Gratwanderung am Sylvenstein

Lenggries - Sie sind an die Grenzen der Belastbarkeit gegangen: Seit zehn Tagen sind die Mitarbeiter, die für die Steuerung des Sylvensteinstausees zuständig sind, im Dauereinsatz.
So ganz lässt sich die Natur nicht in die Karten schauen. Für Sonntag und Montag war für die Region Stark- und Dauerregen prognostiziert. Tatsächlich hielten sich die Niederschläge im Landkreis bis Redaktionsschluss in Grenzen. Das Starkregengebiet wanderte Richtung Allgäu ab. „Wo genau Gewitterzellen hinziehen, kann man eben vorher nicht so genau sagen“, kommentierte am Vormittag Dr. Tobias Lang, beim Wasserwirtschaftsamt (WWA) Weilheim verantwortlich für die Steuerung des Sylvensteinspeichers. Er und sein Team hielten sich daher für jeden Wetterwechsel bereit.
Isoliert betrachtet wäre die kurze Gewitterphase kein Problem gewesen. „Der Speicher ist problemlos in der Lage, solche Ereignisse aufzufangen“, so Lang. Brisant wurde die Gewitterfront erst vor dem Hintergrund des Hochwassers der vergangenen Woche - statistisch ein sogenanntes 100-jährliches Hochwasser, in dessen Verlauf der Seepegel auf 763 Meter über dem Meeresspiegel anstieg. Damit war am 3. Juni bis auf sechs Zentimeter die Grenze erreicht, bis zu der der Speicher seine volle Schutzfunktion erfüllt - danach würde ein Teil des Wassers über Entlastungsstollen abfließen. Damit das nicht passiert, galt es, den Speicher rasch zu leeren. Denn der nächste Starkregen war schon angekündigt.
Eine Gratwanderung: Denn alles Wasser, das der Sylvenstein ins Bett der Isar entließ, belastete die Hochwassergebiete in Niederbayern. „Am 4. Juni mussten wir den Abfluss rapide reduzieren“, erklärt Lang. Danach habe das WWA jede Atempause ohne weiteren Niederschlag genutzt, um immer weniger Wasser die Isar hinunterfließen zu lassen. Gestern Nachmittag gab der Sylvenstein noch 40 cbm/s ab. Vor einer Woche waren es 225.
In Lenggries und Bad Tölz war zuletzt zu beobachten, wie der Isar-Pegel kontinuierlich sank. Ab heute soll Tölz nach Langs Angaben auch wieder einen Stausee bekommen. Wie berichtet waren die Schleusen des Kraftwerks geöffnet worden, so dass die Wassermassen ungebremst fließen und den Kies flussabwärts mit sich reißen konnten - was den Abtransport des Gesteins per Bagger und Lastwagen ersparte.
Hochwasser von oben: Luftbilder aus der Region Tölz
Beim jetzigen Isar-Niveau soll es laut Lang vorerst bleiben. „So bekommen die Betroffenen in Niederbayern eine Woche Zeit, um beschädigte Dämme zu reparieren.“ Danach werde man „den Stau langsam wieder runterfahren“ bis auf das sommerliche Normal-Niveau von 750 Metern.
Unter welchem Druck die WWA-Mitarbeiter stehen, zeigt sich an den vielen kritischen Nachfragen aus Niederbayern. „Dass dort die Menschen mit dem Schicksal hadern, ist verständlich“, sagt Lang. Die Zuspitzung der dortigen Lage liege aber nicht an einer falschen Steuerung des Speichers. „Der Sylvenstein hat 62 Millionen Kubikmeter Wasser zurückgehalten“, betont der Ingenieur. Daneben hätten Achen- und Walchensee zum Schutz der Isar-Anlieger beigetragen. 15 Millionen Kubikmeter Wasser seien aus dem Achensee in den Inn statt in Richtung Sylvenstein abgegeben worden. Fünf Millionen Kubikmeter, die über Krüner Wehr und Rißbachwehr aus dem Isar-Einzugsgebiet abgeleitet wurden, nahm der Walchensee auf. „Sonst hätte es noch düsterer ausgesehen.“
(Andreas Steppan)