Tenor Wolfgang Ablinger-Sperrhacke kritisiert Corona-Politik: „Oper ist sicherer als ein Restaurant“

Die Politik habe die Kultur in der Corona-Krise „marginalisiert“, beklagt Tenor Wolfgang Ablinger-Sperrhacke. Nicht nur in Österreich, auch in Deutschland, erst recht in Bayern. Ein Interview.
München - Als Loge, Herodes oder – wie gerade wieder an der Bayerischen Staatsoper – als Hauptmann in Bergs „Wozzeck“ ist Wolfgang Ablinger-Sperrhacke fast konkurrenzlos. Singen ist dem gebürtigen Österreicher nicht genug. Seit Beginn der Corona-Krise engagiert sich der 53-Jährige für Kolleginnen und Kollegen sowie für die Wiederöffnung der Theater und Konzertsäle. In Österreich gab es im Frühjahr einen Schulterschluss zwischen Presse, Opposition, Intendanten und der Künstlerinitiative für Freischaffende. Ablinger-Sperrhacke ist Sprecher dieser Initiative. Unter anderem wurde die überforderte Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek zum Rückzug gedrängt.
Wie viel Spaß macht es, vor nur 500 Menschen statt 2100 aufzutreten?
Ablinger-Sperrhacke: Singen macht natürlich immer Spaß. Die Sache wird allerdings problematisch, wenn man bedenkt, dass es sich in München nur um einen Pilotversuch handelt – und wie schwierig es war, diesen für die Bayerische Staatsoper und für den Gasteig überhaupt durchzusetzen. Zu Beginn des Lockdown hatten wir in Österreich politisch gesehen keine bessere Situation als jetzt noch immer in Bayern. Es gab einen Bundeskanzler, der bis Anfang Mai das Wort Kultur gar nicht in den Mund nahm. Wie in Deutschland wurde die Kultur in den vergangenen Jahren politisch marginalisiert.
Was stört Sie am meisten?
Ablinger-Sperrhacke: Meine Mitstreiter und ich haben darauf hingewiesen, dass es nicht sein kann, dass ein Saal bei einer Gastronomie-Nutzung das Vierfache an Gästen im Vergleich zur Kulturnutzung aufnehmen kann. Ich habe immer wieder auf die verfassungsrechtlich garantierte Kunstfreiheit gepocht. Erst als es in Österreich eine neue Kulturstaatssekretärin gab, konnten mehr Besucher zugelassen, bessere Probenbedingungen ermöglicht und eine engere Sitzordnung der Orchester zugelassen werden. All dies wurde von Gesundheitsexperten gebilligt. Es war also kein Zufall, dass die Salzburger Festspiele klappten.
Überall scheint es diese Einsichten zu geben – ausgenommen im Freistaat Bayern.
Ablinger-Sperrhacke: So ist es. Und das, obwohl auch hier die Kultur und die Kunstfreiheit Verfassungsrang haben. Wo Gastronomie und der Flugverkehr derart anders behandelt werden im Vergleich zum Kulturbereich, gibt es ein deutliches verfassungsrechtliches Problem. Man kann im Stadttheater Klagenfurt die „Elektra“ spielen, aber in der Geburtsstadt von Richard Strauss, in München, derzeit nicht. Ich finde es auch erstaunlich, dass aus dem bayerischen Kabinett heraus abfällig über Salzburg gesprochen wurde – anstatt einen Austausch mit den österreichischen Behörden zu pflegen. Es geht doch bei der jetzigen Pilotstudie gar nicht nur darum, Corona-Fälle zu vermeiden. Wichtiger ist: Sollte es eine Infektion geben, sind nun alle Instrumentarien vorhanden, um eine Rückverfolgung möglich zu machen. Der Besuch der Bayerischen Staatsoper ist sicherer als der eines Restaurants.
In Österreich haben sich Künstler zusammengetan, um in der Kulturpolitik etwas zu erreichen. Haben das die Kollegen in Deutschland versäumt?
Ablinger-Sperrhacke: Ja. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass Österreich im Kern eher illiberal gestrickt ist und die Künstler sich immer als wesentliches Korrektiv begriffen haben. Die Politik wiederum hat eingesehen, dass der Kulturtourismus eine extrem hohe Umwegrentabilität bringt. Man sollte sich auch in Deutschland bewusst machen, dass es in der Kulturindustrie mehr Beschäftigte gibt als in der Autoindustrie.
Aber warum das Zögern der Künstler? Ist es mangelnde Solidarität – oder Angst, weil man abgestempelt und nicht mehr engagiert wird?
Ablinger-Sperrhacke: Es ist offensichtlich, dass man nicht anecken will. Ich habe mich relativ leicht getan. Seit Jahrzehnten wohne ich in München und war in Österreich immer Außenseiter. Dadurch fiel es mir leichter, dort politisch aktiv zu werden – weil es keine Abhängigkeiten gibt. Und weil ich merkte, dass man in Österreich bei der Kultur eher etwas bewirken kann als in Bayern oder Deutschland. Außerdem habe ich mich aus persönlichen Gründen schon immer als Kämpfer für eine Sache begriffen. Was die Schwulen- und Lesbenrechte betrifft, hinkte Österreich immer Jahrzehnte hinterher. Ich bin es gewohnt, dass man alles erkämpfen muss.
Was werfen Sie also wem in Deutschland vor?
Ablinger-Sperrhacke: Die Künstler hätten mehr trommeln müssen. Und man hätte sich der grundgesetzlichen Verpflichtung viel bewusster sein müssen. Außer dem Wort Veranstaltung haben wir nichts mit dem Sport gemein. Es gibt keine Fußballfreiheit im Grundgesetz. Außerdem unterscheidet sich doch das Publikum erheblich. Stellen Sie sich an einem Heimspieltag des FC Bayern mal mittags auf den Marienplatz – und vergleichen Sie das mit einem Opernpublikum.
Hat alles auch mit einer anderen Politikergeneration zu tun, die jetzt an der Macht ist?
Ablinger-Sperrhacke: Die ist an Kultur sehr peripher interessiert. Mancher assoziiert mit Kunst nur fünf fade Wagner-Stunden zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele. Dass jemand von Oper nichts versteht, ist nicht entscheidend. Es wird nur zum Problem, wenn daraus die falschen politischen Schlüsse gezogen werden.
Hatten Sie mal den Gedanken, aus dem Opernsystem auszusteigen?
Ablinger-Sperrhacke: Nie! Das kaputte Europa mit den geschlossenen Grenzen hat mich als europäischen Künstler fast körperlich angegriffen. Durch den aus der Not geborenen internationalen Austausch mit Kollegen merkte man, dass Europa doch noch lebt. Ich hoffe, dass es aus der Krise gestärkt hervorgeht. Und besonders toll wird es, wenn man politisch wirklich etwas erreicht und sieht: Der Kampf lohnt sich.
Haben Sie Angst vor dem Virus?
Ablinger-Sperrhacke: Ich fühle mich durch den Münchner Pilotversuch und die vielen Testungen sehr gut betreut. Deshalb habe ich keine Angst. Die Aussage, man könne die Salzburger Festspiele nicht mit einem Repertoirebetrieb vergleichen, stimmt! Bei den Festspielen mussten teilweise bis zu vier Veranstaltungen abgesichert werden, im Repertoirebetrieb ist das üblicherweise nur eine. Wo ist also das Problem?
Wenn man Sie in Ihren Rollen erlebt, registriert man: Sie ziehen sich nie aufs Deklamatorische, auf Bizarrerien zurück.
Ablinger-Sperrhacke: Ich wollte das nie. Es muss immer auch gut gesungen sein. Seine Stimme sollte man nicht zurechtbiegen für diese Rollen. Wenn man weiß, wie es technisch anzustellen ist, ist auch der Hauptmann im „Wozzeck“ kein Problem. Man tut sich nicht weh. Außerdem bin ich, was die Karrieredauer betrifft, auf der sicheren Seite. Charaktertenor kann man nämlich noch mit 109 sein. Ich plane allerdings bis 106.
Das Gespräch führte Markus Thiel.