Mariss Jansons, der Womanizer von der Newa

Jubel, rhythmisches Klatschen und Blumen über Blumen: Tourneefinale des BR-Symphonieorchesters in St. Petersburg und Moskau.
St. Petersburg/ Moskau - Ganz praktisch ist das vor der Moskauer Tschaikowsky Konzerthalle. Pfingst- und normale Rosen gibt es hier zu kaufen, im kleinen, von Autos umtosten Park, auch Tulpen, sogar ein Sträußlein mit Maiglöckchen. Und wenn Letzteres von einem Mann überreicht wird, dann ist das besonders bezaubernd – was auch dem überraschten Maestro anzusehen ist. Finale der Tournee durch Nordost-Europa, die Reaktion ist typisch russisch. Rhythmisches Klatschen (was von Mariss Jansons noch angefeuert wird), Standing Ovations, immer wieder Blumen, auch und sehr berechtigt für den Konzertmeister Anton Barakhovsky.

Schon tags zuvor war das so, in St. Petersburg. Und auffallend, wie viele Damen älteren Jahrgangs zur Bühne strebten, ganz nah zum Star, der auch mit 75 noch sein Womanizer-Lächeln beherrscht: ein Schelm, wer sich am Wohnort von Mariss Jansons da lästerliche Gedanken macht. Kaum ein Durchkommen also in den Foyers der St. Petersburger Philharmonie, die im leeren Zustand verdröhnt klingt und ausverkauft zu einem der besten Säle der Welt wird. Sogar die sichtbehinderten Plätze sind belegt, Gedrängel auf den Stehplätzen: Jansons dirigiert in Russland, das ist für ihn, der seit 1956 an der Newa lebt, die Ausnahme. Als aktiver Künstler tritt er dort kaum in Erscheinung, wenn, dann als Teil der städtischen Hautevolee. St. Petersburg bleibt sein Rückzugsraum.
Dementsprechend nervös ist er vor dem Konzert mit seinem BR-Symphonieorchester. Obwohl Strauss’ „Don Juan“ in den vergangenen Wochen oft auf den Pulten lag, gerät Jansons bei der Probe ins Puzzeln. Vielleicht auch, um manchen Kater zu vertreiben. Am Vorabend hatte er den Moika-Palast gemietet, wo einst Rasputin ermordet wurde. Ein fürstliches Dinner in barocker Pracht, die Mariinsky-Schlagwerker geben im palasteigenen Theater ein Konzert, zu vorgerückter Stunde wird getanzt, ansonsten wird Nichtöffentlichkeit vereinbart. „Fast wäre ich auch auf der Bühne gewesen“, sagt Jansons in der Probe. Gelächter.

Das extreme musikalische Fummeln zahlt sich jedenfalls aus, die ständige Tournee-Anspannung sowieso. In Beethovens „Eroica“, vor allem im „Don Juan“ nach der Pause kommt es zu ungewöhnlichen Energieballungen. In Moskau, beim finalen „La valse“ von Ravel, den Jansons auswendig, risikolustig und vollkommen befreit dirigiert, geschieht Denkwürdiges, womöglich nie Gehörtes. Alles, wirklich alles gelingt, auch die kleinen, plötzlichen Eingebungen. „Die Qualität ist unglaublich“, sagt Mariss Jansons.
Später, vor der Künstlergarderobe, stauen sich die Gratulanten und drinnen die Blumen. Orchestermanager Nikolaus Pont bringt den Chef in Sachen Münchner Konzerthaus kurz auf den neuesten Stand. Keine kalte Dusche für einen adrenalingesättigten Maestro, sondern Ansporn: jetzt bitte möglichst schnell den guten Akustiker finden. Münchner Alltag, auch in Moskau.