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„Die verkaufte Braut“ an der Bayerischen Staatsoper: Miststück aus der Provinz

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Von: Markus Thiel

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Vor und auf einem riesigen Misthaufen lässt Regisseur David Bösch Smetanas Oper spielen. © Foto: Wilfried Hösl

Schräge, glaubhafte Typen, ein dampfender Misthaufen und ein (zu) überdrehter Dirigent: Smetanas „Verkaufte Braut“ im Münchner Nationaltheater.

München - Sie alle müssen diese Nummer gewählt haben, sagt das Video. Charles und Diana, Barack und Michelle, sogar Jonas und Anja – wobei letztere Beziehung, Münchens „Otello“-Gänger wissen Bescheid, im Würgreflex endete. 0196/ 555 000 77, darunter ist Kuppler Kezal zu erreichen, mehrfach wird das per Plakat und Projektion eingeblendet. Der Mann ist zwar eine riesengroße Macho-Sau und wird nur getoppt durch ein echtes Schwein auf der Szene, aber er versteht sein Geschäft. Dass am Ende Marie ihren Hans und nicht den elterlich geplanten Wenzel findet: geschenkt. Ausreißer gehören zum Vermittler-Alltag.

Sehr amüsant dies alles, dabei ist „Die verkaufte Braut“ von Bedřich Smetana eine härtere Nuss, als man gemeinhin glaubt. Wer nicht aufpasst, dem entgleitet alles in eine Peter-Alexander-Farce der Fünfziger. Immerhin das hat Regisseur David Bösch für diese Premiere an der Bayerischen Staatsoper geschafft: Nichts staubt, kein Biederkeits-Alarm, diese Existenzen sind auf eine schräge Art von heute. Nur eben nicht aus Münchens Speckgürtel oder dem Prospekt-Bayern, sondern von ganz weit hinten. Dort, wo der Dorf-Kosmos bestimmt wird von einem gigantischen dampfenden Misthaufen (Bühne: Patrick Bannwart), einem Klohäusl für alle, Bier aus dem hoffentlich gereinigten Gülle-Wagen und gelegentlich, die Jugend ist da weiter, von einem Joint.

Der Souffleur als Ankerzentrum

Viel erinnert an David Böschs „Liebestrank“, mit dem er vor neun Jahren in München die Opernszene betrat. Wieder ist fast alles Licht aus dem Idyll gewichen. Eine dunkle Poesie, die Armut, Einfachheit und Provinzlertum zur – freilich angeranzten – heilen Welt verklärt. Was damals bei Donizetti zu 100 Prozent aufging, verfängt bei Smetana nicht immer. Als Pointenlieferant ist Bösch versiert. Das geht vom Pseudo-Spektakel der Zirkustruppe, die einem Halloween-Albtraum entsprungen ist, bis zu Details wie Maries verschiedenen Stricksocken und dem ständig einbezogenen Souffleur: Gut möglich, dass der Mann während der überdrehten Proben zum Ankerzentrum wurde.

Gelegentlich sackt der Abend in sich zusammen. Und zuweilen ist da eine Diskrepanz zwischen Smetanas frechem, lyrischen Kammerspiel und der Staatsopern-Monumentalität. Bösch will mit allen zu Verfügung stehenden Mitteln Giga-Komödie spielen, was die „Verkaufte Braut“ leicht überfordert. Dafür stimmen die Typen. Man spürt, wie wohl sich die Sänger fühlen, vielleicht auch, weil sie auf eine aufreizende Art mit ihren Rollen verwandt sind. Pavol Bresliks welpencharmanter Hans weiß genau, wie er Beschützerinstinkte weckt. Bei Spitzentönen langt Breslik beherzt zu, über die Mittellage hat sich inzwischen ein Grauschleier gelegt. Selene Zanetti ist kein Hascherl: Ihre Marie steht fest und glaubwürdig im Leben, hat dabei die Männer durchschaut und im Griff. Die Italienerin ist vom Opernstudio ins Staatsopern-Ensemble gewechselt.

Nachdem die zunächst engagierte Christiane Karg schwanger wurde, bekam Selene Zanetti die Riesenchance: Ihr dunkler, gehaltvoller Sopran ist eine Stimme mit Hinhörgarantie, Mimì oder „Figaro“-Gräfin an der Staatsoper wäre der nächste Schritt.

Günther Groissböcks Kezal als Mittelpunktsfigur

Schmieriger als dieser Kezal geht nicht. Günther Groissböck, wie befreit vom Ballast der Wagner-Väterchen, macht ihn zur Mittelpunktsfigur. Hier stimmt alles, von der goldenen Armbanduhr über das Klapphandy, den weißen Strizzi-Anzug bis zum roten Hemd, das bis zur Gürtellinie aufgeknöpft ist. Groissböcks schwarz-sonorer, textdeutlicher Bass funktioniert auch im Parlando-Modus ganz ausgezeichnet. Dass dieser Kezal – wie alle anderen Figuren – immer kurz vor der Karikatur im Echtmensch-Status stehen bleibt, ist ein Plus der Inszenierung. Erst recht bei Wolfgang Ablinger-Sperrhacke. Ein großer Charakterdarsteller, der seinen Wenzel nie denunziert, die stärkste Tenor-Leistung des Abends liefert und der aufscheinen lässt, dass im Bereich Tragikomödie mehr möglich gewesen wäre.

Doch dafür ist vielleicht auch Tomáš Hanus nicht der ideale Dirigent. Smetana versteht er gern unter sportlichen Gesichtspunkten. Prinzipiell ist das imponierend. Aus der Ouvertüre stieben die Funken, später fliegen Späne. Mit den hochtourigen Tempi, vor allem im fast verschenkten Furiant, kommt das Bayerische Staatsorchester nicht immer zurecht. Das Klangpotenzial ließe sich besser nutzen. Auch rasten Chor-Nummern nicht sofort ein. Dass Smetana viel Zartbitteres komponiert, dass sich ein Sehnsuchtston durch die Partitur zieht, dass da also nicht nur Rausch ist, sondern auch Schmerz, hört man weniger. An den Folgeabenden mag sich diese Aufgekratztheit legen. Beziehungssuchende sollten sich übrigens andere Kanäle als Kezal suchen. Nach dem Wählen gibt’s nur Enttäuschendes vom Band: „Die Zielrufnummer ist gesperrt.“

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