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Utopia in München zeigt „Der Kuss“: Gustav Klimt als Goldgrube

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Von: Katja Kraft

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Eine Besucherin der immersiven Ausstellung „Klimts Kuss“
Hirn aus, Handy an: Wie viel nach dem Besuch an neuem Wissen oder Interesse an Kunst hängen bleibt, ist fraglich. Die Veranstalter tun alles dafür, jeden zu animieren, ständig das Smartphone zu nutzen, um sich mit Klimt online zu zeigen. Wie praktisch: Alle Gäste werden so zu kostenlosen Werbeträgern, die noch dazu üppig Eintritt zahlen. © MORRIS MAC MATZEN

Im Münchner Utopia feiert eine Multimediainstallation Gustav Klimts „Der Kuss“. Was bringen „immersive“ Ausstellungen wie diese? Ein Besuch.

Da muss ein Missverständnis vorliegen. „Erlebnisbereich“ nennen die Veranstalter den zweiten Teil ihrer „immersiven Geschichte“ im Utopia. Aber was, bitte, ist Erlebnis daran, sich in einen verspiegelten Raum zu stellen und Selfies zu machen? Man fühlt sich sehr, sehr alt, wenn man „Klimts Kuss“ besucht. Und ein bisschen traurig. Wird denn heute nicht mehr erlebt, sondern Erleben nur noch inszeniert? So scheint’s, wenn man sieht, wie freudig hier ein Besucher nach dem anderen in das goldene Zimmer verschwindet, um sich mit der Handykamera in jeder erdenklichen Pose abzubilden. Begeistert deutet die angesichts von Klicks und Likes überhaupt sehr begeisterte Dame von Utopia, die einen durch die am 15. März 2023 startende Ausstellung führt, in die Höhe. „Wir haben extra auch Spiegel an der Decke angebracht. Wer auf dem Boden etwas performen möchte, kann sich auf diese Weise dabei filmen.“ Die Frage ist ja nur: Warum sollte man das wollen?

Eine Besucherin von „Klimts Kuss“ macht Selfies im goldenen Spiegelzimmer
„In Gold baden“ kann man laut Veranstalter im Spiegelzimmer. Die Pressefotos machen deutlich, dass es vor allem ein Raum der güldenen Selbstinszenierung ist. © MORRIS MAC MATZEN

Schon klar: Die TikTok-Generation soll hier für Kunst begeistert werden. „Niedrigschwellig“ will man sein. Wollen viele. Haken Nummer eins: Der Weg von niedrigschwellig zu belanglos ist manchmal nur wenige Smartphone-Klicks entfernt. Haken Nummer zwei: 25 Euro pro erwachsener Person hat mit Zugänglichkeit für jeden irgendwie nicht mehr so richtig viel zu tun.

Dabei ist man ja wirklich offen in diese „Multimedia-Inszenierung von Leben und Werk des Jugendstilpioniers Gustav Klimt“ gegangen. Hat sich wie von besagter netter Dame empfohlen auf einen der Hocker gesetzt. Und ehrlich interessiert den Blick schweifen lassen. „Schauen Sie nicht bloß auf eine Wand, das hier ist ein Raumerlebnis.“ Also dann: 45 Minuten Klimt-Show von allen Seiten.

Klimt von allen Seiten gibt’s via Multimediainstallation bei „Klimts Kuss“ im Münchner Utopia.
Klimt von allen Seiten gibt’s via Multimediainstallation bei „Klimts Kuss“ im Münchner Utopia. © MORRIS MAC MATZEN

Sehr schnell wird klar, warum nach Vincent van Gogh und Frida Kahlo nun Klimt im Utopia dran glauben muss. Ist ja alles so schön bunt in deren Werken. Die blumigen Ornamente lassen sich vorzüglich animieren, ergießen sich via Lichtprojektion über die Besucher. Ausschnitte aus Gustav Klimts Bildern werden herausgegriffen, durcheinandergewirbelt, einzelne Figuren in Bewegung versetzt, als würden sie zum Leben erwachen. Dazu Musik aus der Zeit des österreichischen Künstlers (1862-1918). Kannste nichts zu sagen. Klimts revolutionäre Bildsprache, das Feuer in seinen Werken, die darin liegende Provokation werden auch für diejenigen, die seinen Namen noch nie gehört haben, sofort ersichtlich. Und um klarzumachen, dass Klimt nicht bloßer Frauen-Liebhaber, sondern einer war, der die Frauen samt ihrer (sexuellen) Bedürfnisse gefeiert hat, gibt’s per Tonspur zu den Bildern ein fiktives Gespräch auf die Ohren, zwischen einer Studentin und Klimts Partnerin, der Modeschöpferin Emilie Flöge. So wie Flöge mit Reformkleidern die Frauen aus Miedern und Korsetts befreite, so riss Klimt sie aus Konventionen und räumte auf mit dem sittsamen Bild der asexuellen, braven Gattin. So die kurzweilige Analyse.

In der Alten Pinakothek in München sieht man echte Gemälde von Gustav Klimt

Derart eingestimmt, würde man jetzt tatsächlich gern so einen echten Klimt sehen. Tja, echte Gemälde gibt’s hier aber nicht. Für „Der Kuss“ müsste man nach Wien fahren. Im Oberen Belvedere liegt das Jahresticket für alle Unter-26-Jährigen übrigens bei 25 Euro. 20 Euro zahlt im Utopia bereits ein sechsjähriges Kind am Wochenende für einen einzigen Besuch. Wenn diese Schau überhaupt empfehlenswert ist, dann erst für Jugendliche. Aber wer möchte, dass das Ganze hier mehr wird als ein Instagram-tauglicher Familienausflug, der sollte sich mit den bloßen Videos nicht zufriedengeben. Sondern nach dem (oder statt ins) Utopia hinein in die Alte Pinakothek: Dort hängt Klimts Porträt von Margarethe Stonborough-Wittgenstein, live und in Farbe. Und hunderte andere Meisterwerke, etwa die der Münchner Secession, die für die Wiener Vorbild waren. Sonntags zu einem Eintrittspreis von einem Euro. Das ist doch mal ein Erlebnis. „Klimts Kuss“ ist bis 14. Mai 2023 im Utopia zu sehen, Heßstraße 132; täglich von 10 bis 21 Uhr

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