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Virtuose des Delikaten: Zum 90. Geburtstag von Alfred Brendel

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Von: Markus Thiel

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Alfred Brendel
Mit Mozart verabschiedete sich Alfred Brendel im Dezember 2008 von der Konzertbühne. © Gaetan Bally/Keystone/dpa

Das Spektakelnde, Äußerliche interessierte ihn nie. Alfred Brendel, der am 5. Januar seinen 90. Geburtstag feiert, war ein Meister der weisen, hintergründigen Klangrede.

Auch Beethoven wäre denkbar gewesen. Oder eine seiner typischen, so tief lotenden wie lebensklugen Schubert-Deutungen. Doch zum Abschied von der Bühne sollte es für Alfred Brendel Mozart sein. Und dann nicht eines der späten, repräsentativen Klavierkonzerte, sondern das bestürzend frühreife mit dem Beinamen „Jenamy“. Im Wiener Musikverein geschah dies, im Dezember 2008, als sich Brendel mit dem KV 271 von der Konzertbühne verabschiedete.

Wohlgemerkt nur von der Konzertbühne, denn noch immer ist er, der an diesem Dienstag den 90. Geburtstag feiert, als lebende, (selbst-)ironische Legende unterwegs. Auf den Podien spricht Brendel dann meist über Komponisten und ihre Interpretationen, also zu einem Gutteil über sich. So wie vor einiger Zeit an der Würzburger Musikhochschule. Aus den Lautsprechern erklangen zur Verdeutlichung die jeweiligen Stücke, gespielt von Brendel selbst. Wo manche Interpreten verzückt oder ostentativ beschämt ihrer Kunst nachlauschen, durfte man hier einen interessierten, im Hören nochmals alles überprüfenden Star erleben. Ein Lächeln, ein kurzes, unwillkürliches Mitdirigieren inklusive.

Exkursionen in die Räume zwischen den Noten

All dies ist gewissermaßen die rein verbale Fortsetzung von Brendels Interpretationen. Ganz in der Tradition von Wilhelm Kempff, Edwin Fischer und Alfred Cortot begriff er sich als sorgfältig abwägender, reflektierender Erzähler. Brendels Deutungen waren auch Klangreden. Dies aber nicht im Sinne der manchmal heftigen bis provozierenden Debatten à la Nikolaus Harnoncourt. Vor allem wenn Brendel Schubert spielte, waren das delikate, weltweise Diskurse, in denen die Räume zwischen den Noten fast wichtiger wurden als die Töne selbst. Brendels Interpretationen entstanden von innen nach außen. Das Aufbrausende, Spektakelnde interessiert ihn nicht, auch deshalb empfindet er Rachmaninow als „vertane Zeit“.

Die ganzheitliche Kunst dieses Jahrhundert-Pianisten speist sich aus seiner Biografie. Brendel kam am 5. Januar 1931 im tschechoslowakischen Wiesenberg zur Welt, zog mit der Familie auf die kroatische Insel Krk, übersiedelte später nach Graz, dann nach Wien und wohnt seit vielen Jahren in London. Dort lebt er mit seiner zweiten Frau Irene; drei Kinder gingen aus dieser Ehe hervor. Mit Sohn Adrian, einem Cellisten, trat er regelmäßig auf.

Das Klavierspielen war Alfred Brendel irgendwann nicht mehr genug. Er malt und zeichnet. Vor allem aber erschienen zahlreiche Essays und Bücher, auch skurrile Gedichte, in denen sich der Humor Brendels spiegelt: Diese Verse sind die grotesken Schwestern seiner musikalischen Deutungen.

Sein Credo: „Was braucht ein Werk? Was stört?“

Drei alles entscheidende Fragen stellen sich für Brendel bei der Interpretation: „Was braucht ein Werk? Was verträgt ein Werk? Was stört?“ Dass sehr schnell sehr viel stören kann, schwingt bei diesem Credo mit. Dies hört man gerade Brendels Schubert- und Mozart-Spiel an, erst recht seinen Beethoven-Befragungen. Brendel war der Erste, der dessen komplettes Klavierwerk aufnahm. Nicht nur diese Deutungen sind – im Unterschied zu den Beiträgen vieler anderer Pianisten des vergangenen Jahrhunderts – noch heute gültig. Brendel, das macht seine Größe aus, war eben nie modisch und blieb neugierig. Er setzte sich mit allen Strömungen der Interpretationsentwicklung auseinander. Auch mit der historischen Aufführungspraxis, der er mit liebevoller Ablehnung begegnet.

Brendel blieb immer ein musizierender Geistesmensch. Er passte – wie auch Dietrich Fischer-Dieskau im Bereich des Liedgesangs – in eine Gesellschaft, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren nach Inhaltlichkeit verlangte und sich zu gern in dieser großbürgerlichen Intellektualität sonnte. Trotzdem holte Brendel seine Zuhörer stets auf einer ersten, auf einer emotionalen Ebene ab, um sie dann in die Geheimnisse der Werke, in ihre Tiefe und Untiefen mitzunehmen.

Brendel ließ letzte Wahrheiten aufscheinen, ohne sie direkt zu formulieren – womit er das Geheimnis der Musik wahrte. Dass er am Ende seiner pianistischen Laufbahn beim Schwersten überhaupt angekommen war, bei Mozart, begründete Brendel einmal so: „Mozart ist so anspruchsvoll, weil jede Note, jede Nuance zählt und alles bloßgelegt wird in der äußersten Reduktion. Man kann einfach nichts verbergen.“

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