"Götterdämmerung" sorgt für Tumulte - eine Kritik

Bayreuth - Mit der "Götterdämmerung" schließt sich der "Ring des Nibelungen" bei den Bayreuther Festspielen. Regisseur Frank Castorf erntete für seine Inszenierung Pfiffe und Buh-Rufe. Eine Premierenkritik:
Schnell ist ja so eine Regisseursgage dahin. 750 Euro führt der

aktuelle Bußgeldkatalog auf fürs Zeigen eines Vogels. Aber der Doppelvogel wie von Frank Castorf mehrfach praktiziert beim Schlussbeifall? Und wenn nun alle 2000 Premierengäste aufs Bayreuther Polizeirevier rennen? Egal, endlich hat dieser neue „Ring des Nibelungen“ sein Skandälchen. Nicht weil diese „Götterdämmerung“ ein so furchtbarer Aufreger gewesen wäre. Nein, der vierte Akt, jener, den Richard Wagner nie geschrieben hat, der ohne Gesang nach dem Gesang, aber mit viel Pfui, Pfiff und Buh, der war der schönste.
Da steht also Castorf breitbeinig nebst Team vor dem Vorhang, befeuert den Tumult, tippt sich mit beiden Zeigefingern gegen die Stirn. Drei lange Minuten verstreichen, vier, fünf, die ersten gehen empört. Katharina Wagner, so berichtet sie später, will Castorf mit Kirill Petrenko von der Rampe holen, doch der Dirigent weigert sich – und der Regisseur ist gefangen in der Macho-Schleife, wie weggetreten, selbst als die Festspielchefin den Vorhang aufziehen lässt und dahinter das Orchester samt Petrenko sichtbar wird.
Schade wäre es, wenn von Bayreuths „Ring“ nur dieser Krawall in Erinnerung bliebe. Eines ist bedenkenswert: Selten ist hier über eine Inszenierung so geredet worden, da muss man zurückgehen bis zu Schlingensiefs „Parsifal“, womöglich bis zu Chéreaus „Jahrhundertring“. Castorf hat etwas in Gang gesetzt. Die Wut auf ihn, auf einen, der glaubt, mit Regie-Vortäuschung und mit ostzonalen Thesenbröckchen 15 Stunden stemmen zu können. Aber da gibt es auch einen anderen Mechanismus. Die Selbstverteidigung des Publikums, das den „Ring“ in Schutz nimmt, dies aber nicht mit Geschrei, sondern mit inhaltlicher Debatte. Werk-Tätige, die ihre Ablehnung mit den besten Argumenten begründen, mit Text und Musik. Viel und tief wurde diskutiert in der ersten Festspielwoche: Sollte man Castorf dafür nicht dankbar sein?
Mit der „Götterdämmerung“ erleidet er einen Rückfall in die „Walküre“. Regie so aufregend wie ein Schneckenrennen. Der Liebe des hohen Paares misstraut Castorf weniger, sie interessiert ihn einfach nicht, also wird sie auch nicht inszeniert. Wie so vieles andere. Dann schon eher die (vermeintlich) dunklen Seiten des „Ring“-Personals. Die Rheintöchter, die eine Leiche im Mercedes-Cabrio haben. Der tumbe Hagen, der Siegfried mit dem Baseballschläger tötet, auf dass der hinterm Lattenzaun und vor Obstkisten verröchelt. Der Held selbst ist ein Widerling mit Lederjacke und Kettchen, für den Freiheit Gesetzlosigkeit bedeutet. Einfach mal die Sache aufmischen und schauen, was dabei herauskommt.
Video: Eklat bei der Premiere von "Götterdämmerung"
Viel hat diese „Götterdämmerung“, ja der ganze „Ring“ mit seinem Regisseur zu tun. Nicht nur mit der DDR-Sozialisation, was die Bühne („Plaste und Elaste aus Schkopau“) geradezu herausschreit. Auch mit einer merkwürdigen Haltung: Castorf begreift Frauen auf der Bühne entweder als Flittchen und/oder als innerlich nicht vorhanden. Und wenn es dann doch einmal an die große Utopie geht, an Brünnhilde, die eine korrupte, an ihr Ende gekommene (Männer-)Welt erlösen kann und sich dafür opfert, an eine Frau, in der alles das zusammenfließt, was die anderen Figuren nicht haben und die deshalb vielleicht die kühnste Behauptung in Wagners ganzem Werk ist, dann kapituliert Castorf. Romantisch geglotzt wird nicht, der kennt seinen Brecht.
Auch die „Götterdämmerung“ ist eine Regie-Behauptung, weil Castorf vom wunderbaren Aleksandar Deni(´c) viel abgenommen wird. Der hat diesmal einen Berliner Hinterhof mit Döner-Bude gebaut, kurz hinter der Mauer. Ein dreckiges Biotop der Gestrandeten. Eine Viertelbühnendrehung weiter prangt die Plaste-Werbung, dann gibt es noch etwas, das aussieht wie Christos verhüllter Reichstag, sich aber als New Yorker Börse entpuppt. Dazwischen Treppenfluchten, ein Gang, der Wohnwagen aus den vorherigen Opern. Viele gute Bilder und Durchblicke, auch Videos. Hagen ist dort zu sehen, der zur Finalmusik im Schlauchboot liegt und davontreibt. Zu neuen Ufern – und bösen Taten, eine starke Aussage, immerhin.
Auftakt der Bayreuther Festspiele: Viele Politiker dabei
Am besten gefällt das alles Lance Ryan. Siegfried als Anti-Typ, das gestaltet er glaubhaft. Aber das ungeformte Bellen nimmt zu, die versteiften, ungedeckten, ungenauen Töne ebenso. Catherine Foster kann die Brünnhilde besser, das hat sie andernorts bewiesen. Müde wirkt ihr Singen, vorsichtig im Lyrischen verbleibend, oft zu knapp intonierend. Weil ihr Stimmansatz so direkt und gerade ist, eigentlich eine Tugend, hört man jede Kleinigkeit.
Auch mit Attila Jun, ein Hagen, den Castorf als rohen Mongolenbullen vorführt, wird man nicht recht froh. Juns Bass hat zu wenig Tiefenresonanz, klingt verquollen. Alejandro Marco-Buhrmester (Gunther) sieht dank Großaufnahme vor allem gut aus, Allison Oakes ist als Gutrune unterfordert. Die wahren Gewinner des Abends sind Martin Winklers Alberich, Claudia Mahnkes Waltraute, besonders Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Okka von der Damerau – einen solch klangschönen Rheintöchter-Gesang gibt es kaum auf Platte.
Über den größten Gewinner dieser „Ring“-Woche ist schon genug geschwärmt worden. Kirill Petrenkos Bayreuther Debüt ist eine Sensation. Weil er sofort mit der Akustik zurechtkam. Weil er das Orchester von einem überklaren, in Dynamikstufungen und Klangrede extrem genauen Spiel überzeugen konnte. Weil ihm das Zurückfahren in die Kammermusik genauso glückt wie die Überwältigung. Mag einiges in der „Götterdämmerung“ ungewöhnlich laut gewesen sein: Dem bescheidenen Star sei sein kleiner „Krawall“ gegönnt. Die markerschütternde, das Orchester einschließende Ovation für Petrenko hat letztlich Castorf verhindert. Aber das, da kann der Regisseur sicher sein, wird mehrfach nachgeholt.
Markus Thiel