Literaturhaus München feiert Simone de Beauvoir: Frauenrolle vorwärts!

Das Literaturhaus München feiert die große Feministin Simone de Beauvoir mit der gelungenen Ausstellung „Simone de Beauvoir & Das andere Geschlecht“. Unser Ausflugstipp.
Kein Pressebild mit Sartre. Wie wohltuend. Denn natürlich erwartet man als Journalistin Fotos des großen Jean-Paul (1905-1980) auf der Homepage des Literaturhauses München, wenn man sich über die dortige Ausstellung zur großen Simone de Beauvoir informieren möchte. Das findige Kuratoren-Team aber bricht derlei Erwartungen galant. Und verbeugt sich mit der neuen Schau „Simone de Beauvoir & Das andere Geschlecht“ nun bewusst vor der Französin und ihrem Hauptwerk. Für das die Beziehung mit Sartre zwar prägend war. Intellektuell unterlegen aber war die Beauvoir ihrer „notwendigen Liebe“ Sartre nie. Obwohl das so insbesondere von männlichen Kritikern zu ihrer Zeit gern unterstellt wurde. Vielleicht, weil sie sich ein bisschen fürchteten vor der spitzen Feder dieser feministischen Geistesgröße.
Simone de Beauvoir prägte Sartres Werk entscheidend
Mit 21 war de Beauvoir die jüngste Person, die je die außerordentlich anspruchsvolle Zulassungsprüfung für das höhere Lehramt bestand. Tagebücher aus der Studienzeit der Philosophin, die in den vergangenen Jahren veröffentlicht worden sind, belegen, dass sie mit 19 bereits mit Gedanken experimentierte, die später als existenzialistisch berühmt werden würden. So kam heraus, welch großen Einfluss Beauvoir auf das Werk Sartres hatte. Ein Jahr lang veröffentlichte sie unter seinem Namen, weil er zu beschäftigt war – und niemand bemerkte es.

Nun also weg von ihm, hin zu ihr. In übergroßen Passfotos aus verschiedenen Lebensjahren schaut Simone de Beauvoir den Besucherinnen und Besuchern entgegen. Das Gesicht verändert sich über die Jahrzehnte, der provokante, fordernde Blick aber, er bleibt. Ihren Ruf, keine Geduld mit Idioten zu haben, man scheint ihn diesen Bildern anzuhören. Also aufgepasst und mitgedacht.
Das fällt nicht schwer. Weil es den Kuratoren dieser gemeinsamen Ausstellung der Bundeskunsthalle Bonn (Eva Kraus und Katharina Chrubasik) und des Literaturhauses München (Tanja Graf und Anna Seethaler) gelungen ist, Simone de Beauvoirs rund 1000-seitiges intellektuelles Gelage „Das andere Geschlecht“ in mundgerechten Bissen sehr bekömmlich zu servieren.

An den Seitenwänden des Ausstellungssaals erzählen Zeitstrahle von Beauvoirs Werdegang und parallel von dem gesellschaftspolitischen Wandel der Rolle der Frauen in Deutschland und Frankreich. Schnell wird klar, wie beides miteinander zusammenhängt. Wie die Beauvoir – aus konservativem katholischen Elternhaus – von ihrer Erziehung und der Gesellschaft geprägt wurde, ihrerseits wiederum mit ihren revolutionären Schriften die Gesellschaft veränderte. Sie tat es mit Worten. Auf die legt die Schau ihren Fokus.
In der Mitte des Raumes, umspielt von Interieur, das so auch in Beauvoirs geliebtem Pariser Café de Flore hätte stehen können, setzen sich heutige Denkerinnen in Videos mit fünf von Autorin Iris Radisch herausgearbeiteten Beauvoir’schen Thesen auseinander. Zentral der wohl bekannteste Satz aus „Das andere Geschlecht“: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“

Wie revolutionär diese Aussage 1945 war, wie Simone de Beauvoir damit in wenigen Worten jede naturgegebene Determinierung vom Tisch fegte. Und wie sie auch 70 Jahre später Diskussionen entfacht um die Diskrepanz von biologischem („sex“) und sozialem („gender“) Geschlecht. In einem Video hinterfragt Journalistin Stefanie Lohaus, was Beauvoir wohl zum Selbstbestimmungsgesetz gesagt hätte, das trans-, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen ermöglicht, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister ändern zu lassen. Wir wissen es nicht. „Fakt ist, dass Beauvoir die Grundlage legte, um zu verstehen, dass Zuschreibungen aufgrund des Geschlechts nicht natürlich sind.“ Sehr streitbar kämpfte sie dafür, dass die Freiheit, das Leben selbst in die Hand zu nehmen, nicht von der Biologie beschnitten werden dürfe. Heute, das verdeutlichen erwähnte Zeitstrahle, sind westliche Frauen diesem Ziel ein großes Stück näher gekommen. Was durch Hirn und Herz und Kampfeslust in Gang gesetzt werden kann – diese Ausstellung zeigt’s.
Bis 30. April 2023 täglich von 11 bis 18 Uhr im Literaturhaus München. Zur Schau gibt es ein umfassendes Begleitprogramm mit Lesungen, Filmabenden und Diskussionen, alle Informationen dazu finden Sie hier