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Kirchenaustritt ist oft kein Glaubensaustritt

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Von: Miriam Kohr

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Katholische Kirche sucht nach neuen Wegen
Der Kirche den Rücken zukehren: Immer mehr Menschen entscheiden sich, aus der Kirche auszutreten. Die Gründe sind vielfältig. © Ingo Wagner

Die Kirche schrumpft. Noch nie waren die Zahlen der Kirchenaustritte so hoch wie im vergangenen Jahr. Das belegen auch die Statistiken der Standesämter im Landkreis Dachau.

Landkreis – 2355 Landkreisbürger traten im vergangenen Jahr aus der Kirche aus – neuer Höchststand. Gründe gibt die Kirche genug: Der Missbrauchsskandal, dessen schlechte Aufarbeitung, unerfüllte Reformwünsche und hohe Kirchensteuern nennen die Standesbeamten auf Anfrage der Heimatzeitung. Vor allem die Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens im Januar 2022 dürfte die Austrittszahlen nochmals in die Höhe gejagt haben, so die Vermutung der Standesbeamten.

Die Austrittszahlen von 2020 bis 2022 haben sich in vielen Gemeinden und Städten gar verdoppelt. Im Standesamtsbezirk Dachau/Haimhausen/Hebertshausen beispielsweise traten 2020 492 Personen aus, 2022 waren es mit 1010 mehr als doppelt so viele. Ein ähnlich drastischer Anstieg ist in den anderen Kommunen zu beobachten (siehe Grafik). „2022 wurden die Zahlen noch einmal deutlich mehr“, bestätigt Nadine Ostermeier, Standesbeamtin in Indersdorf. Zum dortigen Standesamtsbezirk gehören auch die Gemeinden Röhrmoos, Vierkirchen, Weichs, Petershausen, Hilgertshausen-Tandern. 2021 gab es hier 383 Austritte, 2022 waren es 552.

Ein Termin beim Standesamt mit Personalausweis oder Pass, vor Ort eine Unterschrift auf einem Formular, 35 Euro Gebühr – und fertig ist der Kirchenaustritt. Gründe für den Austritt muss man mittlerweile keine mehr nennen. Dennoch öffnen sich manche Menschen den Standesbeamten, berichtet Verwaltungsleiter Siegfried Ketterl in Bergkirchen. „Eigentlich sind die Zahlen tragisch, aber wundern tun sie mich nicht. Der Missbrauchsskandal wird oft als Grund genannt, aber auch die Kirchensteuer, die wohl viele finanziell belastet“, weiß Ketterl. Er beobachtet, dass in den vergangenen Jahren auch immer mehr ältere Leute austreten. Der Standesbeamte erinnert sich an die Tage nach der Berichterstattung zum Skandal um Bischof Tebartz-van Elst im Bistum Limburg im Jahr 2014. „Am Tag danach standen gleich fünf Leute mit der Zeitung in der Hand vor unserer Tür und wollten austreten.“

Wenn in der Presse vermehrt negativ über die Kirche berichtet wird, steigen die Zahlen der Terminanfragen für Kirchenaustritte – das beobachtet auch eine Standesbeamtin in Schwabhausen. Sie sagt: „Oft liegen die Gründe des Austritts darin, dass die Personen mit dem Bodenpersonal der Kirche unzufrieden sind.“

„Schade“ findet Jadranka Pintur, geistliche Begleiterin der Pfarrverbandsjugend und dem You-Treff in Karlsfeld sowie Theologiestudentin, die vielen Kirchenaustritte. Doch sie sagt auch: „Kirchenaustritt, was heißt das schon? Ein Kirchenaustritt bedeutet nicht gleichzeitig ein Austritt aus dem Glauben.“ Viele seien mit der Kirche als Institution nicht mehr zufrieden, was sie nachvollziehen könne. Auch ihr tut es weh, wenn sie von Missbrauchsfällen in der Kirche lese. Überzeugt sagt sie: „Ich bleibe auf dem Schiff, um im Dienst Jesus Christus’ Gutes zu tun.“ Denn Kirche sei eben mehr als die Institution.

Trotzdem fragt sie sich, wer die vielen kirchlichen Einrichtungen finanziert, wenn bald niemand mehr Kirchensteuer zahlt. Doch die gebürtige Kroatin, die diese Steuer nur von Deutschland kennt, sagt auch: „In vielen Ländern gibt es keine Kirchensteuer, dort finanziert sich alles mit Spenden, und es funktioniert irgendwie.“

Pfarrer Albert Hack vom Pfarrverband Bergkirchen-Schwabhausen glaubt allerdings, dass es nicht so einfach ist. „Wir merken, dass die Erzdiözese teilweise schon am Sparen ist.“ Er glaubt, dass sich die Diözese langfristig fragen muss, ob sich die Kirche Einrichtungen wie Krankenhäuser und Kindergärten noch leisten kann. Doch er vertraut den Verantwortlichen, dass sie klug und mit Weitsicht Entscheidungen treffen. Allerdings träumt Hack von einer „Kultursteuer“, die nach seiner Vorstellung alle Personen zahlen sollten, die keine Kirchensteuer zahlen. „So könnte man viel besser filtern, wer aus Überzeugung und wer aus finanziellen Gründen austritt.“ Denn die zweite Gruppe würde laut Hack dann nicht mehr bestehen.

Pfarrer Albert Hack
Pfarrer Albert Hack © ink

Der Pfarrer selbst erfährt von jedem einzelnen Kirchenaustritt in seiner Gemeinde und schickt diesen Menschen einen Brief, in dem er auch zum persönlichen Gespräch einlädt. Rückmeldungen gibt es wenige. Doch von diesen Gesprächen weiß er: „Es gibt diejenigen, die mit Personen der Kirche nicht zufrieden sind. Das reicht vom Papst in Rom bis hier zu einzelnen Mitarbeitern der Pfarrgemeinde. Die anderen können mit dem Glauben an sich nichts mehr anfangen.“ Er kann aber auch von vereinzelten Wiedereintritten berichten. Zwar nur neun in der Zahl – in den vergangenen vier Jahren – aber über die freue man sich dann umso mehr.

Gemeindereferentin Elisabeth Gilliar.
Gemeindereferentin Elisabeth Gilliar.  © dn

Auch Elisabeth Gilliar, Gemeindereferentin in Petershausen-Vierkirchen-Weichs, machen die hohen Austrittszahlen betroffen. „Ich denke darüber nach, wie sich unsere Kultur und unser gesellschaftliches Leben verändern werden, wenn der christliche Glaube und auch christliche Werte eine zunehmend geringere Rolle spielen.“ Sie glaubt, dass die meisten Menschen austreten, weil sie keinen inneren Bezug mehr zu Kirche oder Glauben haben. „Das hat viel mit der eigenen Verantwortung zu tun. Glaube an Gott bedeutet Beziehung.“ Und Beziehungen bedeuten eben Arbeit.

Für Gilliar endet ihr Dienst jedoch nicht bei Menschen, die ausgetreten sind. Dies gelte für das ganze Seelsorgeteam. „Wir sind im Rahmen unserer Möglichkeiten für alle Menschen da.“

Jadranka Pintur, Pfarrverbandsjugend Karlsfeld.
Jadranka Pintur, Pfarrverbandsjugend Karlsfeld. © privat

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