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Münchner Kammerspiele: Uraufführung von „Eure Paläste sind leer (all we ever wanted)“

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Szene aus der Uraufführung „Eure Paläste sind leer“ an den Münchner Kammerspielen.
„Eure Paläste sind leer“: Fantasie, Puppe und Mensch prägen die Inszenierung an den Münchner Kammerspielen. © Armin Smailovic/Münchner Kammerspiele

Die Münchner Kammerspiele haben bei Autor Thomas Köck ein neues Stück in Auftrag gegeben. Jetzt wurde sein Drama „Eure Paläste sind leer (all we ever wanted)“ im Schauspielhaus uraufgeführt. Unsere Premierenkritik:

Teiresias. Das scheinbare Paradox des blinden Sehers ist so berühmt wie berührend. Seit Homer und über Dante hinaus gilt seine Blindheit stets als Strafe, sein Sehen als Gabe. Doch: Wie viel Macht trägt der Vorhersehende – und wie viel Verantwortung? Diese Frage stellt eine gefeierte Stimme des jungen deutschsprachigen Gegenwartstheaters. Der 35-jährige, zweifache Mülheimer Dramatik-Preisträger Thomas Köck setzt sich in seinen Texten für „diese unendlich schöne Welt“ ein, „die vor unseren Augen verheizt wird für die ewig gleiche Geschichte von Ausbeutung, Zerstörung, Profit-Maximierung“.

Münchner Kammerspiele gaben „Eure Paläste sind leer“ in Auftrag

Sein Drama „Eure Paläste sind leer (all we ever wanted)“ feierte nun als Auftragsarbeit der Münchner Kammerspiele Premiere.

Eine glückliche Symbiose, trägt diese Uraufführung doch die Handschrift von Hausregisseur Jan-Christoph Gockel, die im Zusammenspiel von Puppe und Mensch fast eine Garantie für emotionale Bühnenoffenbarungen scheint. Obendrein findet in den beseelten Marionetten von Michael Pietsch Köcks Leidenschaft für die „Heimsuchungslehre“ des britischen Hauntologen Mark Fisher die perfekte Leibhaftigkeit. Der 1993 von Derrida geprägte Begriff begreift „die Gespenster anderer Epochen“ als „Echo unserer Zukunft“, eine unheimliche Vorahnung der künftigen Toten im sich selbst zerstörenden Anthropozän: „aug in aug/mit der gewalt/verlässt dich alle herrlichkeit“. Nicht nur am Amazonas, wo 1550 weltliche wie kirchliche Konquistadoren im Drängen nach dem sagenhaften Eldorado grausamste Kolonialisierungsschuld verkörpern. Nicht nur in den USA der Gegenwart, wo der tödlich Missbrauch opioidhaltiger Schmerzmittel Hunderttausende Opfer fordert. In poetischer Verlassenheit, im dramatischen Rollenspiel oder flutenden Interview, zuletzt im chorisch verwobenen Dreiklang über Orte und Zeiten hinweg, schildert Köck eine in Ausbeutung, Auslöschung, Auflösung begriffene Welt „in den letzten zügen“.

„Eure Paläste sind leer“ an den Kammerspielen besticht durch Fantasie

Die Inszenierung im Schauspielhaus antwortet mit einer Fülle von Fantasie, viel Respekt und mit einer Verbeugung vor der Musikalität des Textes. In einer dystopischen Spiegelung des Zuschauerraums als leere Palastruine geben Julia Kurzweg (Bühne), Janina Brinkmann (Kostüme), Anton Berman und Maria Moling (Live-Musik) den melancholisch-wuchtigen Grundton verfallener, verblichener, verlassener Pracht. Ob in schwerem Brokatmantel und VW Golf in die Vergangenheit, in knallrotem Latex und Erlöser-Fanatismus unters leuchtend gelbe Fast-Food-Ketten-Logo oder in pseudointellektuellem Zigarettenqualm in eine Siebzigerjahre-Talk-Persiflage – als ausdrucksstarke Schau-, Hör- und Fadenspieler folgen Bernardo Arias Porras, Katharina Bach, Christian Löber, Nancy Mensah-Offei, Michael Pietsch und Leoni Schulz den gewagt leichtherzigen bis sarkastisch wütenden Variationen der Dante’schen Stationen Hölle, Fegefeuer und Paradies. „all we ever wanted“: Durch Maßlosigkeit wird Zeitlosigkeit zum Fluch, zeigt dieser lange beklatschte Abend. Aber auch: Das Wollen und das Theater sind von Natur aus unzertrennlich.

Teresa Grenzmann

Lesen Sie hier unsere Kritik zur Uraufführung „Effingers“, mit der die Münchner Kammerspiele in die aktuelle Spielzeit.

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