Streit um Balkon: Lieber grau als bunt?

Eine 16-Jährige malte einen Sonnenuntergang auf den Balkon ihrer Eltern. Nun muss das Mädchen ihr Gemälde grau übermalen. Was dürfen Mieter auf ihrem Balkon – und was nicht?
Eigentlich hat es Selina Hovenbitzer nur gut gemeint. Vor ein paar Wochen beschloss die 16-Jährige, gemeinsam mit ihrer Mutter, den Balkon zu verschönern. Genauer gesagt: die graue Metall-Trennwand zwischen der Familie und ihrem Nachbarn. Selina Hovenbitzer sagt: „Der Balkon sah immer so traurig aus.“ Die Jugendliche arbeitet in einem Kindergarten – im Gegensatz zu den Farben dort wirkte das Grau einfach nur „langweilig“.
Vermietergemeinschaft ist gegen das Bild
Sie und ihre Mutter ergriffen also die Initiative. Gemeinsam gingen sie in den Baumarkt, kauften Farbe und Pinsel – danach malte Selina zwei Tage lang einen Sonnenuntergang auf die Trennwand. Mutter und Tochter fanden das Ergebnis super – die Vermietergemeinschaft in dem Haus allerdings nicht. Das Gemälde passe einfach nicht in das Gesamtbild des Wohnhauses. Sie forderte die Familie jetzt auf, das Bild zu überstreichen. Der Balkon – er sollte wieder grau werden. So wie all die anderen Balkone eben auch. Darf das sein?
Rudolf Stürzer ist Vorsitzender des Haus- und Grundbesitzervereins. Der Experte sagt, die Vermietergemeinschaft ist mit dieser Aufforderung prinzipiell im Recht.
Balkone sind in repräsentativen Farben zu halten
Das Haus, in dem die Hovenbitzers wohnen, besteht aus Eigentumswohnungen. Deren Eigentümer wiederum bilden die Vermietergemeinschaft. Dieses Gremium fasst grundlegende Beschlüsse zum Wohnhaus – darunter auch, dass die Balkone als Teil der Hausfront in repräsentativen Farben zu halten sind. In diesem Fall: grau. Experte Rudolf Stürzer sagt: „Der Balkon gehört zwar zur Mietfläche, die grundsätzlich vom Mieter nach seinen eigenen Vorstellungen gestaltbar ist.“ Weil aber ein Balkon, wie zum Beispiel auch ein Garten, von Dritten einsehbar sei, hat die Vermietergemeinschaft hier das Recht, Vorgaben zu machen.
Was ist mit einem Sichtschutz aus Stroh?
Ein Nachbar der Hovenbitzers hatte vor ein paar Jahren ein ähnliches Problem: Er musste einen Sichtschutz aus Stroh wieder entfernen. Die Installation der Strohwand galt als bauliche Veränderung – und bauliche Veränderungen müssen ebenfalls mit dem Vermieter abgesprochen werden.
Blumenkästen und Satellitenschüssel
Dem Rechtsexperten Stürzer zufolge kann schon das bloße Anbringen einer Satellitenschüssel als eine solche Veränderung gelten. Zum Beispiel, wenn dazu gebohrt werden muss. Steht die Schüssel allerdings auf einem Ständer und ragt nicht über den Balkon hinaus, bedarf es keiner Absprache. Auch bei Blumenkästen gilt: Sie dürfen an der Brüstung eingehängt werden, aber ohne Zustimmung des Vermieters nur zur Innenseite des Balkons hin ragen.
"Das spießige Deutschland hat wieder zugeschlagen"
Mietrecht hin oder her: Den Hovenbitzers ging es nur um Individualität. Ganz simpel. Selina sagt: „Wir wussten, dass wir die Trennwand eigentlich nicht anmalen dürfen. Aber das war uns in dem Moment egal.“ Das mit der Individualität sieht auch der Mieterverein München so. „Schade. Das spießige Deutschland hat wieder zugeschlagen“, kommentiert dessen Mietexpertin Anja Franz die Haltung der Mietergemeinschaft. Dass ein bisschen Individualität auf so wenig Gegenliebe stößt, kann sie nicht verstehen.
Für das Problem mit dem Bild könnte es aber noch eine ganz andere Lösung geben. Eine, an die die ganzen Rechtsexperten bisher noch nicht gedacht haben. Sie kommt von Selina Hovenbitzers Großmutter Inge. Diese sagt: „Selina soll halt einfach alle anderen Balkone auch anmalen.“
Alexander Gropp