Ehepaar baut für kranke Frau Marihuana an - Richter: „Es ging nicht um den Rausch, sondern um die Linderung!“

Ein Ehepaar hat in seiner Wohnung große Mengen Marihuana angebaut, weil die Frau sehr krank ist. Jetzt wurden beide dafür zu einer hohen Geldstrafe verurteilt.
Dachau – Seit ziemlich genau vier Jahren ist in Deutschland – zumindest auf dem Papier – medizinisches Cannabis auf Rezept legal. Tatsächlich aber erhalten nur wirklich schwer kranke Menschen unter nur wirklich sehr bestimmten Voraussetzungen das Cannabis als Kassenleistung. Entsprechend sehr wenige Ärzte wagen sich an diese Art der Therapie heran – die, selbst wenn die Krankenkasse ihre Zustimmung signalisiert, für den Patienten immer noch sehr teuer ist: 20 Gramm medizinisches, per Rezept verordnetes Cannabis kosten in der Apotheke 500 Euro.
Anwalt: „Der Staat macht es den Marihuana-Patienten schwer“
Mit den Worten des Anwalts eines am Donnerstag vor dem Amtsgericht stehenden Ehepaars bedeutet dies nichts anderes als: „Der Staat macht es den Marihuana-Patienten schwer. Er bereitet bewusst massive Probleme, sich das Marihuana legal zu besorgen. Im Prinzip treibt der Staat die Menschen dazu, sich das Zeug selbst anzubauen.“
Und genau das hatte das aus dem Landkreis Dachau stammende Ehepaar getan. Über 300 Gramm Marihuana-Pflanzen mit hohem THC-Wirkgehalt fand die Polizei im vergangenen April in der Wohnung des Ehepaars – laut Paragraf 29 des Strafgesetzbuchs entspricht dies einer „nicht geringen Menge“, deren Besitz sogar mit einer Freiheitsstrafe bewehrt sein kann.
Die Ehefrau leidet unter starken Schmerzen - und verträgt keine Medikamente
Allerdings, und das musste auch die Staatsanwaltschaft zugeben, handelt es sich bei den Angeklagten „nicht um die typischen Drogenkonsumenten“. Vielmehr erscheint das Ehepaar als typische Mittelstandsfamilie, in der er als Informatik-Kaufmann gutes Geld verdient und sie zuhause ihre Leidenschaft für Bio-Lebensmittel und Nachhaltigkeit auslebt.
Hinter dieser heilen Fassade aber verbirgt sich eine schwere Krankheit: Morbus Lupus, eine Autoimmunerkrankung, die typischerweise bei Frauen auftritt und seit einigen Jahren auch das Leben der 44-Jährigen zur Hölle macht. Die Krankheit tritt in Schüben auf, bereitet starke Schmerzen und führt auch zu Entzündungen auf der Haut, wie die Patientin ihre Anwältin vor Gericht erklären ließ.
Einziger Ausweg für schwer kranke Frau: Marihuana selbst anbauen
Da sie aber grundsätzlich keine Medikamente vertrage – Kortison als Entzündungshemmer ersetze sie daher in aller Regel durch Weihrauch – und als Folge von Lupus auch unter dem Schmerz-Syndrom Fibromyalgie leide, sei das Cannabis die einzige Behandlung, die ihre Schmerzen lindere. Da sie aktuell aber keinen Kassen-Arzt finde, der ihr entsprechende Rezepte ausstellt, und ihr ein Arzt aus München dazu geraten habe, mit Cannabis-Öl ihre entzündete Haut zu behandeln, hätten sie und ihr Mann sich entschlossen, die Pflanzen zuhause eben selbst anzubauen.
Der Gatte bestätigte dies und betonte auch, sich um die Pflanzenpflege gekümmert zu haben. Nur hin und wieder, räumte er ein, habe er selber „mal mitgeraucht“, schließlich habe auch er bereits eine Depression und einen Burnout hinter sich. 2000 Euro wurden in die – laut Staatsanwaltschaft ziemlich professionelle – Heimaufzuchtanlage investiert.
Frau erleidet Psychose - so fliegt alles auf
Dass die kleine Plantage überhaupt bekannt wurde, lag am Ende daran, dass die 44-Jährige, die mittlerweile auch amtlich als berufsunfähig gilt und zudem wegen einer Depression sowie einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) in Behandlung ist, am 2. April 2020 eine Psychose erlitt. Laut ihrem Ehemann war sie durch den Ort gelaufen, in Richtung S-Bahnhof, hatte auf dem Weg dorthin die Schuhe verloren und war nur durch ein beherztes Zupacken des 41-Jährigen zu beruhigen. Passanten, die die Szene am S-Bahnhof gesehen hatten, verständigten daraufhin die Polizei – die, nachdem die Frau ins Krankenhaus gebracht wurde, sich die Wohnung des Paares genauer ansah und die Pflanzen entdeckte.
Amtsrichter Tobias Bauer und seine Schöffen sahen es angesichts der vollständigen Kooperation des Ehepaars, dessen bis dato ebenso vollständig straffreien Lebens und der Krankheit der Frau als geboten an, statt einer Freiheits- nur eine Geldstrafe zu verhängen. Die Motivation des Anbaus sei eindeutig „die Linderung, und nicht der Rausch“ gewesen. Die Angeklagten hätten lediglich versucht, „für ein lange anhaltendes Leiden endlich eine Besserung zu finden“.
Angesichts der gefundenen Drogenmenge – bereits 60 Gramm beschreibt der Gesetzgeber als „nicht geringe Menge“ – fiel die Geldstrafe aber hoch aus: insgesamt 10 925 Euro. Die Ehefrau bedauerte, den „falschen Weg gewählt“ zu haben und künftig bei ihrer Therapie zu versuchen, „den richtigen Weg zu finden“.
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