Zwei Schicksale mit einer Klappe: „Mata Hari“ am Gärtnerplatz

Die legendäre Mata Hari führte zwei Existenzen. Das thematisiert das gleichnamige Musical, das am Gärtnerplatz aufgeführt wurde. Auf manchmal verwirrende Weise, dafür gibt‘s Ohrwürmer.
Wenige Frauen dürften ihren eigenen Mythos so konsequent selbst inszeniert haben wie die 1876 im niederländischen Leeuwarden geborene Margaretha Geertruida Zelle – besser bekannt unter dem Namen Mata Hari. Mit fiktiven biografischen Geschichten, deren Verläufe sich oft widersprechen, erschuf sie ein geheimnisvolles Alter Ego, das von den einen als exotische Tänzerin gefeiert und von anderen als ordinäre Stripperin verachtet wurde. Zur Legende machte sie ein aufsehenerregender Schauprozess, der neben Spionagevorwürfen auch pikante Affären ans Tageslicht brachte. Ein Stoff, der die Fantasien beflügelte und in zahlreichen Liedern, Büchern, Filmen und Bühnenversionen verarbeitet wurde.
Ihre jüngste Inkarnation erlebt Mata Hari am Gärtnerplatztheater, als Titelheldin eines neuen Musicals aus der Feder von Marc Schubring und Kevin Schroeder (Handlung am Ende des Artikels). Dass das Duo einen eigenen Dreh für seine Annäherung suchte, ist gut und richtig, verwirrt aber auch ein wenig. In erster Linie, weil die spektakulärsten Momente bewusst ausgespart werden und sich die Haupthandlung auf die frühe Lebensphase in Java konzentriert, wohin es die junge Frau nach ihrer Ehe mit einem Offizier verschlägt. Alle delikaten Details werden lediglich indirekt über Video-Zuspielungen kommuniziert, in denen fiktive Zeugenaussagen jene Ereignisse aufrollen, die zu Mata Haris Hinrichtung führten.
Eine ins Heute übersetzte Vision der Kunstfigur Mata Hari
Parallel dazu erlebt man immer wieder eingeschobene Auftritte einer schillernden Pop-Diva. Einer ins Heute übersetzten Vision der Kunstfigur Mata Hari, deren Songs das Geschehen mal spiegeln, mal kommentieren und stilistisch in scharfem Kontrast zum typischer 90er-Musical-Sound stehen, der in den dahinplätschernden und leider oft langatmigen Erzählpassagen kultiviert wird. Quasi zwei Stücke zum Preis von einem, die sich aneinander reiben, aber nur selten zusammenfinden.
Nur zwei kurze Blicke dürfen die Protagonistinnen wechseln, ehe sich ihre Stimmen im Finale endlich vereinen. Vom provokanten Werbespruch des Theaters („Topless Secret“) sollte man sich nicht irritieren lassen. Keine der beiden Damen hat es in der stringenten Inszenierung von Isabella Gregor nötig, sich zu entblättern, um das Publikum zu bannen. Florine Schnitzel stattet die junge Margaretha mit viel natürlichem Charme aus und besteht gleichzeitig in den dramatischeren Szenen, wo die Konflikte mit Ehemann Johnny zunehmend eskalieren. Auch Armin Kahl tut sein Bestes, um dieser relativ eindimensionalen Rolle emotionale Tiefe zu geben.
Ann Sophie Dürmeyer sollte man sich nicht entgehen lassen
Dreh- und Angelpunkt bleibt dennoch Ann Sophie Dürmeyer, deren atemberaubende Performance als Mata Haris Pop-Alter-Ego man sich keinesfalls entgehen lassen sollte (hier das Interview). Sie sorgt für den nötigen Glamour-Faktor und schultert mit ebenso kraftvoller wie wandlungsfähiger Stimme ein Pensum, dessen Bogen sich von Sarah Connor und Helene Fischer bis Rammstein spannt.
Zwölf ohrwurmträchtige Songs, teils deftig getextet, denen Erfolgsproduzent Kraans de Lutin mit stampfenden Elektro-Beats den letzten Schliff gab. Dies vom Orchester unter Andreas Partillas Leitung mit ordentlich Bombast aufgeladen und von Choreograf Adam Cooper dynamisch im MTV-Style in Szene gesetzt.
Schubrings Vorbilder lassen sich nur schwer verleugnen. Wenn der Ozeandampfer Richtung Java in See sticht, fühlt man sich unweigerlich an Maury Yestons „Titanic“-Musical erinnert, während nach Ankunft in der Kolonie nicht an operettenhaftem Fernost-Lokalkolorit gespart wird. Und für die Revuenummern scheint neben den einschlägigen Pop- und Schlager-Diven der Londoner West-End-Hit „Six“ Pate gestanden zu haben, der auf ähnliche Weise einen historischen Stoff in charttaugliche Songs verpackte.
Ohne Zweifel ein Abend, der durch seine Brüche polarisiert, neben Dürmeyers Power-Röhre aber einiges an Schauwerten zu bieten hat. Karl Fehringer und Judith Leikauf haben eine abstrakte Bühnenkonstruktion entworfen, die eine perfekte Kulisse für die Showsequenzen bildet und die sich mit wenigen flexiblen Elementen rasch ins exotische Java verwandelt. Getoppt wird dies nur noch von der schillernden Kostümparade Alfred Mayerhofers, bei deren Umsetzung die Schneiderei des Theaters ganze Arbeit geleistet hat. Tobias Hell
Die Handlung: 1897. Margarethe Zelle folgt ihrem Mann, Offizier Johnny MacLeod in die niederländische Provinz Java. Vom nüchternen Ehealltag eingeengt, versucht sie, sich zumindest künstlerisch selbst zu verwirklichen. Margarethe träumt von der Karriere als Revuestar und erschafft sich ein Alter Ego: Tempeltänzerin Mata Hari, die zu Hause in Europa für Furore sorgt, ehe sie nach Spionage-Vorwürfen hingerichtet wird.