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Interview
Fotografin Herlinde Koelbl: Ein Bild muss mehr sein als ein Eyecatcher
- vonAlexander Altmannschließen
München - Eigentlich war das längst überfällig: Herlinde Koelbl wird der Kulturelle Ehrenpreis der Landeshauptstadt München verliehen. Die gebürtige Lindauerin, die seit Jahrzehnten in Neuried bei München lebt, hat mit Foto-Serien wie „Das deutsche Wohnzimmer“, „Jüdische Porträts“ oder „Spuren der Macht“ so eindringliche wie einfühlsame Meisterwerke geschaffen. Heute zählt sie zu den bedeutendsten Fotografen weltweit.
Ich freu’ mich sehr darüber – und das nicht nur aus persönlichen Gründen: Bisher wurden mit dem Preis oft Musiker, Maler, Schriftsteller geehrt, aber nun sieht man, dass auch die Fotografie mehr Anerkennung erhält.
Ziel ist es immer, mit Bildern Geschichten zu erzählen. Ein Bild sollte natürlich auf den ersten Blick fesseln, aber es sollte darüber hinaus auch etwas erzählen. Der zweite und dritte Blick soll noch etwas entdecken können in dem Bild, sodass es nicht nur ein „Eyecatcher“ ist. Darum zeige ich Menschen auch gerne in ihrem Umfeld, in ihren Räumen. Wie jemand lebt, was ihn an- und umtreibt, das interessiert mich.
Ja, das wollte ich bewusst ganz sachlich halten und den Fokus rein auf die Person lenken. Damit man die physische Veränderung sieht, die sich wirklich im Gesicht der Menschen und in ihrer Körpersprache zeigt. Es gibt keinen Job, der psychisch und physisch anstrengender ist als der eines Kanzlers oder einer Kanzlerin. Mich hat aber auch interessiert, wie verändern sich diese Leute geistig, was müssen sie aufgeben, was ist der Preis, den sie in dieser öffentlichen Position zahlen. Diese geistige Veränderung spiegelt sich in den Zitaten wider, die den Bildern beigefügt sind.
„Politisch“ ist vielleicht zu einseitig. Ich habe immer wieder gesellschaftliche Themen in meinen Arbeiten. Die gehen manchmal ins Private, wie bei meinem ersten Buch „Das deutsche Wohnzimmer“. Oder sie sind weltumspannend wie jetzt bei meiner jüngsten Serie „Targets“, die derzeit im Nobel Peace Center in Oslo ausgestellt wird.
Da geht es um die Feindbilder, an denen Soldaten trainiert werden, also um die Pappkameraden, wie man früher diese menschenförmigen Zielscheiben nannte, auf die geschossen wird. An ihrer Gestaltung kann man ablesen: Wie sieht der Feind heute aus? Ich habe dafür 30 Länder bereist. Inzwischen hat sich die politische Situation so verändert, dass man in vielen Staaten gar keine Zugangsgenehmigung mehr bekäme zu diesen militärischen Übungsplätzen, geschweige denn, dass man dort Bilder machen dürfte.
Das erfordert viel Geduld; es war mühsam und manchmal hat es viele Jahre gedauert, wie zum Beispiel bei den Vereinigten Arabischen Emiraten. Aber ich wollte, dass alle Regionen der Welt in dem Projekt dabei sind.
Das ist schwierig zu sagen, weil es ja ganz verschiedene Arten guter Fotos gibt. Aber ich glaube, man kann ein paar Voraussetzungen nennen: Es sollte gut komponiert sein und Emotion ausdrücken. Es sollte die Gegenwart erzählen, aber zugleich etwas von der Vergangenheit beinhalten und vielleicht auch schon einen Blick in die Zukunft eröffnen. Ambitionierte Amateure denken oft, wenn ich diese Kamera kaufe, kann ich bessere Bilder machen. Aber das ist es eben nicht.
Es kommt auf Annäherung und Austausch an, man muss sich in den Porträtierten hineinbegeben – oder in das Sujet allgemein. Das ist ganz wichtig für mich, dass ich nicht nur fotografiere, sondern mich jahrelang sehr intensiv mit dem Thema einer Foto-Serie beschäftige, mich einlese, mich mit dem Thema vertraut mache. Das ist zeitaufwändig, aber es erweitert auch den eigenen Horizont.
München ist sicher eine kulturell lebhafte Stadt, aber ich bin sehr viel unterwegs und finde darum von überall her Anregungen.
Das Gespräch führte