Neue Zeitrechnung: Die Münchner Philharmoniker und ihre Saison 2023/24

Die wichtigste Neuerung hat nichts mit Musik zu tun: Künftig starten die Münchner Philharmoniker schon um 19.30 Uhr. Ansonsten engagiert man in der kommenden Saison fast alle angesagten Pultstars der jüngeren Generation.
Vielleicht könnte man sich einen Wecker stellen. Oder für den Terminkalender Neonrot verwenden. Seit Jahrzehnten ist der Konzertbeginn 20 Uhr ja quasi ins Blut, vielleicht sogar in die DNA der Klassikfans eingegangen. Doch die Münchner Philharmoniker machen damit Schluss. In der nächsten Spielzeit beginnen alle Programme von Montag bis Freitag schon um 19.30 Uhr, samstags bleibt es bei 19, sonntags im Falle der Matineen bei 11 Uhr. Der Wunsch nach 19.30 Uhr kam, so Intendant Paul Müller, aus dem Publikum. Das hat zu tun mit der relativ ungünstigen Lage der Isarphilharmonie, ihrer Anbindung und auch damit, dass sich Arbeitszeiten mittlerweile verändert haben.
Abgesehen von vielen hochinteressanten Programmen ist es die einschneidendste Neuheit der Spielzeit 2023/24, eine neue Zeitrechnung quasi. Dazu passt das Motto „Übergänge“. In erster Linie spielt das natürlich aufs Interimsquartier in Sendling an und auf die Zwischenzeit bis zum Amtsantritt des neuen Chefdirigenten Lahav Shani im September 2026. In der kommenden Saison steht er nur bei Klassik am Odeonsplatz am Pult, an einem Extra-Konzert wird gewerkelt. In der übernächsten Spielzeit, so versichert Müller, wird Shani häufiger präsent sein.
Konzerte mit Gražinytė-Tyla, Mallwitz, Mäkelä, Nelsons und Harding
Ansonsten bleiben sich die Philharmoniker treu, was die intelligent komponierten Programme betrifft und die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler. Fast alle angesagten Dirgentinnen und Dirigenten der jüngeren Generation wurden für die bevorstehende Spielzeit eingeladen. Mirga Gražinytė-Tyla bestreitet den Saisonstart mit Mahlers Zweiter. Joana Mallwitz ist mit Bartók/Tschaikowsky/Kodály dabei, Klaus Mäkelä mit Strauss’ „Alpensinfonie“, Andris Nelsons mit Bruckners Siebter, Lorenzo Viotti mit Rachmaninow, Tugan Sokhiev mit Strawinsky und Schostakowitsch und Daniel Harding mit Mahler und Bruckner.
Einige Konzertprogramme ragen dabei heraus. Raphaël Pichon, aufregender Jung-Star aus der Alten Musik, kombiniert Mozarts c-Moll-Messe mit anderen Werken Mozarts und unter anderem Schuberts „Unvollendeter“ zu einem pausenlosen Abend. Philippe Herreweghe dirigiert Beethovens Missa Solemnis und Daniele Gatti das Verdi-Requiem. Mezzosopranistin Okka von der Damerau ist in gleich drei Programmen vertreten, ohne dass man sie gleich – eine Dramaturgenkrankheit – „Artist in Residence“ nennen muss. Und es wird wieder gereist. Erstmals seit 2018 geht es wieder nach Asien, fünfmal treten die Philharmoniker unter Myung-Whun Chung in Südkorea auf. Mit Ehrendirigent Zubin Mehta tourt das Ensemble nach Spanien und in die New Yorker Carnegie Hall.
Auslastung liegt bei 87 Prozent, Tendenz steigend
Seit Längerem ist dem philharmonischen Publikum anzusehen, dass es sich verjüngt. Aktionen wie das U30-Abo tragen hier Früchte, die verstärkte Nutzung der Sozialen Netzwerke, aber auch der neue Werbe-Auftritt, der sich bislang auf Plakaten und nun in der Saisonbroschüre niederschlägt. Beim jüngsten Konzert unter Lorenzo Viotti, so berichtet Intendant Müller stolz, seien 15 Prozent des Publikums unter 30 gewesen. Insgesamt meldet man eine Auslastung von 87 Prozent. Nach den heiklen Pandemie-Jahren steige die Nachfrage wieder, sagt Müller. Die Abo-Quote liege demgegenüber bei 56 Prozent. In absoluten Zahlen bedeute dies 9500 Abonnentinnen und Abonnenten, 700 habe man verloren. Aber: Bislang werde dies durch einen verstärkten Verkauf bei den Einzelkarten aufgewogen.
Ohnehin setzt das Orchester seit einiger Zeit auf Formate abseits des klassischen Konzerts. 2023/24 lädt man wieder zu Mitmach- und Workshop-Terminen, zu Kinderkonzerten, zu Abenden in der Sendlinger Nachbarschaft, Almkonzerten, oder, wie gerade erneut geschehen, zum „Nach(t)klang“ in der Halle E neben der Isarphilharmonie: Mitglieder des Orchesters heizen dazu ihren Gästen in diesem Pausenfoyer ein. Das hat unter anderem Dirigentin und Sängerin Barbara Hannigan so begeistert, dass sie in der kommenden Saison dabei sein will.
Dino-Duell zwischen Zubin Mehta und Herbert Blomstedt
Im Provisorium des HP 8, so klang es bei der Saisonvorstellung, hat man sich inzwischen heimatlich eingerichtet – zwangsweise, geht doch mancher mittlerweile aufgrund der erheblichen Verzögerung der Gasteig-Sanierung von einem zehnjährigen Interim aus. Kulturreferent Anton Biebl glaubt nicht an eine solch lange Zeit, wollte aber keine genauen Angaben machen und verwies auf einen Grundsatzbeschluss des Stadtrats im November.
Allen Zeiten enthoben ist ohnehin eine singuläre Persönlichkeit wie der Ehrendirigent. Zubin Mehta wird im Januar 2024 mit 86 Jahren einen auf acht Konzerte verteilten Brahms-Zyklus leiten. Welch Pointe (und fehlende Absprache), dass parallel dazu beim BR-Symphonieorchester der 95-jährige Herbert Blomstedt dasselbe tun wird. Ein Münchner Dino-Duell.