Reaktionen aufs mögliche Aus für das Münchner Konzerthaus: „Das ist eine Katastrophe“

Dass der Freistaat Bayern sein geplantes Konzerthaus auf die lange Bank schiebt oder vielleicht kippt, ist auf Kritik in der Kulturszene gestoßen. Die Stadt München hat unterdessen eine Zusammenarbeit angeboten: Sie verfüge mit Isarphilharmonie und renoviertem Gasteig schließlich irgendwann über zwei Säle. Drei seien für das Musikleben zu viel.
„Ich hoffe, dass ich in der von mir selbst gewählten Amtszeit von zehn Jahren auch die Eröffnung machen kann.“ So sprach Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf einer internen Rede im Prinz-Carl-Palais. Ein Teilnehmer hat das im Sommer 2018 mitgeschrieben. „Sehr, sehr froh“ sei er über den „Stern des Südens“, wie Söder das geplante Konzerthaus im Werksviertel nannte.
Wie sich die Zeiten ändern. Schon seit Längerem ist klar, dass Söder die Eröffnung aufgrund der Verzögerung nur noch als Normalbürger verfolgen dürfte. Wenn überhaupt: Seit Donnerstag ist der Stern des Konzerthauses ins Sinken geraten. Oder sogar kurz vor der Implosion, bevor er überhaupt richtig leuchten durfte.
Wie berichtet, hat der neue Kunstminister Markus Blume (CSU) im Gespräch mit unserer Zeitung nicht nur den Zeitplan mit Baubeginn im Jahr 2025, sondern das gesamte Projekt infrage gestellt. Im Bayerischen Rundfunk, dessen Symphonieorchester der Hauptnutzer des Konzerthauses werden soll, wurde man davon offenbar kalt überrascht. Erst am Freitagnachmittag, viele Stunden, nachdem die Nachricht in der Welt war, verschickte der Sender eine erstaunlich knappe, sechszeilige Mitteilung von Intendantin Katja Wildermuth.
Bayerischer Rundfunk hofft auf Fortsetzung der Planung
„Es besteht weiterhin dringender Bedarf für eine eigene Spielstätte für das BR-Symphonieorchester“, schreibt sie. „Wir hoffen deshalb, dass München einen Spitzenbau für dieses Spitzenensemble mit Top-Dirigent Sir Simon Rattle bekommt und die Planungen für den Standort Werksviertel unvermindert weiterlaufen, wie Minister Blume im Interview auch bestätigt hat.“
Wildermuth betont, dass das BR-Symphonieorchester keinen festen Spielort habe und – ob im Gasteig, im Herkulessaal oder in der Isarphilharmonie – nur Gast sei. „Andere internationale Spitzenorchester haben alle einen eigenen Saal.“ Das Konzerthaus solle außerdem die erste Digital Concert Hall des 21. Jahrhunderts werden. Dies mit modernster Technik, um Musik in alle Welt zu übertragen. „Und es wird einen großen Education-Bereich geben, einen Platz für Lehrangebote und interaktive Musikvermittlung für verschiedene Altersstufen.“
Für den BR ist die aktuelle Entwicklung insofern ein Schock, weil man Rattle ab Herbst 2023 als Chefdirigenten verpflichtet hat, vor allem, um das Konzerthaus voranzubringen. Die böse Pointe für ihn: Das London Symphony Orchestra verlässt er auch aus dem Grund, weil ihm dort ein zugesagter Konzertsaal verweigert wurde.
Stadt München spricht bereits mit Freistaat über Konzertsäle
Die Stadt München hat inzwischen dem Freistaat eine Zusammenarbeit angeboten. „Dem Konzertsaal im Werksviertel droht ein Sterben auf Raten mit Finale vermutlich nach der Landtagswahl im Herbst 2023“, teilte die Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden mit. Sie ist auch Aufsichtsratsvorsitzende des Gasteig. Habenschaden führt die „Sanierung und Aufwertung von Europas größtem Kulturzentrum“ ins Feld. Mit der renovierten Philharmonie und der neuen Isarphilharmonie verfüge München „über zwei Konzertsäle von höchster Güte“.
Die Bürgermeisterin weist auf die „fußläufige Entfernung“ von Gasteig und geplantem Konzerthaus hin und darauf, dass Letzteres „bis zu eine Milliarde Euro“ koste. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis eines dritten Konzertsaals sei „inzwischen höchst fraglich“. Herausforderungen wie Klimaschutz, Mobilität oder bezahlbares Wohnen seien dagegen dringlich wie nie. „Es ist deshalb notwendig, Ressourcen zu bündeln und stärker zusammenzuarbeiten.“ Auch deshalb hat Habenschaden nach eigenen Angaben Kontakt zu Kunstminister Blume aufgenommen, „um die Möglichkeit einer Kooperation mit dem Gasteig auszuloten“.
Eine Zusammenarbeit von Freistaat und Stadt ist keine neue Idee. Zu Zeiten von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) gab es den Vorschlag einer „Zwillingslösung“, einer gemeinsamen, genau abgestimmten Nutzung von Gasteig und Herkulessaal. Dies scheiterte damals, weil die Wünsche von Münchner Philharmonikern und BR-Symphonieorchester nicht kompatibel waren. Mit der Isarphilharmonie ist nun allerdings eine neue Situation entstanden. Zwar müsste der Interims-Bau für eine Dauerlösung vor allem im Bereich hinter der Bühne erheblich aufgerüstet werden. Doch daran, dass der beliebte Saal nach Wiedereröffnung des renovierten Gasteig wieder abgerissen wird, glaubt derzeit keiner mehr.
Veranstalter Schessl sieht „ein schlechtes Signal“
Einer, der auch von einem Konzerthaus-Aus betroffen wäre, ist Andreas Schessl, Geschäftsführer des Veranstalters MünchenMusik. „Für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist das schlichtweg eine Katastrophe und für München als Kulturstadt ein schlechtes Signal“, äußert er auf Anfrage. Viele würden denken, dass der Interims-Bau der Isarphilharmonie ein Konzerthaus mit mehreren Sälen, einem Education-Programm und einem Stützpunkt für die Musikhochschule ersetzen könne. „Dem ist mitnichten so.“ Er sei „etwas schockiert, dass nach der Misshandlung der Kultur durch die Corona-Politik allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zuwider nun ein weiterer herber Rückschlag folgt“. Man könne nicht alle Kürzungen in der Kultur mit Corona begründen. „Die hat schon ausreichend gelitten.“ Zu den angekündigten Gesprächen zwischen Freistaat und Stadt fordert Schessl, dass diese „ohne die Vorfestlegung, dass das Konzerthaus verzichtbar wäre, geführt werden“.
Blumes Konzerthaus-Vorstoß überrascht auch deshalb, weil in seinem Kunstministerium gerade erst Stellen geschaffen wurden, um das Projekt voranzutreiben. Die Planungen gehen mittlerweile sehr ins Detail, das betrifft das Raumprogramm, aber auch Akustisches: Tateo Nakajima hat sein Klangkonzept für den großen Saal gerade nochmals modifiziert. Wie zu hören ist, wird hingearbeitet auf eine entscheidende Landtagssitzung im kommenden Jahr. In dieser wollte sich das Ministerium eigentlich das endgültige Plazet für das Konzerthaus holen.