München im Auktionsfieber: Jetzt kommt Hermann Gerlingers „Brücke“-Sammlung bei Ketterer unter den Hammer

Das Münchner Auktionshaus Ketterer Kunst versteigert Hermann Gerlingers „Brücke“-Sammlung. Es ist die bedeutendste deutsche Sammlung der expressionistischen Künstlergruppe. Das könnte Rekordwerte bringen.
Wo gehören die Schätze der Kunstgeschichte hin? Für jedermann zugänglich ins Museum oder in alle Winde verstreut an diejenigen, die am meisten zu zahlen fähig und bereit sind? Das ist eine Frage, die in der Kunstwelt seit einigen Wochen wieder verstärkt diskutiert wird. Seit der spektakulären Versteigerung der milliardenschweren Sammlung des Microsoft-Mitgründers Paul Allen. Der US-Amerikaner (1953-2018) hatte im Laufe seines Lebens Meisterwerke wie Georges Seurats „Die Modelle“ und Gustav Klimts „Birkenwald“ zusammengetragen. Nicht als schnöde Investition, sondern aus echter Liebhaberei. Bei Allen wurden die Werke von Cézanne oder van Gogh nicht in Depots gelagert – der Kunstfreund lebte umringt von ihnen. Vier Jahre nach seinem Tod kam die Sammlung also auf den Markt, von derartiger Qualität und Rarität, wie man es sonst nur aus Museen kennt. Dem Auktionshaus Christie’s verschaffte das wie berichtet den erwarteten Rekord: Für 1,6 Milliarden Dollar wurden die 150 Werke in New York im November versteigert. Geld, das größtenteils sozialen Zwecken zukommen soll. So hatte es Allen verfügt.

Eine gute Nachricht für das Gemeinwohl, klar. Und doch bleibt die Frage, was passiert, wenn Museen, die über keine eigenen Ankaufsetats verfügen, bei derartigen Auktionen nicht mitbieten – und die Picassos dieser Welt künftig vor den Augen der Öffentlichkeit verschlossen in den Depots rein auf künftige Wertsteigerungen interessierter Sammler lagern. Oft ploppt bei Diskussionen um diese Frage das Klischee des chinesischen Multimillionärs auf, der den europäischen Markt für den eigenen Profit aufkauft. „Es heißt immer, dass alles im Lager liegt. Aber auch die asiatischen Sammler leben mit der Kunst und haben sie bei sich hängen. Manche haben natürlich ein Depot und tauschen immer wieder aus. Kuratieren also gewissermaßen ihre eigenen kleinen Wechselausstellungen“, sagt Nicola Keglevich. Sie ist Senior Director beim Münchner Auktionshaus Ketterer Kunst, das an diesem Wochenende zu einer außergewöhnlichen Versteigerung lädt. Ein Hauch von Paul Allen in Deutschland: Wie berichtet, wird der Würzburger Unternehmer Hermann Gerlinger seine berühmte „Brücke“-Sammlung zur Auktion anbieten. Das spektakulärste Werk daraus ist wohl Ernst Ludwig Kirchners Ölgemälde „Blaues Mädchen in der Sonne“, das bis vor Kurzem als Dauerleihgabe im Buchheim Museum in Bernried am Starnberger See zu sehen war. Der 1910 gemalte Halbakt wird auf zwei bis drei Millionen Euro geschätzt.
Hermann Gerlingers Sammlung ist die wichtigste deutsche private „Brücke“-Sammlung
Insgesamt ist es die wichtigste deutsche Privatsammlung zur Kunst der „Brücke“. Gerlinger hatte sie der Stadt Würzburg eigener Aussage nach als Geschenk angeboten. Doch „man hat es hohnlächelnd abgelehnt“. Auch mit Häusern wie dem Buchheim Museum, dem Kunstmuseum Moritzburg oder Schloss Gottorf sei er nicht einig geworden, die Sammlungskonzeption und die Bestände hätten nicht zusammengepasst, erklärte Gerlinger kürzlich in einem Interview. So werden sich nun Einzelpersonen um den Zuschlag bemühen.
Und hier kommt Ketterer Kunst ins Spiel: Gerlinger, der den Versteigerungs-Erlös an die Würzburger Stiftung Juliusspital, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz und den Bund Naturschutz spenden möchte, setzt bewusst nicht auf die Weltmarktführer Sotheby’s oder Christie’s; sondern mit den Münchnern als Spezialisten für die Klassische Moderne auf ein Haus, das besonders junge Sammlerinnen und Sammler ansprechen soll. Eindeutig schwingt bei diesem Wunsch die Hoffnung des 91-jährigen Hermann Gerlinger mit, dass unter den Bietern einer ist, der wie er selbst einst Werke zusammenträgt, um sie dann der Gesellschaft als Dauerleihgabe in Museen oder in einem eigenen Ausstellungshaus zu präsentieren. Das wäre übrigens auch ganz im Sinne Robert Ketterers. Schon als der heutige Geschäftsführer ein Bub war, kam Gerlinger häufig in das elterliche Auktionshaus und bot fleißig mit. So kommt in diesen Tagen wieder nach München, was hier vor vielen Jahren seinen Anfang nahm.
Die Versteigerung der Sammlung Hermann Gerlinger startet am 9. Dezember 2022 um 17 Uhr. Bis dahin können alle Werke von 10 bis 17 Uhr bei Ketterer Kunst in München, Joseph-Wild-Straße 18, besichtigt werden. Völlig kostenlos. Alle Infos gibt es hier