München: Alte Pinakothek feiert die Pastellmalerei - beglückend!

Jetzt aber schnell: Die Sonderausstellung „Vive le Pastel!“ läuft nur noch bis 23. Oktober 2022 in der Alten Pinakothek in München. Ein Besuch lohnt sich!
Nur noch bis Sonntag, 23. Oktober 2022, ist in der Alten Pinakothek München die Ausstellung „Vive le Pastel!“ zur Pastellmalerei von Vivien bis La Tour zu sehen. Warum sich ein Museumsbesuch in diesem Fall besonders lohnt:
Lesen Sie hier unsere Kritik zur Ausstellung „Vive le Pastel!“ in der Alten Pinakothek München vom 5. Mai 2022: Ich schau dir in die Augen, Kleiner. Und möchte gar nicht mehr aufhören damit. Wegen der prickelnden Illusion, dass er gleich herausspringt aus seinem Bilderrahmen und mitten in der Alten Pinakothek in München steht, der hübsche Abbé Nollet. So wirkt’s, wenn man die Bilder betrachtet, die dort bis 23. Oktober 2022 ausgestellt sind. „Vive le Pastel!“ heißt das Motto der Schau – und, parbleu!, lebendiger als hier könnte es nicht zugehen.
Für einen Euro Meisterwerke anschauen!
Es ist die Crème de la Crème der Pastellmalerei. Klar, darunter machen’s die Bayerischen Gemäldesammlungen nicht. Nur, falls es jemand bei dem ganzen pandemiebedingten Hickhack an Museumsöffnungen und -schließungen vergessen haben sollte: Sonntags gilt in der Alten Pinakothek (wie in den meisten Münchner Museen) weiterhin ein Eintrittspreis von einem Euro. Ein Euro für Momente voller Staunen, Faszination und Überwältigung vor so viel künstlerischem Talent, so viel technischer Finesse.
Ein bisschen fühlt man sich tatsächlich wie ein Voyeur, der sich ins 18. Jahrhundert verirrt hat und ungeniert die Näschen und samtenen Wangen der Damen, die Wohlstandsbäuche und Augenbrauen der Herren studiert. Oder wie in einem prächtigen Kostümfilm, in dem Hollywood die Zeit des Rokoko imitieren möchte. Das hier ist aber keine Imitation, das ist das echte Leben. So nah wie möglich heran an die reale Vorlage wollten die Künstler und Künstlerinnen (!) der damaligen Zeit.
Künstler der Aufklärung wollten den echten Menschen zeigen
Es ist die Epoche der Aufklärung, in der der Wunsch nach naturgetreuer Nachahmung der Realität gerade im Porträt das Maß aller Dinge war. Mehr noch: Was diese Starporträtisten in den präsentierten Werken aus den Jahren zwischen 1700 und 1767 mit Kunstkreide schufen, war keine bloße fotorealistische Abbildung von Äußerlichkeiten. Meister wie Maurice Quentin de La Tour (1704-1788) wollten in ihren Porträts das Wesen der dargestellten Person erfassen. Wie sehr dem Franzosen selbst das geglückt ist, zeigt unter anderem das erwähnte Bildnis des Abbé Nollet (um 1753). Wache, warme Augen schauen da in eine Richtung, die außerhalb des Bildes liegt. Vielleicht folgt er aufmerksam einem Gespräch. Durch diese Darstellung gelingt es de La Tour, den offenen Geist dieses vornehmen Herrn aus niederem Klerus für die Ewigkeit festzuhalten.

Nun ist das mit der Ewigkeit bei Pastellmalerei so eine Sache. Die Werke sind äußerst fragil. Die von Elisabeth Hipp klug kuratierte Schau erklärt, warum. Die Farben werden in staubigen Schichten aufgetragen, trocken – und haften deshalb nur schwach auf dem Papier. Das gibt den Künstlern die Möglichkeit, fantastisch zarte Farbübergänge zu schaffen – birgt aber gleichzeitig immer das Risiko unbeabsichtigter nachträglicher Verwischungen. Deshalb werden Pastellmalereien in Glas gerahmt und wenn irgend möglich nicht bewegt. Die meisten der gezeigten Arbeiten hängen normalerweise im Neuen Schloss Schleißheim. Doch weil sie nun zu Restaurationszwecken ohnehin nach München verbracht werden mussten, dachten sich die Kunsthistoriker der Alten Pinakothek: Die Chance will genutzt sein. Die Museumsbesucher sollen schließlich auch etwas von dieser „Einmalbewegung“ haben.
Die Pastellarbeiten wirken wie Ölgemälde - doch viel lebendiger!
Und tatsächlich versteht man im Zusammenspiel mit anderen Meisterwerken des 18. Jahrhunderts in der Alten Pinakothek erst vollends, was Pastell so besonders macht. Von Ferne meint man, das sei Öl auf Leinwand. Indem Elisabeth Hipp tatsächliche Ölgemälde daneben hängt, wird deutlich, wie viel lebendiger die Porträtierten in den Pastellarbeiten wirken. Denn Öl dunkelt nach, die Firnisschicht vergilbt über die Jahre. Die Kraft und Brillanz der Farben in den Pastellarbeiten von Rosalba Carriera (1673-1757) bis Joseph Vivien (1657-1735) aber strahlt noch heute, einnehmend stark. „Pastell“ – der Name leitet sich von der italienischen Bezeichnung für den Farbteig ab, aus dem die Kreiden geformt werden. Pasta. Das schmeckt uns.
Bis 23. Oktober 2022 in der Alten Pinakothek in München. Di. und Mi. 10 bis 20.30 Uhr, Do. bis So. 10 bis 18 Uhr. Weitere Infos gibt es hier. Sammlungsführer: Elisabeth Hipp (Hg.): „Pastellmalerei vor 1800 in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen“. Deutscher Kunstverlag, 144 Seiten; 14,90 Euro.