Malakoff Kowalski lässt auf „Piano Aphorisms“ das Dunkel funkeln

Malakoff Kowalski hat ein neues Album vorgelegt. Mit „Piano Aphorisms“ (erschienen bei MPS) setzt der Berliner Pianist und Komponist, der auch die Musik für Leander Haußmanns „Stasikomödie“ schuf, seinen künstlerischen Weg konsequent fort. Unsere Kritik:
Es war Liebe. Am Ende eines jeden Konzerts, wenn alles gut gelaufen und B. B. King (1925-2015) zufrieden war, dankte der „King of Blues“ seiner Lucille mit einem Kuss. Natürlich war diese Geste, die Lippen auf dem matt glänzenden, schwarzen Lack der halbakustischen Gitarre, auch immer Koketterie, ein vom Publikum heftig beklatschter Teil der Show. Doch erzählte jene Zärtlichkeit zudem vom besonderen Verhältnis zwischen dem Musiker und seinem Instrument. So behutsam er Lucille küsste, so spielte B. B. King die Gibson. Ja, in den Fünfzigern ist er sogar mal in einen brennenden Club zurück, um seine Gitarre den Flammen zu entreißen. Der Laden fing damals übrigens Feuer, weil sich zwei Typen um eine Frau geprügelt haben sollen – und dabei ein Fass Kerosin umstießen, das eigentlich zum Heizen gedacht war. Der Name der Lady: Lucille. Falls die Geschichte erfunden sein sollte, ist sie gut erfunden. Ihr Kern berührt eine Wahrheit.
Malakoff Kowalski: „Ein Flügel ist ein Lebewesen“
Von hier aus führt diese Episode direkt zu Malakoff Kowalski. Der Bluesman aus Mississippi und der Pianist und Komponist aus Berlin mögen auf den ersten Blick wenig gemein haben – dies jedoch schon: die besondere Beziehung zu ihrem Instrument. „Ein Flügel“, sagt Kowalski, „ist kein passives Gegenüber. Im Gegenteil. Er fordert, macht Ärger, schenkt und entzieht Liebe, er macht Dinge mit sich selbst aus, im Verborgenen, aber er braucht auch die offene Auseinandersetzung.“ Der 42-Jährige, in den USA geboren und als Kind persischer Flüchtlinge in Hamburg aufgewachsen, hat sich dieser Auseinandersetzung nun erneut gestellt: Gerade ist sein Album „Piano Aphorisms“ bei MPS erschienen; am Freitag, 20. Mai 2022, stellt er die Platte in der Allerheiligen-Hofkirche in München vor. Kowalski setzt hier konsequent sein Forschen fort, um die Möglichkeiten des Flügels als Solo-Instrument auszuloten – zwischen Klassik und Jazz, Minimal Music und Meditation, Furiosem und Flüstern. Die Musik entzieht sich dem Genre-Denken, gerade das macht sie so eigenständig und hinreißend schön. Der Komponist selbst gibt glücklicherweise auch nur einen kleinen Anhaltspunkt: Seine neue Arbeit, eine Sonate im weitesten Sinn, sei nicht unverwandt mit „Des pas sur la neige“ aus Debussys „Préludes“ – „ein Werk, das ich sehr liebe“. Kowalskis traumwandlerische Komposition, tatsächlich tastend interpretiert wie ein vorsichtiges Schreiten im Schnee, sorgt beim Hören für Funkeln im Dunkeln.
Musik wie ein „Splitter des Paradieses“, würde Klaus Lemke vielleicht dazu sagen. Der legendäre Münchner Straßen-Cowboy und Regie-Rebell („Rocker“, „Dancing with Devils“) steht für eine andere Seite in Kowalskis Schaffen. Seit 14 Jahren macht er die Musik für Lemkes Filme – dabei bannt der Wahl-Berliner gerade bei den in München spielenden Produktionen den flirrenden, auch nervigen Klang rund um die Amalienstraße sehr treffend auf die Tonspur. Eine Kunst, die längst andere Regisseure zu schätzen wissen: Leander Haußmann etwa, für dessen „Stasikomödie“ Kowalski die Musik schrieb. Kinostart des Films mit David Kross, Antonia Bill, Henry Hübchen und Detlev Buck ist am 19. Mai 2022. (Lesen Sie hier Malakoff Kowalskis Text zu Klaus Lemkes 80. Geburtstag.)
Malakoff Kowalski schlief unter seinem Flügel
Mit seinen neuen Gedichten am Klavier, den lauten wie den leisen, hat jener Sound wenig zu tun. Ihren Anfang nahmen diese Aphorismen tatsächlich in einem Outdoor-Geschäft, wo Kowalski sich Luftmatratze und Schlafsack kaufte. „Dann schloss ich mich in mein Studio ein und entschied mich, diesen schwarzen, karg ausgeleuchteten, hermetisch abgeschotteten Kubus ohne Fenster erst einmal nicht mehr zu verlassen.“ Zwei, drei Monate habe er so gelebt. „Ich arbeitete immer bis früh in den Morgen hinein, legte mich dann für ein paar Stunden unter den Flügel und hörte mir tagsüber die Ergebnisse der letzten Nacht an. Wenn so ein Flügel zum Himmelbett wird, weil sich jemand zum Schlafen unter ihn legt, ändert sich die Perspektive auf dieses Geschöpf.“ Wie sie sich für Malakoff Kowalski geändert hat, ist auf seinem Album eindrucksvoll zu hören. Und falls er die Sache mit dem Himmelbett erfunden haben sollte, ist ihm auch das ziemlich gut geglückt. (Noch mehr von Malakoff Kowalski? Lesen Sie hier unsere Kritik zu seinem Album „Onomatopoetika“ aus dem Jahr 2020.)