So verraten sich Hypophysen-Adenome

Die Erkrankung ist zwar sehr selten. Doch gerade deshalb dauert es oft lange, bis die Diagnose gestellt wird. Manchmal erfordert es gar detektivisches Gespür, einen Tumor an der Hypophyse zu erkennen...
...vor allem, wenn sich die Geschwulst nicht verrät, indem sie den Körper mit Hormonen überschwemmt. Dann führen die Symptome selbst Ärzte auf die falsche Fährte.
Immerhin: Meist sind Tumore an der Hypophyse gutartig und wachsen langsam. Zudem, trifft es pro Jahr nur etwa zwei von 100 000 Menschen, auch wenn die Geschwulste insgesamt zehn bis 15 Prozent der Tumore im Schädel ausmachen.
Hormoninaktive Hypophysenadenome (HIA), an denen etwa 20 Prozent der Patienten leiden, bleiben dabei oft besonders lange unbemerkt – falls sie nicht zufällig bei einer Untersuchung im Magnet-Resonanz- oder Computertomografen entdeckt werden. Denn zu Beschwerden führen sie vor allem durch den Platz, den sie beanspruchen. Der wachsende Tumor übt immer stärkeren Druck aus, etwa auf die Sehnervenkreuzung, die knapp über der Hypophyse liegt. Wenn sich das Gesichtsfeld wie durch Scheuklappen verengt, kann dies darum auch an einem Tumor liegen. Seltener ist der Blick außerdem verschwommen, Doppelbilder können dazukommen, auch Kopfschmerzen.
Schuhe sind plötzlich zu klein, Handschuhe passen nicht mehr
Doch können diese Symptome auch viele andere, häufigere Ursachen haben. Doch auch wenn die Libido nachlässt oder die Monatsblutung gestört ist, kann dahinter ein Tumor stecken. Denn dieser kann auf den Stiel der Hypophyse (siehe Kasten) drücken und so eine ihrer Hauptfunktionen stören: die Bildung vieler wichtiger Hormone. So wird im Stiel der Hypophyse Prolaktin produziert. Ein Mangel daran kann zu den genannten Symptomen führen. Auch die Konzentration des Stresshormons Cortisol, dessen Produktion von Hypophysenhormonen reguliert wird, kann gefährlich abnehmen.
Die meisten Tumore an der Hypophyse verraten sich indes vor allem dadurch, dass sie selbst Hormone bilden – und das oft reichlich. Ist die Geschwulst aus hormonbildenden Zellen entstanden, wächst mit der Größe des Tumors auch die Menge an Hormonen, mit denen dieser den Körper überflutet. Das fein abgestimmte Gleichgewicht der Botenstoffe gerät durcheinander.
Bildet der Tumor zum Beispiel vor allem Wachstumshormone, führt das zu Akromegalie, dem sogenannten Riesenwuchs. Die Gesichtszüge werden langsam gröber. Die Knochen wachsen, selbst wenn Kindheit und Jugend lange zurückliegen. „Patienten bemerken das oft zuerst an der Schuhgröße, die plötzlich zunimmt“, sagt Dr. Walter Rachinger, Neurochirurg am Klinikum Großhadern in München. Oder es fällt ihnen auf, dass ihre Handschuhe zu klein geworden sind. Problematischer ist allerdings, was Betroffene nicht sehen: „Auch die inneren Organe wachsen“, sagt Rachinger. „Das kann lebensbedrohlich werden.“ Die äußerlichen Veränderungen bleiben allerdings oft lange unbemerkt, weil diese sehr langsam vor sich gehen und so auch für das Umfeld wenig auffällig sind.
OP durch die Nase: So ist die Hypophyse am besten zu erreichen
Eine andere Art von Hypophysentumor führt zu einer übermäßigen Produktion des Hormons ACTH. Es stimuliert unter anderem die Nebennierenrinde dazu, das Hormon Cortisol zu bilden. Bei Betroffenen ist der Cortisol-Spiegel durch den Tumor daher dauerhaft erhöht. Die Folge: Sie erkranken am Cushing-Syndrom. Die Patienten nehmen unter anderem stark zu. Fett setzen sie dabei besonders im Bereich der Körpermitte an, etwa am Bauch. Manche haben zudem Beschwerden am Bewegungsapparat, weil ihre Knochen an Stabilität verlieren (Osteoporose) und die Muskel schwächer werden. Betroffene entwickeln nicht selten auch Diabetes und Bluthochdruck. Ein Hinweis, der Ärzte häufig auf die richtige Spur bringt: „Patienten haben ein Vollmond-Gesicht“, sagt Rachinger.
Handelt es sich um ein Prolaktinom, bildet der Hypophysen-Tumor das Hormon Prolaktin (s. Kasten). Dann hilft ein Medikament. Der Wirkstoff Bromokriptin lässt die Geschwulst schrumpfen. Patienten mit anderen Hypophysentumoren bleibt indes eine Operation meist nicht erspart.
Da die Hypophyse dicht unterhalb des Gehirns mittig im Schädel sitzt, lässt sich diese gut von der Nase aus erreichen. Die OP-Instrumente werden dabei meist durch Nasenlöcher und Nebenhöhlen eingeführt (transnasale-transsphenoidal). Oft verschafft sich der Operateur mit einem Endoskop eine gute Sicht. Der Tumor wird dann mit einem löffelförmigen Instrument ausgeschält. Der gesamte Eingriff dauert meist weniger als eine Stunde.
Danach braucht die Hormondrüse etwa sechs Wochen, um sich zu erholen. Bestehen Sehstörungen bei einem hormoninaktiven Hypophysenadenom bereits länger, bilden sich diese nicht immer vollständig zurück. Bei einem von zehn Operierten bleibt ein Hormonmangel bestehen, der ausgeglichen werden muss. Auch ist es nicht immer möglich, den Tumor vollständig zu entfernen. Dann besteht die Gefahr, dass dieser wieder wächst. Zur Nachsorge gehören zudem MRT-Untersuchungen und Hormontests, in der Regel einmal pro Jahr.
Andrea Eppner
Leserfragen an Dr. Rachinger: wissenschaft@merkur-online.de