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Straucheleinheiten: Plácido Domingo dirigiert in Bayreuth

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Von: Markus Thiel

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Wunschtraum Bayreuth: Plácido Domingo irritierte seine Sängerkollegen. © Foto: Georg Hochmuth/ dpa

Plácido Domingo versuchte sich bei den Bayreuther Festspielen als Dirigent der Wiederaufnahme von Richard Wagners „Walküre“. Ohne Erfolg.

Bayreuth - Was das Wünschen und Träumen angeht, haben sie etwas gemeinsam. Er, die Legende, und sie, seine Verehrer. Einmal Plácido Domingo livehaftig erleben, früher als Tenorissimo, jetzt eine Etage tiefer als Bariton, diese Sehnsucht ließ sich in den zurückliegenden fünf Jahrzehnten durchaus befriedigen – vorausgesetzt, das Einkommen stimmte und das Kartenglück war hold. Die andere Seite, der umschwärmte Star, hat es ungleich schwerer. Einmal das Wiener Neujahrskonzert leiten, einmal im Bayreuther Festspielhaus Wagner dirigieren, das sind, so wird erzählt, die beiden Lebenswünsche des offiziell 77-Jährigen.

Warum tut er sich das an?

Letzteres ist gerade passiert. Ob es zum anderen kommt, ist nach der Bayreuther Erfahrung fraglich. Furchtbar viele Ausnahmen mussten dafür gemacht werden. Aus der abgespielten „Ring“-Inszenierung von Frank Castorf wurde die „Walküre“ für drei Aufführungen reanimiert. Und dass ein Halb-Laie im Graben befehligt, dort, wo Diskussions- und Verehrungswürdiges, auch musikalisch Umstrittenes, aber immer handwerklich Abgesichertes entsteht, auch das ist neu. Um kurz nach zehn, sechs Stunden nach dem ersten Takt, erfrischt, geföhnt und befrackt nach knapp 40 Grad im Orchesterkeller, tritt ein gebeugter Domingo vor den Vorhang. Jubel, aber auch viele Buhs, die schmerzen müssen. Warum tut er sich das an?

Wie ernst und teuer es diesem Jahrhundertsänger mit Bayreuth war, zeigt die Vorbereitungszeit. In den USA mietete er sich, das hört man aus berufenem Munde, ein Orchester für einen nichtöffentlichen „Walküre“-Versuch. Renommierte Sänger wurden angesprochen: Ob sie für ein Privatissimum am Klavier, für eine Lehrstunde also, zur Verfügung stehen könnten? Dann vor einigen Wochen eine konzertante „Walküre“ in St. Petersburg. Von der Probe mit dem Mariinsky-Orchester und russischen Solisten gibt es ein Schnipsel auf Youtube, es ist nicht schmeichelhaft für Domingo.

Nach dem Ernstfall im Festspielhaus lässt sich immerhin konstatieren: Domingo kam durch. Kein Schmiss, kein Abbruch, aber doch sehr Fatales. Der erste Aufzug – immerhin die dramaturgisch perfektesten 65 Minuten Richard Wagners – hing durch, als handle es sich um eine Leseprobe. Domingo hangelte sich von Takt zu Takt, das Festspielorchester spielte auf Sicherheitsmodus, Zeitlupen-Tempi setzten den Sängern zu. Für einen konditionsstarken Helden wie Stephen Gould müsste der Siegmund ein Spaziergang sein, hier kam es sogar im „Winterstürme“-Schlager zu Irritationen.

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Auf einem Ölfeld in Baku lässt Regisseur Frank Castorf seine „Walküre“ spielen, hier John Lundgren als Wotan. © Foto: Enrico Nawrath

Auch der zweite Akt war verbucht, nicht interpretiert. Die Straucheleinheiten häuften sich. Vieles wurde von den Sängern gerettet oder mutmaßlich vom beherzten Konzertmeister. Ein merkwürdiger Sprung zum dritten Akt. Domingo begann aktiver, offensiver und achtete nun gar nicht mehr darauf, was die Kollegen brauchten. Bühne und Graben entkoppelten sich oft. Ein Schwimmfest, kein Festspiel. An Scharnierstellen klapperte es. Und John Lundgren, ein knorriger, wetterfester, nicht unbedingt eleganter Wotan, geriet in den großen Monologen ein ums andere Mal an Abgründe.

Wer für Plácido Domingos Bayreuther Engagement verantwortlich ist, darüber schweigt man sich am Hügel aus. Manche geben der inzwischen abgewickelten Eva Wagner-Pasquier die Schuld, andere sprechen von viel älteren Versprechungen aus Wolfgang Wagners Zeit. Immerhin offerierte man Domingo, der schon in den Operngräben von Wien, New York oder München stand, eine First-Class-Besetzung. Die warf so gut wie alle Castorf’schen Regie-Details über Bord: Wer „freihändig“ sang, war verloren – hier musste festen Blickes nach unten die Körpersprache des Dirigenten entziffert werden.

Das Wetter gilt nicht als Entschuldigung für alles

Bei Catherine Fosters Brünnhilde klingt trotz hochdramatischer Vehemenz noch immer das Jungmädchenhafte durch. Anja Kampe hat ihre Sieglinde als zurzeit beste Rolleninterpretin ins Übermenschliche vergrößert. Tobias Kehrer sang den Hunding wie eine Bewerbung für größte Hügel-Aufgaben, Marina Prudenskaya die Fricka als essigsaure Spielverderberin. Nicht alles im Ensemble glückte wohlgerundet bis in die letzte Verästelung. Das ist verschmerzbar: Für den, der sich im Kostüm diesen Temperaturen aussetzt, gilt die Generalentschuldigung. Allein aufs Wetter schieben lässt sich Domingo allerdings nicht.

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