Kühe auf der Weide: So verhalten sich Wanderer richtig

Wackersberg - Jungrinder greifen eine Wanderin an und verletzen sie schwer: Diese Meldung aus dem Isarwinkel erschreckte viele Bergfreunde. Wer auf einer Tour Vieh auf der Weide begegnet, muss nicht gleich eine Attacke befürchten. Einige Verhaltensregeln gibt es aber zu beachten.
Was genau sich am Samstag auf einer Weide in der Nähe der Lexen-Hütte (Gemeinde Wackersberg) abgespielt hat, ist noch nicht genau bekannt. Fest steht, dass ein Wanderer-Paar aus Berchtesgaden eine schwer verletzte 75-Jährige am Boden fand, die von fünf Jungrindern umstanden wurde (wir berichteten). Auch gestern lagen der Polizei keine näheren Erkenntnisse vor, da die Verletzte noch nicht vernommen wurde, so der Tölzer Inspektionschef Bernhard Gigl auf Anfrage.
Für Paul Schenk, der mit der Bergwacht vor Ort im Einsatz war, steht außer Frage: Nach jetzigem Erkenntnisstand sei der Frau, die im übrigen wie eine fitte, erfahrene und gut ausgerüstete Wanderin gewirkt habe, kein Vorwurf zu machen. „Über diese Weide verläuft der offizielle Wanderweg von der Tutzinger Hütte zum Zwiesel.“ Im Internet geäußerte Vorwürfe, die Frau habe auf der Wiese nichts verloren gehabt, sind aus seiner Sicht unbegründet.
Begegnungen von Wanderern mit Vieh seien in den Bergen „unvermeidlich“, findet auch Christoph Brenninger, Bereitschaftsleiter der Bergwacht Lenggries. Etliche Steige führten nun einmal über Weiden. „Und wenn die Rinder auf dem Weg stehen, kann man sie schlecht zur Seite treiben.“ Gefährliche Situationen seien der „Ausnahmefall“, so Brenninger.
Auch Schenk kann sich an keinen Bergwacht-Einsatz wegen Vieh-Attacken erinnern. Selbst kam ihm nur einmal ein Tier nahe. „Ich lag am Heiglkopf in der Sonne – und auf einmal geht die Zunge eines Kalbs mitten durch mein Gesicht. Ich habe mich erschrocken – und die ganzen Kälber, die um mich herumstanden, haben auch erschrocken geschaut.“
Ähnlich unschuldig hätten die Rinder gewirkt, die am Samstag die Wanderin aus Dießen angegriffen hatten. „Als wir eingetroffen sind, standen sie ein Stück weiter auf der Weide und haben sich genüsslich ihrer Brotzeit gewidmet.“
Doch dem harmlosen Eindruck zum Trotz: Das Vieh kann eine enorme Kraft entwickeln. Ein zwei Jahre altes Jungrind bringe leicht neun bis zehn Zentner (450 bis 500 Kilo) auf die Waage, erklärt Kreisbäuerin Ursula Fiechtner. Wie folgenschwer eine Attacke sein kann, wurde zuletzt im Oktober 2015 deutlich, als ein Jungrind einen Lenggrieser Bauern auf der Weide umstieß. Der 44-Jährige starb im Krankenhaus an seinen schweren Verletzungen.
Aus 50 Jahren Viehhaltung ist dem Gaißacher Georg Mair, Vorsitzender des Almwirtschaftlichen Vereins Oberbayern (AVO), nur ein einziges Tier im Gedächtnis, das angriffslustig wurde. Das Jungrind, das einmal seine Tochter, einmal seinen Sohn „angepackt“ hat, wie es heißt, endete aus Sicherheitsgründen beim Metzger.
Kreisbäuerin Fiechtner aus Rothenrain (Gemeinde Wackersberg) kennt dagegen mehrere Fälle aus Familienkreis und Nachbarschaft, in denen Viehattacken gravierende, einmal sogar tödliche Folgen hatten. „Jedes Tier hat seinen eigenen Charakter“, erklärt sie. „Einige sind sehr verschmust“, sagt sie. „Bei denen kann es sein, dass sie sich ihre Streicheleinheiten abholen wollen und ärgerlich werden, wenn man sie ihnen nicht gibt. Oder sie sind verspielt und werden zu grob.“ Andere Rinder seien von der Veranlagung her aggressiv, manche gingen speziell auf Frauen, andere auf Männer los. „Manchmal ist es unergründlich.“
Keinesfalls dürfe man die Rinder unterschätzen, so Fiechtner. Sowohl sie als auch Georg Mair raten davon ab, überhaupt über eine abgezäunte Weide zu gehen. „Wenn der Weg über ein Drehkreuz oder eine Überstiegshilfe doch auf die Weide führt, muss man auf dem Weg bleiben und sich unauffällig verhalten“, sagt Mair.
Am kritischsten ist die Begegnung zwischen Rind und Hund. „Die Rinder folgen ihrem Urinstinkt, vermuten in dem Hund einen Wolf und widersetzen sich“, sagt der AVO-Vorsitzende. Den Hund sollten Wanderer deswegen unter Kontrolle halten. Wenn aber ein Rind angreift, gelte es, den Hund schnell von der Leine zu lassen. Das Vieh renne dann dem Hund hinterher und gehe so nicht auf den Menschen los.
Dem Menschen sei dagegen anzuraten, nicht davonzulaufen und vor allem, dem Rind nicht den Rücken zuzukehren, ergänzt Fiechtner. Langsam zurückziehen und sich hinter einer Absperrung in Sicherheit bringen, laute die Devise. Eine klare, ruhige Körperhaltung und eine Stopp-Bewegung mit dem Arm erkenne ein Rind am besten aus etwa drei Meter Entfernung. „Im näheren Bereich sehen die Tiere nicht so gut.“ Fuchtelnde Bewegungen würden die Rinder, die ihre Umwelt ohnehin in einer Art von Lichtblitzen wahrnehmen, zusätzlich nervös machen. Als Ausrüstung empfiehlt Fiechtner Wanderern, einen Stock mitzuführen – „als verlängerten Arm“. Im Extremfall könne man damit ein wild gewordenes Tier auf seine empfindlichste Stelle schlagen: die Nase.