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Roberto Saviano seziert den „Clan der Kinder“

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Von: Michael Schleicher

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Roberto Saviano schreibt immer wieder über die neapolitanische Camorra. © Marcus Schlaf

Mit „Gomorrha“ wurde Roberto Saviano 2006 berühmt – und geriet in Lebensgefahr. Seit damals lebt er unter Polizeischutz, doch schreibt weiter gegen die Mafia an. Jetzt hat der italienische Autor und Journalist seinen ersten Roman, „Der Clan der Kinder“, vorgelegt.

Der Satz ist ihnen Schwur und Mantra zugleich. Selbstvergewisserung und Selbstberuhigung. Ein Satz, der auf dicke Hose macht – doch kaum verbergen kann, dass darin Kinderbeine stecken. „Adda murì mammà … meine Mutter soll sterben, wenn …“ Kein Gespräch, keine Verhandlung, kein Streit in diesem Roman, in dem nicht diese Formel bemüht wird von Nicolas und seinen Freunden. Es ist Don Vittorio, der gefürchtete Boss, dessen Macht gerade im Hausarrest zerbröselt, der erkennt, was es mit diesem Spruch auf sich hat: „Dass der Junge diesen Satz ständig wiederholte, um das abzuwenden, was ein Vogel, der sein Nest noch nicht verlassen hat, am meisten fürchtet.“

Die „Reise ins Reich der Camorra“ erschien 2006

Egal, wie derb Nicolas und die anderen auf ihren Rollern durch Neapels Straßen brettern – sie hocken noch im Nest. Geschlafen wird im Kinderzimmer bei den Eltern, und wenn die Mama resolut genug ist, wird es nichts mit dem Ausflug zu nächtlichen Schießübungen auf „Pocket Coffees“, wie sie Afrikaner hier nennen. „Auf die scheißt doch jeder. Gibt’s etwa Ermittlungen wegen einem toten Neger?“

Das ist die Sprache, das ist die Welt, in die Roberto Saviano die Leser in „Der Clan der Kinder“ zieht. Der Journalist, 1979 in Neapel geboren, legte vor zwölf Jahren das detailliert recherchierte und packend geschriebene Buch „Gomorrha“ vor, eine „Reise ins Reich der Camorra“, wie die Mafia in der Region Kampanien heißt. Seit damals lebt Saviano unter Polizeischutz an wechselnden Orten. Doch er arbeitet aus seinen Verstecken heraus weiter, schrieb vom Widerstand gegen Mafia und Korruption („Der Kampf geht weiter“, 2010) und über den weltweiten Kokainhandel („Zero Zero Zero“, 2013). Dazu kommen Artikel in europäischen Zeitungen und Magazinen. Für sein Engagement wurde Saviano mehrfach ausgezeichnet, etwa 2009 mit dem Geschwister-Scholl-Preis in München.

Saviano wurde mit dem Geschwister-Scholl-Preis geehrt

An diesem Donnerstag kehrt er in die Stadt zurück, um im Literaturhaus sein neues Buch vorzustellen, seinen ersten Roman. Der Italiener bleibt seinem Thema treu – und obwohl „Der Clan der Kinder“ eine fiktive Geschichte erzählt, ist  doch  auf  jeder Seite die akribische Recherche, die große Kenntnis des Autors zu spüren. Auf Savianos dokumentarischen Anspruch muss  man  sich  einlassen und akzeptieren, dass darüber die Ausgestaltung mancher Nebenfigur etwas vernachlässigt wurde. Wer es tut, kann in eine mitleidlose, mitunter brutale, doch eben auch unbarmherzig erhellende Geschichte eintauchen. In ein Panorama dessen, was einmal „Camorra 2.0“ genannt wird. In deren Zentrum steht Nicolas, 15 Jahre jung und aus ordentlichen Verhältnissen, wie seine Freunde. Doch: „In Neapel gibt es keinen geschützten Weg zum Heranwachsen: Man wird schon in der Wirklichkeit geboren, mittendrin, entdeckt sie nicht erst nach und nach.“ Um hier zu bestehen, getrieben von der Gier nach Geld fangen die Burschen an, Drogen zu verticken. „Sie verkauften nach der Schule, doch manchmal gingen sie gar nicht erst hin, zur Schule, denn sie wurden nach verkauften Stücken bezahlt. Diese fünfzig, hundert Euro in der Woche machten den Unterschied. Und hatten eine einzige Bestimmung: Foot Locker. Den Laden stürmten sie förmlich.“

„Die Mafia ahmt das Kino nach“

Doch die Lust auf Sneakers und Markenklamotten ist rasch befriedigt. Schließlich beschließt Nicolas, seine eigene „Paranza“ aufzubauen. Sie sind zwar Kinder, „aber mit Eiern“. Begünstigt wird sein Entschluss durch ein Machtvakuum der Clans in Neapels Straßen – und da die Bosse kaum greifbar sind, suchen die Teenager in Filmen nach Rollenmustern und Handlungsanleitungen. „Man hat immer gesagt, dass das Kino die Mafia kopiert“, hat Saviano nach dem Erscheinen von „Gomorrha“ im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt. „Es ist umgekehrt: Die Mafia ahmt das Kino nach. Das Kino kreiert einen Mythos. Und die Mafiosi sind daran interessiert, dass ein Mythos um sie entsteht.“

Nichts anderes hat Nicolas im Sinn, den sie als Capo „Maraja“ nennen werden. Saviano beobachtet diese Jugend ohne Gott dabei, wie sie Baby-Bosse werden – in einer Spirale, die sich immer rasanter dreht. Sprachlich bleibt der Autor dem Stil seiner Sachbücher treu, schreibt schonungslos und detailversessen auf, was geschieht. Im Gegensatz zu seinen journalistischen Arbeiten gestattet er sich hier das Spiel mit Bildern, etwa um zu charakterisieren, wie die Bande untereinander spricht, ein verbales Hau-den-Lukas: „Sie redeten wie Texas-Hold’em-Spieler, ohne sich in die Augen zu sehen. Warfen Sätze aufs grüne Pokertuch, platzten mit dem raus, was ihnen im Kopf rumging, doch nach einer Weile räumte jemand den Tisch leer, wie Tucano es gerade getan hatte, und man bereitete sich auf die nächste Partie vor.“ So geht das. Bis schließlich die letzte Runde gespielt ist.

Informationen zum Buch:

Roberto Saviano: „Der Clan der Kinder“. Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki. Hanser Verlag, München, 416 Seiten; 24 Euro.

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