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Münchner Volkstheater: In den Wald geraten

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Von: Michael Schleicher

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Szene aus „Hyper“ am Münchner Volkstheater
Münchner Volkstheater: „Hyper“ thematisiert die Beziehung von Mensch und Natur. © Florian Schaumberger/Münchner Volkstheater

„Hyper“ heißt das Regie-Debüt des Videokünstlers Florian Schaumberger. Jetzt wurde das Zwei-Personen-Stück am Münchner Volkstheater uraufgeführt. Lesen Sie hier unsere Premierenkritik:

Laubbläser sind die Pest. Sie sind ein recht erdrückender Beweis dafür, dass der Mensch vielleicht doch nicht die Krone der Schöpfung ist, sondern ihr Betriebsunfall. Peinlich und problematisch statt prächtig und perfekt. Da türmt sich über der Bühne 2 im Münchner Volkstheater die herrlichste Gewitterwolke auf, groß und dräuend. Blitze zucken wie Irrlichter durch die Dunkelheit, man hört den Regen heftig prasseln und den Donner grausig grollen – ganz so, als wäre das Drinnen plötzlich draußen. Doch dann röhrt ein Laubbläser los und macht das fantastische Naturschauspiel ratzfatz zunichte. Bläst die Wolke davon, pustet das Gewitter einfach weg – und macht wenig später weiterhin einen solch Heidenlärm, dass kein Wort von dem zu verstehen ist, was die Schrebergärtnerin auf der Leinwand gerade erzählt.

Münchner Volkstheater: „Hyper“ läuft auf Bühne 2

Ja, Laubbläser sind eine echte Plage – das macht den Auftakt zur Uraufführung „Hyper“ großartig. Denn in diesen wenigen Minuten ist (fast) alles enthalten, was Florian Schaumberger in den nächsten zwei Stunden noch erzählt. Leider wird er aber nicht mehr an die Intensität, die Doppelbödigkeit und eindrucksvolle Ästhetik des Beginns herankommen.

Schaumberger, Jahrgang 1988, ist Videokünstler. Mit „Hyper“ gibt er sein Debüt als Regisseur; am Sonntag, 13. März 2022, war die herzlich und heftig beklatschte Premiere im neuen Haus an der Tumblingerstraße 29. Mit Texten und Berichten von Friedrich Hölderlin (1770-1843) sowie den beiden Schauspielern Vincent Sauer, Jahrgang 1996, und dem 1945 geborenen Heinz Brenner untersucht „Hyper“ die Entfremdung zwischen Mensch und Natur – und stößt zunächst auf viel Absurdität: Da ist die Sehnsucht nach dem Authentischen, der Unberührtheit von Wiesen, Wäldern, Bergen – und zugleich die (gern auch bequeme) Nutzung für Sport, zur Erholung, als Selfie-Kulisse und Nahrungslieferant.

Bei „Hyper“ stehen Vincent Sauer und Heinz Brenner auf der Bühne

Natürlich ist es Corona-bedingter Zufall, dass die beiden anderen städtischen Bühnen ebenfalls am vergangenen Wochenende mit ihrer gemeinsamen Produktion „Pigs“ Premiere gefeiert haben. Doch auch Kammerspiele und Schauburg wollen etwas herausfinden über den Umgang des Menschen mit der Schöpfung. Am Volkstheater allerdings gerät Schaumberger rasch und gründlich in den Wald – nicht nur im Wortsinn. Denn er rückt ab von der umfassenden Draufsicht der ersten halben Stunde und wendet sich dem Seelenleben eines namenlosen jungen Mannes zu, der sich immer stärker den Einflüssen der Flora und Fauna aussetzt. Das jedoch ist nur bedingt spannend und kaum erhellend.

„Hyper“ wäre vielleicht besser ein Film geworden

Vincent Sauer, der diesen herzensguten Naturburschen gibt, ist das nicht vorzuwerfen: Er stemmt die zwei Stunden allein; Heinz Brenners Interventionen aus dem Zuschauerraum sind zu unentschlossen, als dass die Inszenierung Funken daraus schlagen könnte. Zudem muss Sauer gegen die Macht der Bilder auf der Leinwand anspielen, die massiv die Bühne dominiert. Die Arbeit des Kameramanns Niko Knoblauch ist dabei ebenfalls auf der Habenseite zu verbuchen: Er findet oft tolle Einstellungen und elegische Fahrten. Vor allem gelingt es ihm und dem Regisseur immer wieder, die Szenen hinreißend zu schneiden – und dadurch unseren Umgang mit der Umwelt zu entlarven. Vielleicht wäre „Hyper“ ja besser ein Film geworden.

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