Kritik: "Lola Montez" am Cuvilliéstheater

München - Vor allem Oliver Nägele überzeugte bei der Premiere von „Lola Montez“ am Münchner Cuvilliéstheater. Hier lesen Sie die Kritik.
Demnach wären wir also wieder in der Sozialsteinzeit. Eine Frau an der Rampe, die Zigarettenwölkchen gen Parkett bläst – für uns, nach all dem Rauchverbots-Tamtam, eine Provokation. Erst recht fürs hochoffizielle Bayern der 1840er-Jahre, wo das Weib noch als Dekoration gehegt wurde, weniger als autonomes Geschöpf. Was heute noch dazukommt: eine Familienministerin, die Herdprämien verteilt, und Parteien, die über die Frauenquote zanken. Alles Restauration also, wie dieser Mann im Zirkusdirektorkostüm höhnt? So simpel ist die Sache nicht. Aber hübsche Parallelen lassen sich in diesen zwei Stunden zwischen beiden Zeitaltern schon entdecken, dazu muss nur jemand wie Lola Montez reanimiert werden. Ausgerechnet am Ort ihres einstigen, für König Ludwig I. so verheerenden Wirkens – in der Münchner Residenz, genauer: im Cuvilliéstheater.
Doch wie schockt Frau heute? Jedenfalls kaum mehr als Debatten-Amazone à la Alice Schwarzer, schon eher als Rockerin. Jürgen Kuttner und Tom Kühnel haben dazu fürs Bayerische Staatsschauspiel „Lola Montez“, das 2003 und postum uraufgeführte Musical von Peter Kreuder und Maurus Pacher, gezaust und aufgegrellt. Übrig blieb nicht viel. Ein paar Couplets und das wackere Instrumentalquintett an der rechten Bühnenseite. Und auch ein bisschen vom feinen, subversiven Witz des Originals.
Kleider von Romy Schneider kommen unter den Hammer
Die vorgeblich spanische Tänzerin, die einst den Monarchen bezirzte, der er ein Palais schenkte und sie dort regelmäßig besuchte, die mit der Affäre München in den Polit-Aufruhr stürzte und schließlich auf Geheiß des geschlagenen Königs die Stadt verlassen musste, die tritt hier doppelt auf. Engelchen und Teufelchen, zwei Facetten einer Persönlichkeit, der Einfall ist hübsch, verfängt aber kaum.
Katrin Röver und Genija Rykova rocken das Rokoko-Rund vielmehr als eineiige Vamp-Zwillinge, angestachelt von einem auf Krawall gebürsteten Band-Trio. Und das hat durchaus Schau- und Hör-Mehrwert. Was die verruchte Irin einst mit Ludwig und Bayern anstellte, kommt in diesem Zweistünder schon über die Rampe. Doch eigentlich ist „Lola Montez“ mehr Nummernfolge, mehr Melange aus Dezibelschlacht, Brettltheater und Turbo-Kabarett, Fehlzündungen inbegriffen. Es gibt eine Karikaturen-Parade zwischen Königsbett, Schreibtisch und Staffelei, angeführt von der herrlichen, hochbizarren Katharina Pichler als Emerenzia Klachlmoser, der die vereinte Männlichkeit vom Minister bis zum Maler mit großem Abstand folgt. Es gibt wirklich fetzige, überdrehte Songs, auch Sprechgesang aus Notwehr. Und es gibt wundersame Momente, wenn ein Altherrenchor beherzt die Revolution herbeisingt.
In die Nähe des Siedepunkts kommt „Lola Montez“ jedoch nur einmal, und das besorgt der Chef als Direktor: Jürgen Kuttners Solo-Tirade über Emanzipation und das kümmerliche Überbleibsel der Titelheldin (ein gleichnamiger Schoko-Kaffee für 4,10 Euro im Tambosi), sein atemloses, wirr-wahres Zusammenzwingen von einst und jetzt, all das reicht verbal das nach, was man eigentlich zeigen wollte. Dass manches schwächelt, hat freilich auch einen anderen Grund. Projekte wie diese, man denke nur an Ringsgwandls Ludwig II.-Musical an den Kammerspielen, leben ja von der Diskrepanz. Von der aufreizenden Wirkung, wenn First-Class-Schauspieler hinabsteigen und vermeintliche Niederungen adeln. Womit man bei Oliver Nägele wäre.
Sein Ludwig I. ist weniger herrischer Fürst, eher großes Kind. Ein Mann mit weicher Schale und weichem Kern. Launen sind da nur Panzer und der Hermelin nur Verkleidung. Wenn er mit der doppelten Lola zu „I’m a cliché“ hüftschwingt oder am Ende zur Ukulele greift und in Melancholie ertrinkt, dann wird die Sache groß – und ein Verdacht bestätigt: Ob Lola oder Lulu, zum Drama wird die Frau erst durch den Mann.
Nächste Vorstellungen
am 31. Januar, 11., 16., 19., 23. Februar; 089/ 2185-1940.
Von Markus Thiel