Münchner Kammerspiele: Mit Nick Cave am offenen Herzen

„The Fe.Male Trail“ von Katharina Bach und ihrer Band Bitchboy ist viel mehr als ein Nick-Cave-Liederabend. 2019 entstand die Produktion am Schauspiel Frankfurt. Jetzt feierte sie München-Premiere an den Kammerspielen. Unsere Kritik:
Ein guter Song ist ein Drama, eine Geschichte, die sich mit Musik anschmiegt – und oftmals den Hammer hinterm Rücken verborgen hält, um ihn hervorzuholen, wenn wir es kaum noch erwarten. Nick Cave ist nicht nur ein toller Songschreiber, sondern ein begnadeter Erzähler, einer, der seinen Geschichten Leben schenkt. Ein Prediger, der die großen Fragen umkreist: Liebe, Tod, Verderben, Gott. Dazu schafft er Szenen und Landschaften, entwirft Stadtpläne und Momentaufnahmen, die er in seinen Liedern durchwandert. Auf diesem Trail, diesem Pfad, der mitten durch die Seele führt, folgen Cave nun Katharina Bach und ihre Band Bitchboy. (Auf dem Album „She walks in Beauty“, das Marianne Faithfull 2021 vorgelegt hat, spielt Cave übrigens die meisten Klavier-Parts. Unsere CD-Kritik lesen Sie hier.)
Seit zwei Jahren ist die 1985 geborene Schauspielerin an den Münchner Kammerspielen, hier ist sie etwa in „Bayerische Suffragetten“ und „Effingers“ zu sehen. Zuvor war sie am Schauspiel Frankfurt engagiert. Dort entwickelte Bach 2019 mit den Musikern Martin Standke (Schlagwerk), Tim Roth (Bass), Yuriy Sych (Piano) und Gitarrist Tomek Witiak den Abend „The Fe.Male Trail“, den die Kammerspiele nun ins Repertoire übernommen haben. Ein Glück! Am Samstag war die heftig, laut und lang beklatschte München-Premiere im Schauspielhaus.
Münchner Kammerspiele: „The Fe.Male Trail“ ist nun Teil des Spielplans
Diese gut 100 Minuten sind viel mehr als ein Nick-Cave-Liederabend. Bach und Bitchboy unternehmen vielmehr Untersuchungen am offenen Herzen, um vorzustoßen zu jenem Kern, der das Menschsein ausmacht. So haben auch Martin Holzhauer und Leonard Mandl die Bühne nicht nur für ein Konzert vorbereitet, sondern für ein existenzielles Schauspiel präpariert. Da baumelt eine zart glimmenden Lichterkette von der Decke herab, ein funzelnder Kronleuchter hat schon deutlich bessere Tage erlebt, derweil eine Leiter hinauf ins Nirgendwo führt.

Die Musiker und ihre Frontfrau interpretieren die Stücke des 1957 geborenen Australiers nicht nur, sondern sie machen sich die Lieder tatsächlich zu eigen, arbeiten heraus, was sie für erzählenswert halten. „Take a little Walk to the Edge of Town“ heißt es in „Red Right Hand“, einem der Höhepunkte dieser auch dramaturgisch klug gebauten Produktion. Auf ihrem kleinen Spaziergang an den Stadtrand finden die Sängerin und ihre Musiker die wundersamsten Geschichten und Gestalten – und sie lernen am Premierenabend Barbara kennen, die im Balkon sitzt und sich freiwillig meldet, um mit Bach gemeinsam die mörderische Ballade „Henry Lee“ zu singen. Eine große Freude – für alle im Saal.
Münchner Kammerspiele: „The Fe.Male Trail“ ist ein Abend zum Wiederhören
Musikalisch ist die Inszenierung fein abgestimmt. Standke und Roth legen ein felsenfestes Fundament aus Rhythmus und Groove, auf dem Sych seine Piano-Läufe flirren lässt und Witiaks Gitarre wahlweise perlt oder brettert. Bach verfügt über eine virtuose, facettenreiche, wandelbare Stimme: mitreißend, geheimnisvoll, hingebungsvoll und selbst in den düstersten Momenten trostspendend.
In seinem Buch „The Sick Bag Song“ von 2016 schreibt Nick Cave, der 2021 den Bildband „Stranger than Kindness“ vorlegte, an einer Stelle: „Ein Engel wird die Flügel ausbreiten und mir ins Ohr sprechen. Den ersten Schritt musst du allein tun. Dann wird der Engel mich anstupsen und ins Unbekannte hinausschicken.“ Es ist schön, dass uns Katharina Bach und Bitchboy ein Stück dieses Weges begleiten.