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Veranstaltungstipp für Bücherfreunde: „München. Lesen und lesen lassen“ im Literaturhaus

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Von: Katja Kraft

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Verleger Albert Langen und sein Münchner Satireblatt „Simplicissimus“, dessen Logo die von Thomas Theodor Heine entworfene rote Bulldogge war, in einer Collage der Künstlerin Lili Aschoff
Literatur, die zubeißen kann: Verleger Albert Langen und sein Münchner Satireblatt „Simplicissimus“, dessen Logo die von Thomas Theodor Heine entworfene rote Bulldogge war, in einer Collage der Künstlerin Lili Aschoff. © Illustration: Lili Aschoff

Das Büchlein „München. Lesen und lesen lassen“ von Michael Schleicher ist eine Liebeserklärung ans Lesen. Und die ist selbst sehr lesenswert. Nun stellt der Autor sie im Münchner Literaturhaus vor.

Natürlich kann man das alles ganz bequem via Internet erledigen. Amazon Prime, klick klick, Online-Überweisung, klick klick, und noch am selben Tag wird das gewünschte Buch geliefert. Vom Boten kontaktlos vor die Haustür gelegt. Ein Fest für jeden Misanthropen. Ein Graus aber für Menschen wie Michael Schleicher. Der Feuilleton-Chef unserer Zeitung ist bekennendes Mitglied eines Bundes, der hoffentlich nie aussterben wird: der Klub der Bücherfreundinnen und Bücherfreunde. Für sie alle hat er nun eine Liebeserklärung ans Lesen geschrieben. Und die ist selbst sehr lesenswert. Am 4. Mai 2023 stellt Schleicher es um 18.30 Uhr im Literaturhaus München vor. Karten gibt es zu vier Euro an der Abendkasse.

Die Münchner Buchhandlung L. Werner
Die Geschichte der Buchhandlung L. Werner, die sich heute in der Theresienstraße 66 befindet, ist Ausgangspunkt für „München. Lesen und lesen lassen“. © Schlaf

Michael Schleicher nimmt uns mit auf eine kurzweilige Reise zurück an die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Eine Münchner Reise. Denn Ausgangspunkt ist eine der ältesten deutschen Oasen für Bibliophile: die Buchhandlung L. Werner. Als Louis Werner sie 1878 inklusive Antiquariat eröffnet, „in bester Lage“, unweit des Max-Joseph-Platzes, trifft er den Nerv der Zeit. Dass er sich auf die Fachbereiche Kunst, Architektur, Kunstgewerbe spezialisiert, zeugt von der Stimmung, die in der Stadt herrscht. „Während sich München im 19. Jahrhundert mit den beiden Pinakotheken, mit seiner Glyptothek und den Antikensammlungen zur Kunststadt und zum ,Isar-Athen‘ aufschwingt, wird Schwabing nach 1900 zum Experimentierfeld: künstlerisch, literarisch, gesellschaftlich.“ Es brodelt in der Stadt – und wir dürfen für einige Momente mit eintauchen in diese spannende Zeit.

Michael Schleicher nimmt uns mit auf einen literarischen Streifzug durch München

Der Autor klopft beim legendären Fotoatelier Elvira von Anita Augspurg und Sophia Goudstikker an die Tür; erweckt Volkssängerin Ida Schumacher (1894-1956), besser bekannt als „Ratschkathl“, vor unserem inneren Auge zu prallem Leben; lässt das Bier in Kathi Kobus’ Künstlerkneipe Simplicissimus überschäumen – und die Köpfe hitzig werden vor Diskussionen in der Redaktion der gleichnamigen Zeitschrift. Deren erste Nummer kommt am 4. April 1896 heraus – ihr Markenzeichen, die blutrote Bulldogge, hat auch mehr als 100 Jahre später nichts von ihrer Bissigkeit verloren. Mit leuchtend gelben Augen stiert sie uns aus einer der Collagen von Lili Aschoff entgegen, die das Buch optisch auflockern.

Michael Schleichers Buch „München. Lesen und lesen lassen“.
Ein literarischer Streifzug durch München: Michael Schleichers Buch „München. Lesen und lesen lassen“. © Klinkhardt & Biermann

Die Bulldogge ist Sinnbild für den geistigen Kampf, der von genialen Satirikern wie Olaf Gulbransson oder Frank Wedekind um 1900 mit spitzer Feder geführt wird. Heute haben wir das fragile Glück, in einer Demokratie zu leben. Indem er die politischen Schreiber von einst in Bezug zu denen der Gegenwart setzt, erinnert uns Michael Schleicher daran, dass Literatur auch im Wortsinne überlebenswichtig sein kann. Ganz so, wie es Kamel Daoud bei einem Besuch in den Münchner Kammerspielen feststellte: „Die Literatur ist ein Werkzeug für die Freiheit.“

Das Buch lädt zu einer Reise in die eigene Lese-Vergangenheit

Und manchmal schier ein Quell der Freude. Auch der Ablenkung, wenn die Welt da draußen unerträglich wird. Die im Büchlein zitierten Gedichte machen Lust, sofort loszulesen. Ringelnatz’ „Bücherfreund“ zum Beispiel („Und wer Bücher kauft, der kauft sich Seelen“) oder Eugen Roths „Gesundlesen“ („Denn Goethe, Keller oder Stifter/Sind wahre Tröster und Entgifter“). Ebenso die Erinnerungen des Autors selbst. Wenn Michael Schleicher beschreibt, wie es sich anhört, wenn man ein Buch das erste Mal aufschlägt: „Bücher klingen.“ Oder wenn er seine Leserinnen und Leser direkt anspricht und sie gedanklich zurückschickt zu ihren eigenen ersten zarten Schritten durch den unerschöpflichen Seiten-Wald der Fantasie. „Wie wurden Sie auf jene Bücher, Autorinnen und Schriftsteller aufmerksam, die Sie lange begleiten? Wessen Empfehlung hat Sie einst in Buchhandlung oder Bibliothek geführt? Sehen Sie, Sie erinnern sich!“ Stimmt. Plötzlich ist da wieder die mollige Sachkundelehrerin, die – statt Sachkunde zu lehren – lieber „Feuerschuh und Windsandale“ vorlas und einem damit mehr fürs Leben mitgab, als jeder Heimatunterricht es hätte tun können. Oder der Mann, in den man so verliebt war, dass man in die nächste Buchhandlung lief, um sich Javier Marias’ „Morgen in der Schlacht denk an mich“ zu sichern, sein Lieblingsbuch.

Das Buch macht Lust, selbst loszulesen

Michael Schleicher ist ein Stichwortgeber im besten Sinne. Er sticht uns sanft in spannende Richtungen, reißt Geschichten an, die man gern weiterlesen möchte. Setzt so immer neue Titel und Autoren auf die persönliche Bücherliste. Die Leselust, sie ist geweckt. Die Sommertage am Strand können kommen! Michael Schleicher: „München. Lesen und lesen lassen“. Mit Collagen von Lili Aschoff. Klinkhardt & Biermann, München, 104 Seiten; 16 Euro.

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