Markus Thiel

Kommentare

null
„Wir brauchen finanzielle Kompensationsangebote, die wirklich funktionieren“, sagt Matthias Goerne. © Foto: Marie Staggat

„Wenn die Wut wächst, ist eine Klage-Flut zu erwarten“: Bariton Matthias Goerne über die Situation der freien Künstler.

Er ist Mitinitiator eines offenen Briefes an Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Bariton Matthias Goerne fordert darin an der Seite von Stars wie Dirigent Christian Thielemann und Geigerin Anne-Sophie Mutter eine schnelle Unterstützung für die in ihrer Existenz bedrohten freien Künstler. Die wollen sich langsam nicht mehr damit abfinden, dass bei Corona-Absagen keine Ausfallhonorare gezahlt werden.

Fühlen Sie sich als freier Künstler ungerecht behandelt?

Goerne: Es handelt sich um ein staatlich auferlegtes Berufsverbot. Wo ist eigentlich die Solidarität nicht nur der Politik, sondern der gesamten Gesellschaft mit den Künstlern? Hier wird einem Berufsstand die Lebensgrundlage entzogen, das geht vom Sänger bis zum Zirkuskünstler. Jeder will in guten Zeiten in den Genuss der Arbeit dieser Menschen kommen. Gerade jetzt sollte man ihnen daher besondere Unterstützung zuteilwerden lassen.

Welche Forderungen haben Sie?

Goerne: Wir brauchen finanzielle Kompensationsangebote, die wirklich funktionieren. Die Diskussion über das Grundeinkommen sollte endlich ernsthaft geführt werden. Eine Verweigerung steht in keinem Verhältnis zu dem, was unser Land ökonomisch zu leisten vermag. Ein Grundeinkommen würde vielen helfen. Es wäre segensreich zumindest für eine Übergangsperiode. Glaubt man wirklich, dass man die kulturelle Vielfalt und die Existenz hunderter Institutionen erhalten kann, wenn dieser Zustand ein Jahr anhält? Glaubt die Gesellschaft wirklich, dass danach auf diesem Niveau weiter getanzt, gesungen und gespielt werden kann? Wir laufen Gefahr, dass unser Kulturleben nicht mehr an die gewohnte Qualität anknüpfen kann. Es wird zu einem enormen Verlust kommen. Man sollte auch den Ermöglichern, also den Privatveranstaltern, helfen. Nur weil diese nicht öffentlich subventioniert sind wie unsere Staatstheater, heißt das ja nicht, dass sie weniger wert sind. Auch ihnen müsste man unter die Arme greifen und einen Schutzschirm spannen. Abgesehen davon: Wenn wir schon in einem vereinten Europa leben, muss es Lösungen geben, die weit über das Nationale hinausgehen.

Was sagen Sie dazu, dass manche Häuser Gagen bei abgesagten Vorstellungen verweigern?

Goerne: Ich bin entsetzt darüber, dass dies die Intendanten vor allem der großen Häuser nicht begreifen: Wenn die Wut wächst und die Ungerechtigkeit weiter ihren Lauf nimmt, wird eine Flut von Klagen zu erwarten sein. Mich stört auch, dass immer von sogenannten reichen Sängern gesprochen wird. Es gibt sicher einige, die mit ein oder zwei blauen Augen durch die Krise kommen. Es gibt aber auch unendlich viele, die vor dem Abgrund stehen. Man betrachte nur diejenigen, die für wenig Geld etwa in Gottesdiensten singen oder in kleinen Konzerten. Sie werden die Krise beruflich nicht überstehen. Außerdem sind Sängern keine großen Sprünge möglich. Die Karriere dauert aus stimmbiologischen Gründen nur eine begrenzte Zeit. Dazu kommen die vielen Kosten, die nicht nur den persönlichen Haushalt, sondern auch die Reisen betreffen. Ich kenne prominente Kollegen, die fast alles auflösen und sich auf einfachste Lebensumstände zurückziehen müssen. Viele begreifen nicht, wie unsere Arbeit aussieht und wie dringend wir auf Engagements angewiesen sind. Ich würde ja gern Homeoffice machen – wenn dies mein Beruf erlauben würde.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

Auch interessant

Kommentare