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Faszinierende Videos: Hier sehen Sie eine Frau beim Jodeln

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Von: Markus Thiel

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Was tut sich im Kopf eines Menschen, wenn er singt? Freiburger Forscher haben den menschlichen Gesangsapparat durchleuchtet, dabei sind faszinierende Videoaufnahmen entstanden - die Sie bei uns ansehen können.

Was für ein weiß-gräuliches Ding. Eine Masse, die sich hebt, senkt, verformt, fast so groß ist wie ein Drittel des Gehirns und eigentlich, so dachte man doch, nur fürs Schmecken zuständig ist. Aber egal welcher Solist durchleuchtet wird, egal was er von sich gibt: An der Zunge bleibt man als Betrachter kleben. Ob sie womöglich wichtiger ist als der Kehlkopf? Es sind spektakuläre Aufnahmen, die hier gelangen. Blicke in den Kopf des Menschen, Querschnittaufnahmen des Schädels mit seinen Knochen, Muskeln und Organen. Und alles, um das darzustellen und zu untersuchen, was jeder Mensch kann – auch wenn er’s nur heimlich unter der Dusche oder im Auto riskiert: singen.

Aufgenommen wurden die Bilder im Freiburger Institut für Musikermedizin. Ein Team von Weißkitteln hat sich da zusammengefunden, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Grundlagen des Singens zu erforschen und zu erhellen. In gewisser Weise sind die Breisgauer die Urururahnen von Leonardo da Vinci (1452-1519). Der schnitt die Kehlköpfe Verstorbener auf, um exakte Zeichnungen anzufertigen. Später bugsierte der legendäre Gesangslehrer Manuel García (1805-1906) erst sich und dann anderen einen Spiegel in den Schlund. Es folgten Röntgenaufnahmen mit den bekannten Nebenwirkungen. Und schließlich die Freiburger, die ihre Freiwilligen in die Röhre zur Magnetresonanztomographie, kurz MRT, schoben und damit allen Vorgängern voraus sind: Ihre Methode ist gefahrlos.

Hier sehen Sie eine Sopranistin singen:

Und warum das alles? „Wir wollen das Gesamtinstrument Stimme wissenschaftlich und phänomenologisch vorstellen“, sagt Professor Bernhard Richter. „Wir beschreiben, was wir sehen, ohne uns darüber zu äußern, was richtig oder falsch ist.“ Rund zehn Jahre ist es her, dass sich Richter in die Röhre legte und eine Arie anstimmte. Der

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Okka von der Damerau sang im MRT den Monolog der Erda aus Wagners „Rheingold“.

Institutschef ist ausgebildeter Sänger – ein Beleg dafür, dass er und seine Mitstreiter keine grauen Labor-Mäuse sind, sondern das, was sie untersuchen, aus eigener Praxis kennen. Wenn Richter über seine Forschung spricht, steht man folglich in keiner Dusche von Fachausdrücken. Der Mann ist auf eine schalkhaft-hintergründige Art besessen von seiner Arbeit. Die zehn häufigsten Sängerkrankheiten, nach denen werde er oft gefragt. „Das kennen wir zwar, aber so etwas ist für uns nicht so spannend.“

Dabei baten Richter und seine Kollegen nicht nur Opern- und Oratoriensolisten, sondern zuvor auch Trompeter, Hornisten und Klarinettisten ins Institut. Über persönliche Kontakte (Richters Kollege Matthias Echternach ist im Stuttgarter Kammerchor) kam man an Sänger-Promis heran. Und einer davon, Michael Volle, heuer Bayreuths neuer „Meistersinger“-Sachs, ließ die Aufmerksamkeit förmlich explodieren – was nicht zuletzt mit unserer Zeitung zu tun hat.

Ein Bass singt - so sieht das im Kopf aus:

Vor einem Jahr entstand mit Volle ein Merkur-Interview, das sich um seinen Ausflug ins MRT drehte. Gleichzeitig konnte man auf unserer Webseite ein Video sehen, auf dem der „durchleuchtete“ Bariton das Abendstern-Lied aus Wagners „Tannhäuser“ sang. Über eine halbe Million Klicks bescherte das bislang auf Youtube, was die Freiburger verblüffte: Sollte ihre Forschung eine solche Wirkung entfalten können?

Die Antwort darauf liegt nun vor. Es ist eine DVD-Rom mit dem schlichten Titel „Die Stimme“. Volle ist darauf zu sehen und zu hören, aber auch Sopranistin Julia Kleiter mit dem „Dove sono“ aus „Le nozze di Figaro“ von Mozart oder Mezzosopranistin Okka von der Damerau mit der Erda aus Wagners „Rheingold“. „Die Stimme“ gibt Auskunft über den Forschungsstand des Freiburger Instituts. Laien sollten sich nicht verschrecken lassen: Die Silberscheibe wendet sich nicht nur an Experten, sondern zielt auch auf die „Breitenkultur“ (Richter).

Es ist eine interaktive Geschichte, mit der man am Computer spielen kann. Ein quasi animiertes, verfilmtes Lehrbuch, das einmal sogar moralisch und mahnend wird: Fatal und folgenreich sei es doch, wenn mit Kindern heutzutage nicht mehr gesungen werde. Diagramme, Fotos, Filme, auch Cartoons liefern Basiswissen. Was passiert bei der Atmung? Was bedeutet „Stütze“ beim Singen? Wie ist der Kehlkopf aufgebaut? Wie verlief die Geschichte der Vokalforschung? Auf alle diese Fragen gibt es, unter erfreulicher Vermeidung zu vieler Spezialbegriffe, Antworten. Eigentlicher Clou der DVD ist das Großkapitel „Stimmliche Ausdrucksformen“. Hier finden sich, mit gut verständlichen Erklärungen unterlegt, die Videos der Opernsänger, aber auch solcher aus anderen populären Gesangsstilen wie Rock, Pop und Musical.

„Hollari-du-dödel-di“: Hier wird gejodelt

Bei Nadja Räss, der Schweizer Jodlerin, rückt das in den Hals geschobene Endoskop nicht nur die sich verändernden Stimmlippen ins rechte Licht, im MRT sind auch extrem schnelle Zungenbewegungen zu sehen. All das räumt mit einem Vorurteil auf – mit einem

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Die Jodlerin Nadja Räss ließ sich für die Studie ebenfalls in Kopf und Rachen schauen

„Kehlkopfüberschlag“ hat Jodeln nichts zu tun. Weiteres Beispiel: Wolfgang Saus interpretiert „Guten Abend, gute Nacht“ von Brahms in einer Kombination aus normalem und Obertongesang – die Schädelaufnahmen zeigen, was bei dieser sphärischen Klangerzeugung passiert.

Und am meisten bekommt der Vokalapparat bei Julian Knörzer zu tun, dem Beatboxer, der ein ganzes Schlagzeug-Ensemble imitiert. Das genaue Gegenteil ist übrigens bei Bassbariton Konstantin Wolff zu beobachten: Als der eine Arie aus Händels „Orlando“ zum Besten gibt, bleibt in Mund und Rachen bei geschwinden Koloraturen alles auffallend ruhig. Technik, Probleme, eventuelle Fehler, all das thematisieren Bernhard Richter und seine Kollegen auf der DVD bewusst nicht, das gehört in die Stimmsprechstunde des Instituts: „Wir ersetzen jedoch keine Gesangspädagogen“, sagt Richter. Und wer sich allein von seiner MRT-Aufnahme Aufklärung darüber erhofft, ob er zum Bühnenkünstler taugt, ist bei ihm ebenfalls an der falschen Adresse. Einfach, weil die Menschen zu verschieden sind, als dass sich verallgemeinerbare körperliche Voraussetzungen ableiten ließen.

Das passiert beim Beatboxen im Kopf:

„Wir können rein vom Bild her nicht einmal Stimmgattungen zuordnen. Es gibt Soprane, die die gleiche Trachialweite wie Bässe haben.“ Die DVD bleibt also beim Benennen und Erklären. Das allein ist freilich schon viel: Die einzigartigen Aufnahmen aus Freiburg schaffen immerhin eine Reihe von Missverständnissen aus der Welt und sorgen für Neubewertungen. Dass man dies nun alles mit eigenen Augen nachprüfen kann, ist ein Gewinn. Interessant ist, dass Richter & Co. dabei auch Widerstand spürten. Von den Gesangspädagogen alter Schule zum Beispiel. Die pochen aufs klassische Meister-Schüler-Konzept, Eleven mit zu viel Eigenwissen und -initiative sind da eher verdächtig, Forscher mit Anti-Klischee-Aktionen sowieso.

Eines haben fast alle Probanden, die sich in die Freiburger Röhre legen, übrigens gemeinsam: Nach Sichtung ihrer Aufnahmen sind sie verblüfft von der Zunge. Vielleicht, so Richter, könnten sie nun anders, besser mit diesem großen Organ umgehen. Und eine andere Bemerkung falle auch regelmäßig: „Ach, ich habe ja ein Gehirn“, bekommt Bernhard Richter häufig zu hören. „Das können wir dann gern bestätigen.“

„Die Stimme“

DVD-Rom von Bernhard Richter, Matthias Echternach, Louisa Traser, Michael Burdumy und Claudia Spahn, ca. 160 Minuten, Helbling, Innsbruck/ Esslingen; 34,90 Euro.

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