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Unterwegs mit der Reisegruppe Niemand: Blinder Lenggrieser kämpft für mehr Inklusion

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Von: Veronika Ahn-Tauchnitz

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Die Reisegruppe Niemand (v. li.): Aytekin Demirbas, Carola Szymanowicz, Rolf Allerdissen, Thomas Szymanowicz und der Lenggrieser Markus Ertl. © Privat

Fünf Menschen mit Behinderung sind von 12. bis 15. November mit der Bahn quer durch Deutschland unterwegs. Auf dem Weg sammeln sie Bilder und Botschaften für den Bundespräsidenten.

Lenggries/BerlinEs wird eine spannende Fahrt: Fünf Menschen mit Behinderung fahren drei Tage lang mit dem Zug quer durch die Republik. Auf dem Weg werden sie sich für Inklusion stark machen, testen, wie barrierefrei die Bahn ist und Bilder und Botschaften von behinderten Menschen einsammeln. Übergeben werden diese am 15. November in Berlin im Bundespräsidialamt. Teil der „Reisegruppe Niemand“ ist Markus Ertl aus Lenggries. Der 46-Jährige ist blind, Inklusionsbotschafter und Zweiter Vorsitzender des Vereins „UNgehindert“.

Warum eigentlich „Reisegruppe Niemand“? „Vor 25 Jahren wurde das Grundgesetz um den Satz ergänzt: ,Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.‘ Wir sind die ,Niemand‘“, erklärt Ertl. Aus den Überlegungen, wie man an diese Grundgesetzänderung erinnern kann und um aufzuzeigen, wie viel Luft nach oben beim Thema Inklusion noch ist, entstand die Idee mit der Bahnreise.

Über 300 Zwischenhalte liegen auf der Strecke

Gestartet wird am 12. November in Berlin. Am Abend zuvor ist eine Kundgebung auf dem Europaplatz geplant. Neben Ertl reisen Rolf Allerdissen aus Leipzig, Aytekin Demirbas aus Braunschweig sowie Carola und Thomas Sszymanowicz aus Falkensee mit. Auch innerhalb der Gruppe ist die Kommunikation übrigens durchaus eine Herausforderung. Carola Sszymanowicz ist taub. „Wie treten ein Blinder und eine Gehörlose in Kontakt miteinander?“, zeigt Ertl das Problem auf. Er habe versucht, Gebärdensprache zu lernen, finde aber einfach keinen Zugang, weil er die Gesten ja nicht sehen könne. „Wir versuchen gerade noch, eine Gebärdendolmetscherin zu verpflichten“, sagt Ertl.

An über 300 Bahnhöfen wird die Gruppe bis zum 15. November halt machen. Alle Landeshauptstädte liegen auf der Route. An vielen Stellen sind Demos oder Kundgebungen geplant. Auf den Etappen steigen außerdem immer wieder Mitfahrer zu – Behindertenbeauftragte, Vertreter der Verkehrsbetriebe, die wissen wollen, wo es hakt, Interessensverbände und Journalisten. „Ich glaube, das wird spannend“, sagt Ertl. Aber es werde auch eine Herausforderung. Längst nicht alle Bahnsteige seien barrierefrei.

Zum Abschluss ist wiederum in Berlin am Washington Platz eine große Kundgebung geplant. Eigentlich war vorgesehen, die Botschaften behinderter Menschen, die auf der Reise gesammelt werden, an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier persönlich zu übergeben. „Wir haben wegen eines Termins angefragt, aber leider eine Absage bekommen“, bedauert Ertl.

Der Lenggrieser Markus Ertl macht Werbung für eine Petition

Er hofft aber auch so, dass die Bahnreise für einige Aufmerksamkeit sorgen wird. Die wünscht er sich auch für eine Petition, die der Verein UNgehindert gestartet hat. „Der Zusatz zum Grundgesetz legt ein Benachteiligungsverbot fest. Er sagt aber nicht, dass jemand aktiv etwas tun muss, um das Diskriminierungsumfeld zu beseitigen“, erklärt Ertl. Gefordert wird in der Petition eine Ergänzung im Grundgesetz: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichstellung von behinderten Menschen und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ 

Dabei gehe es in erster Linie gar nicht so sehr um das Thema Barrierefreiheit, sondern vielmehr um den Abbau der Vorurteile in vielen Köpfen, sagt der Lenggrieser. „Oft werde ich nur als Blinder wahrgenommen“, sagt Ertl. Das führe zu seltsamen Situation – „wenn mich beispielsweise jemand lobt, weil ich meinen Teller so schön leer gegessen habe oder mich fragt, ob er mir das Fleisch aufschneiden soll“. Wenn einem nicht einmal diese Dinge zugetraut werden, „dann tut das etwas mit einem. Wenn man nicht einmal glaubt, dass ich das schaffe, wie soll mir dann jemand zutrauen, dass ich beispielsweise im Arbeitsleben Leistung erbringen kann.“ Hier müsse noch viel passieren. Gerade in Bayern gebe es viel zu viel Segregation Behinderter in eigenen Schulen oder Werkstätten. „Das“, sagt Ertl, „hat für mich nichts mit Inklusion zu tun.“

„Ich bin wie Don Quijote“, sagt Markus Ertl

Es sind dicke Bretter, die der gelernte Sparkassen-Betriebswirt zu bohren hat. Müde wird er dabei nicht, zu wichtig ist ihm das Ziel. „Ich bin wie Don Quijote“, sagt er. „Jeden Tag reite ich mit meiner Lanze, dem Blindenstock, los, um gegen Windmühlen zu kämpfen. Aber der Kampf ist nicht vergebens. Man weckt immer mehr Menschen auf.“

Weitere Infos gibt es auf  www.reisegruppe-niemand.de

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