Oscars 2023: „Im Westen nichts Neues“ auf Gewinnerkurs?

Die Oscars werden vergeben: Der deutsche Netflix-Film „Im Westen nichts Neues“ von Edward Berger ist neun Mal nominiert, darunter in der Top-Sparte „Bester Film“. Lesen Sie hier unsere Filmkritik:
Für die brutale Logik des Krieges, für dessen grausame Unerbittlichkeit findet dieser Film gleich zu Beginn eine beeindruckende Szenenfolge. Dabei zeichnet Regisseur Edward Berger eigentlich nur den Weg einer Uniform nach: vom getöteten Soldaten auf dem Schlachtfeld zurück hinter die Front in die Wäscherei. Vom Blut gereinigt, wird die Kleidung in der Näherei geflickt und in die Heimat geschickt – wo ein neuer Rekrut sie erhält, der freilich nichts von diesem Kreislauf des Todes weiß.
„Im Westen nichts Neues“ startete am 28. Oktober 2022 auf Netflix
Es ist ein starker Auftakt der Literaturverfilmung „Im Westen nichts Neues“ – gleichwohl davon nichts im 1928 erstmals als Fortsetzungsgeschichte in der „Vossischen Zeitung“ erschienenen Roman von Erich Maria Remarque (1898-1970) steht. Bei seiner Adaption des Stoffs, die für Deutschland ins Oscar-Rennen 2023 geht, nimmt sich der 1970 geborene Berger Freiheiten, verdichtet und verkürzt hier, ergänzt neue Figuren und Handlungsstränge dort. Das ist richtig und wichtig, damit der Film dramaturgisch funktioniert – lediglich am Ende entfernt sich das Drehbuch dann doch zu weit und vollkommen unnötig von der Vorlage.
Wie bei Remarque steht im Zentrum der Produktion, die seit dem 28. Oktober 2022 beim Streamingdienst Netflix zu sehen ist, der Abiturient Paul Bäumer. Der junge Mann und seine Spezln haben sich – angesteckt vom Hurra-Patriotismus der Autoritäten – freiwillig gemeldet und kämpfen 1917 an der Westfront in Frankreich.
„Im Westen nichts Neues“ ist Deutschlands Beitrag für die Oscars
Schonungslos nah rückt die Kamera von James Friend den Soldaten auf den Leib, fängt Todesangst, Verzweiflung, Brutalität in Nahaufnahmen ein und hetzt durch die klaustrophobische Enge der Schützengräben. Diese Schlachtengemälde in Grau-Grün-Dreck kontrastiert die Regie durch eindrucksvolle Aufnahmen unberührter Natur und Szenen enormer ästhetischer Strahlkraft, die ihre Perversion erst entfalten, wenn klar wird, dass dieses optische Fest von Leuchtgranaten zur Erhellung des Schlachtfelds ausgelöst wird.

Vor allem für die Nebenrollen hat Berger eine überzeugende Besetzung gefunden: Allen voran der famose Albrecht Schuch, der dem langgedienten Frontsoldaten Stanislaus Katczinsky eine beeindruckende Tiefe gibt. In einem zweiten, neu erfundenen Handlungsstrang müht sich der Zentrums-Politiker Matthias Erzberger, den Daniel Brühl als schwäbelnden Humanisten zeichnet, um den Waffenstillstand mit den Franzosen. Damit und mit dem von Devid Striesow mit leisem Fanatismus gespielten General thematisiert Berger Friedensbemühungen und aufkommende „Dolchstoßlegende“. Leider fällt im Ensemble ausgerechnet Felix Kammerer als Paul ab. Die Überforderung des Rekruten zeigt er zwar nachvollziehbar. Dann jedoch gelingt es ihm kaum, seine Figur zu entwickeln; wenn Paul abgestumpft dem letzten Gefecht entgegenmarschiert, bleibt diese Resignation Behauptung. Schuch dagegen gelingt es scheinbar mühelos, von Szene zu Szene eine weitere Facette seines Katczinsky zu entblättern. „Wir spazieren da rum wie Reisende in einer Landschaft von früher“, sagt der einmal – und meint mit „früher“: in einer Landschaft ohne Menschen. Friedvoll.
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