„Zar und Zimmermann“ als munterer Stilmix

Adriana Altaras inszenierte am Theater Augsburg Albert Lortzings Oper „Zar und Zimmermann“ als munteren Stilmix. Eine Kritik:
Für Regisseure ist „Zar und Zimmermann“ womöglich eine härtere Nuss als der „Rosenkavalier“. Spielt Letzterer in einem fiktiven Wien zur Zeit Maria Theresias, wird bei der Lortzing-Oper das Korsett eng: Exakt 1697 machte sich Peter der Große auf gen Holland, um auf einer Werft Knowhow fürs eigene Land zu sammeln. Funktioniert also eine Aufführung nur als historisch-musealer Blick zurück? Jein, sagte sich Regisseurin Adriana Altaras in Verbund mit ihrer geschmackssicheren Ausstatterin Ingrid Erb – um am Theater Augsburg aktuelle Würze über der Deutschen einst liebste und doch so verkannte Spieloper zu streuen.
Nächste Vorstellungen
am 9.,12., 20., 31. Dezember, 7., 31. Januar; Telefon 0821/ 324 49.
Wir sehen also: Werftarbeiter mit Plastiktütenleiberl, auf denen „Wir streiken“ prangt, ein Bub (Peters jüngeres Ego?), der mit einem Flugzeugträger-Modell spielt. Gewerkelt wird mit dem Akku-Schrauber, unter der Allonge-perücke lugt manch aktuelle Frisur hervor, und die Wände der Lagerhalle ziert ein Bild von St. Petersburg – diese Metropole aber entstand bekanntlich erst nach Peters auswärtiger Industriespionage. Ein munterer Stilmix. Und was bringt’s? Immerhin eine Entstaubung samt Aufhübschung. Und dank der maßgeschneiderten Regie bleibt jede Figur auch für den Zuschauer Anno 2009 interessant.
Man fühlt sich gut unterhalten, auch weil Adriana Altaras kleine, unaufdringliche Gags eingebaut hat. Und man spürt zugleich, in einigen lahmenden Momenten, dass Lortzing eine vertrackte Oper hinterlassen hat. Vor allem vor der Pause mangelt es den Dialogen (noch) an Rhythmus und Timing, müsste nicht jede Pointe so betulich präsentiert werden. Und auch das Philharmonische Orchester lässt vernehmen, dass es besonders in den Streichern einen starken Willen zur Klangkontrolle braucht – obgleich das zügige, geradlinige und trennscharfe Dirigat von Kevin John Edusei dem Werk entgegenkommt.
Dass die Augsburger derzeit für Verdis „Don Carlos“ wie für den Lortzing-„Zar“ eine so rollendeckende Besetzung parat haben, wird einem langsam unheimlich. Per Bach Nissen ist mit machtvollem, selbstironisch ausgestelltem Bass und pfauengleichem Tänzeln ein van Bett aus dem Bilderbuch. Ähnliches gilt für Jan Friedrich Eggers als Zar Peter I., der ideal die Balance zwischen textorientiertem Spielopernton und aufblühender Vokalphrase trifft. Cathrin Lange (Marie), vor allem Roman Payer (Peter Iwanow) holen mit starker, natürlicher Ausstrahlung das Stück ins Heute.
Und was Regisseurin Adriana Altaras mit dem spiellustigen, präzisen Chor angestellt hat, ist gar nicht hoch genug zu loben. Jedem Einzelnen hat sie eine kleine Geschichte mitgegeben. Um alles zu erfassen, empfiehlt Intendantin Juliane Votteler den 35-fachen Besuch der Produktion. Eine sympathische Übertreibung – mit einem dicken Korn Wahrheit.
Markus Thiel