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Meistgesuchter Mafioso Italiens verhaftet: Wie sich die Mafia am Kino orientiert

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Von: Michael Schleicher

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Mafia-Boss Matteo Messina Denaro bei seiner Festnahme in Palermo
Das Grauen in Cremefarben: Mafia-Boss Matteo Messina Denaro bei seiner Festnahme. © CARABINIERI HANDOUT

Es ist ein bedeutender Schlag gegen die Cosa Nostra: Nach drei Jahrzehnten auf der Flucht ist Italiens meistgesuchter Mafia-Boss Matteo Messina Denaro verhaftet worden. Für ihre Selbstdarstellung hat sich die Mafia immer wieder an Filmen orientiert.

Bis zum vergangenen Montag (16. Januar 2023) war er Italiens unsichtbarer Mann: Außer einigen Unterstützern wusste niemand, wie Matteo Messina Denaro aussieht, der meistgesuchte Mafia-Boss des Landes. Das bis zum Zugriff in Siziliens Hauptstadt Palermo einzig bekannte Passfoto stammt aus den frühen Neunzigern; 1993 ist der Mafioso untergetaucht, der einst geprahlt haben soll, er könne mit jenen Menschen, die er eigenhändig getötet habe, „einen ganzen Friedhof füllen“. Am Tag nach Italiens Schlag gegen das organisierte Verbrechen sei die Aufmerksamkeit für einen Moment auf Banales gelenkt: Die Bilder, die vor der Klinik La Maddalena gemacht wurden, zeigen einen kleinen Mann mit cremefarbener Mütze, Sonnenbrille und brauner Lederjacke mit Schafswollfutter. Einzig die Accessoires, etwa eine 35 000-Euro-Uhr, die er laut Staatsanwaltschaft getragen haben soll, passen zum Mafia-Bild, das die Popkultur so gerne zeichnet. Zu sehen ist von dem Reichtum auf diesen Fotos nichts. Den fanden die Ermittler indes im letzten Versteck des Verhafteten in der Kleinstadt Campobello di Mazara. In der Nacht auf Dienstag (17. Januar 2023) stellten Carabinieri und Spezialkräfte in seinem Appartement teure Klamotten und Uhren sicher.

Matteo Messina Denaro trug eine 35 000 Euro teure Uhr bei der Festnahme

Doch die aktuellen Bilder von Messina Denaro, der in Abwesenheit zweimal wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, haben nichts mit jenen zu tun, die Mafiafilme wie „Der Pate“, „Scarface“ und Co. zeichnen. „Man hat immer gesagt, dass das Kino die Mafia kopiert, aber es ist umgekehrt: Die Mafia ahmt das Kino nach“, berichtete der italienische Autor Roberto Saviano einmal im Gespräch mit dem „Münchner Merkur“ – und nannte als Beispiel Camorra-Boss Walter Schiavone, der sich eine Villa habe bauen lassen „nach dem Modell der Villa von Tony Montana, die er in ,Scarface‘ gesehen hat“. Das Haus taufte Schiavone „Hollywood“. Natürlich – „alles hier wurde zur Legende“, schreibt Saviano in seinem Buch „Gomorrha“.

Roberto Saviano gilt seit seinem Buch „Gomorrha“ als Mafia-Experte

Darüber mag man lächeln, für den 43-Jährigen ist es jedoch problematisch, wenn das Kino einen Mythos kreiert. Mafiosi seien genau daran interessiert, warnt er. „Sie schreiben an ihren eigenen Legenden – und sie sind extrem medienbewusst. Der Film liefert ihnen eine Grammatik, eine Syntax, eine Sprache, mit der sie in die Öffentlichkeit treten können.“ Ein anderer Experte nannte Francis Ford Coppolas Trilogie „Der Pate“ (1972, 1974, 1990) gar den „besten Werbespot für die Mafia, der je gedreht wurde“.

Roberto Saviano, Journalist, Autor und Mafia-Experte.
Journalist, Autor und Mafia-Experte: Roberto Saviano. © Marcus Schlaf

Um klar zu machen, wie sehr das Kino die Realität beeinflusst, hat Saviano seinem Bestseller von 2007 Zitate vorangestellt, die sich aufeinander beziehen, obwohl das eine aus der Welt der Fiktion stammt, das andere aus Italiens Realität: „Die Welt gehört dir“ heißt es in Brian De Palmas „Scarface“ (1983), und „Menschen sind Würmer, und Würmer sollen sie bleiben“ steht im Abhörprotokoll eines Telefonats zweier Mafiosi. Motive aus Savianos Buch nutzte der Regisseur Matteo Garrone wiederum für den Kinofilm „Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra“ (2008). Einige seiner Laien-Darsteller wurden in der Folge verhaftet. Man fand heraus, dass sie, die Film-Narrischen, ihre Arbeit für die Camorra lediglich unterbrochen hatten, um mitspielen zu können. Mehr noch: Es wird erzählt, dass ein Verbrecher von Häftlingen erkannt wurde, als „Gomorrha“ in einem italienischen Gefängnis lief. Saviano ist übrigens nicht gegen Mafiafilme. „Interessant wäre, im Kino diese um eine ökonomische Perspektive zu ergänzen, indem man zeigt, wie die Mafia zu Geld kommt, wie sie wirtschaftlich organisiert ist. Damit könnte man der Glorifizierung entgegenwirken.“

Das Kino liebt die Mafia – und die Mafia liebt das Kino

Zurück in die Wirklichkeit: Nach Messina Denaros Festnahme applaudierten die Menschen in den Straßen Palermos den Carabinieri. „Jetzt haben wir es geschafft“, sagte eine Frau in die TV-Kameras. Vom „Ende einer Epoche“ war sogar die Rede. Italiens Polizei teilt diese Erleichterung nicht. Trotz dieses Erfolgs.

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