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Tölzerin Sara Hallbauer: Von der Kettenraucherin zum Ausdauer-Wunder

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Von: Patrick Staar

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Das Ziel ist erreicht: Sara Hallbauer jubelt in Mandelieu.
Das Ziel ist erreicht: Sara Hallbauer jubelt in Mandelieu. © Privat

Als einzige Frau hat Sara Hallbauer beim „Race across France“ über 40 Berggipfel das Ziel erreicht. Hinter ihr liegt eine unglaubliche Wandlung.

Wackersberg – 555 Kilometer an einem Tag sind gut machbar - mit dem Auto, mit dem Flugzeug oder mit der Bahn. Aber 555 Kilometer am Stück mit dem Fahrrad fahren? Und das in kaum mehr als einem Tag? Da kommen selbst gut trainierte Sportler an die Grenzen ihrer Vorstellungskraft. Die Tölzerin Sara Hallbauer hat es geschafft. Und nicht nur das. Die 555 Kilometer waren nur der Auftakt zum neuntägigen „Race across France“, bei dem über die Hälfte der 131 Starter aufgeben musste. Und bei dem die Wahl-Wackersbergerin als einzige Frau das Ziel erreichte.

Man kann nicht gerade behaupten, dass Ausdauersport Hallbauer in die Wiege gelegt wurde. Im Gegenteil, 35 Jahre lang hatte sie mit Sport herzlich wenig am Hut. Ihre gesamte Energie steckte sie in ihren Beruf in der Medienbranche. „Bis dahin hab’ ich richtig krass geraucht, ich war eine Kettenraucherin“, erinnert sie sich. Die Wende kam, als sie ihren Mann Axel kennenlernte und die beiden zu einer Skitour starteten: „Mit Müh und Not hab ich 400 Höhenmeter geschafft.“ An diesem Tag wurde ihr klar: Sie sollte etwas an ihrem Lebensstil ändern.

Ihr Mann kaufte ihr das erste Rennrad, sie hörte mit dem Rauchen auf, begann mit dem Ausdauersport, kündigte bei ihrem Arbeitgeber und setzte die Prioritäten neu: „Es gibt ein paar Dinge auf der Welt, die ich unbedingt sehen will. Ich will was machen, was ein kleines Abenteuer ist.“ Daher startet sie bei ihren Rennen in der Kategorie „unsupported“, hat also im Gegensatz zu anderen kein Begleitfahrzeug im Schlepptau mit Physiotherapeuten, Trainer und Verpflegungsausgabe.

Einer der Höhepunkte des „Race across France“: Der Anstieg auf den über 2600 Meter hohen Galibier.
Einer der Höhepunkte des „Race across France“: Der Anstieg auf den über 2600 Meter hohen Galibier. © FOTO: QUENTIN IGLESIS

2019 startete sie auf diese Weise beim Ultra-Radrennen „Northcape 4000“ vom Gardasee zum Nordkap. „Aber verglichen mit dem Race across France war das ein Spaziergang.“ In seiner fünften Auflage ging das Rennen über 2570 Kilometer von Le Toquet am Ärmelkanal quer durch Frankreich bis Mandelieu am Mittelmeer. Außerdem waren 40 Gebirgspässe und 36526 Höhenmeter zu bewältigen. Dies wäre allein schon genug Herausforderung gewesen, doch es kam auch noch das extreme Wetter hinzu: Während des Rennens litt die Provence unter einer ungeheuren Hitzewelle mit Temperaturen um 42 Grad. In den Alpen peitschten den Sportlern Sturm und Regen ins Gesicht.

Einer von 40 Berggipfeln ist geknackt: Sara Hallbauer auf dem 2770 Meter hohen Col de l‘Iseran.
Einer von 40 Berggipfeln ist geknackt: Sara Hallbauer auf dem 2770 Meter hohen Col de l‘Iseran. © Privat

Gleich der erste Tag war ein Härtetest. Startzeit war um 18.48 Uhr. Hallbauer saß die ganze Nacht und den folgenden Tag auf dem Rad. Um 16 Uhr legte sie sich kurz schlafen, dann fuhr sie weiter bis kurz nach Mitternacht. 555,29 Kilometer zeigte ihr Tacho an, als sie das erste Mal eine längere Pause einlegte. „Das war ein krasser Einstieg ins Rennen.“ Wenn sie sich die Fotos von den folgenden Tagen ansieht, muss sie lachen. Völlig durchnässt steht sie auf dem Col du Télégraphe und blickt in die Kamera: „Da sieht man an meinem Blick: Fuck, ich hab’ überhaupt keinen Bock mehr.“ Auf einem anderen Foto könne man die Wasserablagerungen in ihrem Gesicht ablesen, verursacht durch den Wechsel von Hitze und Kälte. Durch die Nässe habe sie an allen Kontaktpunkten zwischen Rad und Körper Probleme bekommen: „Wenn die Socken feucht sind, reiben die Schuhe. Die Füße werden im Bereich der Schuhplatten extrem empfindlich. Außerdem haben mir die Handgelenke wehgetan.“ Besonders heftig war der Regen bei der Abfahrt vom Col du Télégraphe hinunter ins Dorf Valloire. Hallbauer war klar: Mit ihrer dünnen Regenjacke fährt sie an diesem Tag besser nicht die Passstraße zum Galibier hoch und vor allem wieder runter. Also kaufte sie sich in einem Sportgeschäft in Valloire eine dicke Wander-Regenjacke mit Kapuze. „Und eine Merino-Unterhose für Männer in Größe XL“, ergänzt sie lachend. „Alle anderen Unterhosen waren ausverkauft.“ Für die Abfahrt aus 2642 Metern Höhe sei diese Ausrüstung Gold wert gewesen.

Freilich gab es auch viele schöne Erlebnisse. Einige Hotels hätten extra die Öffnungszeiten verlängert, damit sie gegen Mitternacht noch einchecken kann. Von Autofahrern sei sie immer wieder angefeuert worden. Nahe Grenoble empfing sie auf 2000 Metern Höhe ein Fan, der mit seinem Kumpel die Fahrer anfeuerte: „Wenn solche Leute auf die Straße kommen, weil sie super finden, was du machst, finde ich das echt cool.“

Unvergesslich ist auch die Kletterpartie auf den Mont Ventoux. Mitten in der Nacht um 22:51 Uhr erreichte sie den Gipfel und blickte dort mutterseelenallein ins Tal. Der emotionale Höhepunkt waren für Hallbauer die letzten 60 Kilometer durch den Nationalpark Cote D’Azur in Richtung Mittelmeer, auf denen es nur noch bergab ging. „Ich habe auf dem Smartphone meine Musik eingeschaltet und bin im Morgengrauen mit Blick auf die Berge und das Meer runter gefahren – gigantisch.“

Wenn’s pressiert: Eine Tischreservierung ist beim „Race across France“ nicht nötig, ge-gessen wird unterwegs.
Wenn’s pressiert: Eine Tischreservierung ist beim „Race across France“ nicht nötig, ge-gessen wird unterwegs. © Privat

Die Zieldurchfahrt konnten außer Hallbauer nur noch 53 Männer genießen. 73 Starter und die beiden anderen Starterinnen mussten unterwegs aufgeben oder erreichten die Checkpoints nicht in der vorgegebenen Zeit. „Der Organisator hat geschrieben, dass er das Rennen nie mehr wieder so hart machen wird“, sagt die Wackersbergerin.

Bedauert Hallbauer manchmal, dass sie nicht früher mit dem Leistungssport begonnen hat? Bei dieser Frage schüttelt sie den Kopf: „Ich glaube nicht, dass ich mit 25 oder 30 Jahren schon so gut hätte Fahrrad fahren können.“ Langstrecken-Fahren habe viel damit zu tun, dass man seine Stärken und Schwächen einschätzen kann: „Dafür musste ich älter werden.“ Abgesehen davon sei Langstrecken-Fahren eine Charaktersache: „Ich bin ein Mensch, der Bock darauf hat, alles zu geben. Früher war’s im Beruf, und jetzt überträgt sich diese Charaktereigenschaft auf den Sport.“

Ihre Geschichte wirke vielleicht etwas unglaubwürdig, sinniert die Wackersbergerin, weil sie aus keiner sportbegeisterten Familie stammt: „Aber mein Beispiel zeigt vielleicht, dass es nicht darum geht, wo du herkommst. Sondern darum, wer du sein willst.“ Ihr Ziel sei, Frauen zu solchen Abenteuern zu verhelfen: „Natürlich ist Race across France ein krasse Sache. Man denkt immer, Frauen können so was nicht machen. Dabei können sie’s. Ich bin der Beweis dafür.“

Radreise-Tipps

In ihrem Blog www.bikepackers.de beschreibt Sara Hallbauer ihre Abenteuer auf dem Rad und gibt Reisetipps. Auf www.strava.com sind ihre Touren dokumentiert. Einfach im Suchfeld Sara Hallbauer eingeben.

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