Kinodrama „Mein Sohn“ mit Anke Engelke: Wie weit darf Elternliebe gehen?

Lena Stahls Filmdrama „Mein Sohn“ ist großes Kino: Anke Engelke und Jonas Dassler glänzen darin als Mutter und Sohn. Der Sohn versucht, sich von der Mama abzunabeln - doch das fällt beiden nicht leicht. Unsere Kinokritik.
Endlich. Endlich lässt sie ihn weinen. Ohne zu sagen: „Es wird schon alles gut, Mama kümmert sich.“ Vielleicht hat Marlene (Anke Engelke) in diesem Moment verstanden, dass ihr Sohn erwachsen ist und sie nicht mehr dafür zuständig, alle seine Tränen zu trocknen. Dass er das selber kann. Können muss.
Es ist eine besonders starke Szene gen Ende dieser wahrhaftigen Geschichte, die Regisseurin und Drehbuchautorin Lena Stahl in „Mein Sohn“ erzählt. Autobiografisch geprägt sei das Drama, sagt die 42-Jährige. Vermutlich fühlt sich dieser zweifache Roadtrip deshalb so intensiv und echt an. Die beiden Protagonisten – Marlene und ihr Sohn Jason (Jonas Dassler) – sind ja nicht bloß nach dem Skate-Unfall des Burschen mit dem Auto in eine Rehaklinik in der Schweiz unterwegs, die eigentliche Reise passiert in ihren Herzen und Köpfen. Da gibt’s keine sauber asphaltierten Autobahnen, sondern viel vermintes Gelände, so manche Panne und immer wieder Einbahnstraßen.
„Mein Sohn“ erzählt auf berührende Weise von einer nicht ganz leichten Mutter-Kind-Beziehung
„Wir sind nicht alle Eltern, aber wir sind alle ,Kind von‘“, sagte Engelke im Gespräch mit unserer Zeitung vor Kinostart. Tatsächlich muss man selbst keine Mutter, kein Vater sein, um sich hineinfühlen zu können in diesen – Pardon! – Kotzbrocken von Sohn und die gluckenhafte Mutter. So wirken sie zu Beginn. Doch schnell wird klar, warum Jason allen anderen mit seinem Schelmen-Charme begegnet, sich Marlene gegenüber aber oft geradezu kaltherzig benimmt. Je mehr sie klammert, desto lauter brüllt er ihr und der Welt entgegen: „Das ist mein Leben! Ich gehöre nur mir!“
Jonas Dasslers Spiel ist brillant
Wie Jonas Dassler das spielt, ist einmal mehr brillant. Er trifft jede Nuance dieses zerrissenen Charakters genau. Die meiste Zeit gibt Jason für alle Welt den sorglosen Buddy, übervoll von Lebensfreude. Doch wenn keiner hinschaut, dann kommt der hilflose Jason zum Vorschein. Dann wird ihm bewusst, dass das Erwachsensein doch nicht so einfach ist, wenn man sich wie ein Erwachsener benehmen muss. Und allein klarkommen. Er wäre so gern unabhängig – doch scheitert an seiner Unbekümmertheit, die er ausgerechnet dem Kümmern seiner Mutter verdankt.
„Mein Sohn“ pendelt gekonnt zwischen Spaß und Ernst
Was gluckenhafte Liebe bewirken kann, wie es einer Frau ergeht, die für ihr Kind die eigenen Träume aufgibt, die Frage auch, wie sehr man für jemand anderen verantwortlich ist und was man von diesem jemand an Liebe und Zuneigung, auch Dank zurückerwarten kann, das beschreibt der Film feinfühlig. Und, wie könnte es mit der begnadeten Komödiantin Anke Engelke anders sein, immer wieder mit Humor. Herrlich, wenn Jason im Auto Musik auflegt und Marlene gar nicht mehr mitkommt: „Was singen die da? Ist das Englisch?“ Wenn er auf ein die Mama umgarnendes Unschuldslamm umschaltet und sie aus ganzem Herzen miteinander lachen. Dann wieder das Verzweifeln aneinander. Doch immer spürbar: die tiefe Verbundenheit.
Wir kennen die Vorgeschichte der beiden nicht. Doch sie muss dunkle Kapitel in sich tragen, der abwesende Vater ist eines davon. Die Blicke, die Engelke und Dassler austauschen, das vorsichtige Herantasten der Mutter, immer mit der Sorge, abgewiesen zu werden. All das ist aus der Außenperspektive nicht immer ganz leicht anzuschauen, aber es lohnt. Weil wir alle wissen, wie es sich aus der Innenperspektive anfühlt. Ob mit oder ohne eigene Kinder. Großes Kino.
„Mein Sohn“ mit Anke Engelke, Jonas Dassler. Regie: Lena Stahl. Ab 18. November 2021 im Kino. Unser Interview mit Anke Engelke zum Film lesen Sie hier