Aus für den „Rosenkavalier“ an der Bayerischen Staatsoper

Jetzt heißt es Abschied nehmen von einer legendären Produktion: „Der Rosenkavalier“, inszeniert von Otto Schenk und ausgestattet von Jürgen Rose, läuft an diesem Mittwoch letztmals an der Bayerischen Staatsoper.
München - Zum Beispiel die Kleider. Woher die Stoffe nehmen? Woher die Handschuhe und Knöpfe? Authentisch soll es doch aussehen bis zum letzten Mini-Accessoire, Weanerisch, wie zur Zeit Maria Theresias, so hatten sich das Komponist Richard Strauss und Dichter Hugo von Hofmannsthal einst gedacht. Jürgen Rose kam da ein Ausverkauf bei Rabel, beim legendären Münchner Geschäft für Galanteriewaren, ganz recht. Vor allem aber: Er durfte auch drei Tage nach Italien reisen. Ortstermin also in einem Florentiner Laden. Weiße Seide mit darauf applizierten Rosen und eingewebten Goldfäden, herrlich, genau das ist es. Was das koste? Umgerechnet 2200 Mark pro Meter. Rose und Silvia Strahammer, Chefin der Kostümabteilung, erstarrten. Ob es nicht billiger gehe? Nach einem frustrierten Essen die Rückkehr ins Geschäft, der einsichtige Verkäufer hatte andere Stoffe herausgezogen: 220 Mark, gekauft.
Eine Reise mit gewaltigen Spätfolgen. Denn was dabei und nach vielen anderen Anstrengungen herauskam, war eine der legendärsten Produktionen der Bayerischen Staatsoper, ach was: der Aufführungshistorie: „Der Rosenkavalier“, inszeniert von Otto Schenk, ausgestattet von Jürgen Rose und dirigiert von Carlos Kleiber, Premiere am 20. April 1972.
Jedes Mal Applaus für das Bühnenbild des zweiten Akts
Heute Abend heißt es Abschied nehmen von dieser schier unzählige Male gezeigten Kostbarkeit. Sogar fast nach einem halben Jahrhundert brandet Applaus auf, wenn der Vorhang zum zweiten Akt beiseite bauscht. Schuld daran ist Rose, der sich für das Palais Faninal von der Nymphenburger Amalienburg inspirieren ließ. Kostbare Bildwirkungen, perfektes Geschmacksempfinden, historisches Bewusstsein, begründete Detailwut gehen in jedem der drei Akte eine ideale Symbiose ein. „Ist wie ein Gruß vom Himmel“, singt Sophie – auf die ganze Aufführung könnte sich das beziehen. Und es ist nur natürlich, wenn der Urheber angesichts der Dernière wehmütig wird, auch wenn es Rose nicht ganz zeigen mag.
„Ein emotionaler Punkt“ sei dieser heutige Abend für ihn. Ein bisschen fühle er sich wie die Feldmarschallin im Stück, die über die verrinnende Zeit sinniert. Auf die Entgegnung, nach Ende des Stücks gehe es für die Dame vielleicht munter weiter, schiebt Rose sofort nach: „Stimmt, für mich ja auch!“ Zum Beispiel mit der aufwendigen Ausstattung zum Ballett „Mayerling“ kommende Spielzeit in Stuttgart.
Für den heute 80-Jährigen war der „Rosenkavalier“ damals eine der ersten Opernausstattungen. Der „Otti“ habe ihm total freie Hand gelassen. „Eine Riesenchance“, wie Rose heute sagt. Kleider der Premierenserie, so viel zum Thema Qualität, werden heute noch auf der Bühne getragen. Ob er damals gedacht habe, dass die Inszenierung so lange läuft? „Nie im Leben.“ Das Geheimnis sei wohl auch die Besetzungskonstanz gewesen. Nahezu zwölf Jahre lang lief der „Rosenkavalier“ fast ausschließlich mit Brigitte Fassbaender in der Titelrolle, mit Gwyneth Jones (Marschallin) und Lucia Popp (Sophie), vor allem aber mit Kleiber am Pult. Der vielleicht größte Einschnitt passierte am 26. April 1985. Lucia Popp debütierte als Marschallin, Kleiber sagte ab, um die Produktion dann nie mehr zu leiten. Eine komplizierte Beziehungssache mit der Popp, so wird geraunt.
Jürgen Rose erfuhr nur zufällig von der Dernière
Wenn sich Jürgen Rose heute erinnert, quillt er, aber das ist ja typisch für ihn, über vor Anekdoten. Vieles klingt nach guter alter Zeit – das wäre jedoch nur eine oberflächliche Einschätzung. Tatsächlich sind es Geschichten aus einer Ära, als noch vieles anders, genauer, reflektierter, sängerorientierter in Angriff genommen wurde. Ob da nun ein Tisch steht, ein Stuhl oder nicht, das ist für Rose abendentscheidend. „Gerade der ,Rosenkavalier‘ zeigt doch, dass die Sänger einen Rahmen bekommen haben, in dem sie sich wohlfühlen, in dem sie sich orientieren können und in dem sie zu Eigenem ermuntert werden, ohne dass alles gleich in Schieflage gerät.“

Viele verschiedene Solistentypen habe er über die Jahrzehnte verfolgt. Gwyneth Jones, Claire Watson, Lucia Popp, Anja Harteros als Marschallinnen, aktuell Adrianne Pieczonka, und alle brachten sie neue, in ihrem Sinne richtige Facetten ein. Dass Jürgen Rose über die definitiv letzte Vorstellung dieses „Rosenkavaliers“ nicht informiert wurde und eher zufällig davon erfuhr, gerade er, der „seine“ Produktionen regelmäßig verfolgt, ist eine Merkwürdigkeit.
Erst vergangene Woche ist das passiert. Und tags darauf, als er zu einer Beerdigung eines Bekannten reiste, ein noch seltsameres Zusammentreffen der Ereignisse. Plötzlich betrat Gwyneth Jones für ihn völlig überraschend den Raum. Man sprach über den letzten „Rosenkavalier“, und ihre erste Frage sei gewesen: „Wer bekommt mein Kleid?“
Bis zur letzten Sekunde wurden Requisiten hergestellt
Noch soll die Ausstattung, so sagte man Rose, nicht verschrottet werden. Ob er selbst etwas mit zu sich nach Hause nimmt, weiß er noch nicht. Vielleicht einen der Teller aus Faninals Palais, als Ergänzung zu den kostbaren Stücken, die an der Wand seiner eigenen Küche hängen. Wieder so eine Geschichte: Ursprünglich sollte das legendäre Bild ganz anders aussehen, mit Spiegeln an den Wänden. Otto Schenk lehnte aus Lichtgründen ab, Rose kam auf Vitrinen – doch was um Himmels willen dort hineinstellen? Erst wenige Tage vor der Premiere dann die Erleuchtung: Porzellan. In den Bavaria-Filmstudios wurden Imitate hergestellt und über Nacht von allen zur Verfügung stehenden Kräften in der Staatsoper bemalt.
Nach der Generalprobe führte Otto Schenk den Intendanten Günther Rennert auf die Bühne: „Ist der Jürgen ned a nett’s Burli? Alles haben wir ausgeliehen aus Münchner Geschäften.“ Nur die Versicherung müsse man noch klären. Rennert drohte zusammenzusacken und griff in eine Vitrine. Alles nachgemacht. Infarkt abgewendet.