Kesser Hüftschwung

München - Zur Premiere der Staatsballett-Produktion „Portrait Richard Siegal“ im Münchner Nationaltheater.
Welch aufregende Zeit müssen die Probenwochen mit Richard Siegal für unsere Staatsballett-Tänzer gewesen sein! Ihr nicht nur technisches Niveau ist so hoch, dass sie sich auf ein solches Futter geradezu stürzen. Daher war es eine gute Idee, die Jubiläums-Festwoche des Bayerischen Staatsballetts – vor 25 Jahren gelang es Konstanze Vernon, der Company die Unabhängigkeit von der Oper und damit die volle Eigenständigkeit zu erkämpfen – mit einem Dreiteiler zu Ehren des US-amerikanischen Choreografen Richard Siegal zu eröffnen: „Portrait Richard Siegal“. Immer deutlicher stellt sich heraus, dass er eine, wenn nicht die entscheidende Persönlichkeit im modernen Tanz ist.
Stark beeinflusst von William Forsythe, in dessen Company er sieben Jahre getanzt hat, ist er nichts weniger als ein Forsythe-Epigone. Wenn er etwas bei ihm gelernt hat, dann eben das Kant’sche Prinzip, sich seines eigenen Kopfes zu bedienen. Nichts muss so sein und bleiben, wie es war. Nichts ist aus-, aber alles eingeschlossen. Denn bei Siegal dürfen, ja sollen alle Elemente der Technik, der Stile, immer weiter als Material und unerschöpfliches Reservoir zur Verfügung stehen.
Das klassische Ballett wird auf höchstem Niveau und mit Spitzenschuh weiter vorgehalten, und unsere Tänzer beherrschen es traumsicher. Aber offen ist Siegal eben auch für Jazz, Breakdance, alle anderen Formen des tänzerischen Ausdrucks. Er hat ein feines Auge für frische Strömungen, verlangt von den Tänzern indes in allem, was er aufnimmt und mit ihnen erarbeitet, Qualität. Der Kontakt zu anderen Künsten: Architektur, Design, wird gesucht und schlägt sich im Bühnenbild, aber auch in skulpturalen Elementen der Choreografien selber nieder. Und bei der Musikauswahl entscheidet er sich oft für Elektronik, weil er sie als die zeitgemäßere Musik empfindet. Der Zuschauer gibt ihm Recht, je schlüssiger die Choreografien sind, und macht auch bei der heftigen Lautstärke, auf die das Programmheft hinweist, nur selten von dem angebotenen Gehörschutz Gebrauch. „Laut“ und „leise“ – das führt Siegal vor – werden individuell verschieden erlebt.
Vor zwei Jahren war im Prinzregententheater die Uraufführung von „Unitxt“. Das Stück mit Musik von Carsten Nicolai und mit Design von Konstantin Grcic wirkt jetzt noch stärker. Die zwölf Tänzerinnen und Tänzer sind von einer solchen Perfektion, können eine Körperbewegung aus einem klassischen Beginn mit einem solch unverschämten Hüftschwung in eine nie zuvor gesehene freche Schlusspose münden lassen, dass die Begeisterung im Publikum immer wieder aufschäumt. Tadellose Soli, dann ein Teil mit Pas de deux und verblüffenden Dreier-Konstellationen – „Unitxt“ ist diesmal in seinem durchgehaltenen schnellen Zweier-Rhythmus das Glanzstück.
Dabei ist ja „In a Landscape“ die aktuelle Uraufführung. Die Tänzer stecken in exotisch bemalten, den Körper nahezu nackt präsentierenden Trikots (Alexandra Bertaut). Die Atmosphäre ist weicher, die Bewegung fließender. Der Unruhe-Punkt ist eine von den Ingenieuren der Technischen Universität München für die Aufführung modifizierte Drohne (Quadrokopter) – frei beweglicher Lichtpunkt, der Verwirrung stiftet. Zum Schluss das im vorigen Jahr in Marseille herausgekommene „Metric Dozen“, nun in München einstudiert mit ein paar Originaltänzern von der französischen Uraufführung als Verstärkung, darunter der geschmeidige Corey Scott-Gilbert. Identische Kostüme für Männer und Frauen – sie werden ununterscheidbar und bewegen sich kämpferisch zu den Stampftönen einer aggressiv mit Schüssen durchsetzten Musik von Lorenzo Bianchi Hoesch.
Kein Zweifel: Richard Siegal will mit seiner Arbeit zu den aktuellen Fragen Stellung beziehen. Heftiger, ausdauernder Beifall.
Beate Kayser
Nächste Vorstellungen
in der normalen Spielzeit am 8., 27., 30. Mai; Karten unter Telefon 089/ 21 85 19 20.